«Erweiterte Realität» im öffentlichen Verkehr

Das Tram Affoltern kann heute schon erlebt werden – dank «erweiterter Realität». Ein Interview mit Christian Heimlicher, IT-Projektleiter und Timon Züger, Programmleitung BIM/GIS von den VBZ.

Artikel erschienen am 8. Oktober 2020

«The next big thing» sei die erweiterte Realität (augmented reality). Das sagte nicht irgendjemand, sondern Tim Cook, der Chef des Apple-Konzerns. Die sogenannte erweiterte Realität, sei eine genau so grosse Idee wie das Smartphone. Und sie werde unser ganzes Leben durchdringen.

The next big thing im öffentlichen Verkehr der Stadt Zürich ist das Tram Affoltern. Es ist daher wenig überraschend, dass bei der Planung der Neubaustrecke ebenfalls die erweiterte Realität zum Einsatz kommt – mit grossem Erfolg, wie Christian Heimlicher und Timon Züger von den VBZ im Interview erzählen:

Christian Heimlicher: Zum ersten Mal probierten wir die erweiterte Realität vor einigen Jahren am Zehntenhausplatz in Zürich Affoltern aus. Zuerst nur wir beide im kleinen Kreis. Danach mit immer grösseren Gruppen mit ganz verschiedenem Hintergrund.

Timon Züger: Das war richtig abenteuerlich: Wir standen auf einer Insel mitten im Verkehr und sahen durch unsere Spezialbrillen den realen Zehntenhausplatz überlagert mit einer computeranimierten Darstellung, wie das Tram über den Platz geführt werden könnte. Die Rückmeldungen waren toll, das Experiment war geglückt. 

Der grosse Vorteil dieser erweiterten Realität ist also, dass die Planenden ihre Arbeit quasi in Echt und vor Ort anschauen können…

Timon Züger: … ja und nicht nur die Planenden! Wir setzten die Spezialbrillen auch den Mitgliedern der Projektsteuerung des Tram Affoltern auf und zeigten ihnen ebenfalls den künftigen Linienverlauf des Tram Affoltern am Zehntenhausplatz in 3D - samt Haltestellen und sogar Werkleitungen im Boden. Diesmal fand die Präsentation aber in einem Sitzungszimmer statt - unterstützt durch engagierte Spezialistinnen und Spezialisten aus dem GIS-Kompetenz-Zentrum vom Amt für Städtebau (AfS). Die Teilnehmenden konnten so gefahrlos in der Darstellung herumspazieren und alle möglichen Blickwinkel einnehmen. Speziell ist, dass die Brillen miteinander verbunden werden können, sodass alle Teilnehmenden dieselbe Darstellung sehen und über das Projekt diskutieren können.

Planung Tram Affoltern

Und haben die Diskussionen stattgefunden?

Christian Heimlicher: Ja, tatsächlich. Bereits nach kurzer Zeit gab es Diskussionen über die Lage eines Fussgängerstreifens, die noch nicht optimal war und auch über eine Baumgrube, die Leitungen der Swisscom tangierte, wurde gefachsimpelt. Alles in allem kam die Präsentation sehr gut an.

Wenn ich den Faden weiterspinne, kann ich mir vorstellen, dass solche Darstellungen mit erweiterter Realität auch bei Partizipationsprozessen gewinnbringend eingesetzt werden können.

Christian Heimlicher: Das ist unsere Vision! Wir möchten soweit kommen, dass die Bürgerinnen und Bürger mit ihrem Smartphone oder Tablet an den jeweiligen Ort stehen können und dann via App oder Website das betreffende Bauprojekt über die Realität einblenden können. Technisch sind wir noch nicht ganz so weit, aber wir machen Fortschritte. 

Die erweiterte Realität ist ein kommunikatives Hilfsmittel, das kommen wird.

Vor nicht allzu langer Zeit wurden Bauprojekte noch mit Zeichnungen dargestellt, heute nimmt man täuschend echte Visualisierungen – in Zukunft werden es wohl Darstellungen mit erweiterter Realität sein?

Timon Züger: Das wird ganz sicher so sein, das Stichwort hier heisst Building Information Modeling (BIM). Die erweiterte Realität ist ein kommunikatives Hilfsmittel, das kommen wird. Ich glaube, dass die erweiterte Realität - wenn sie gut eingesetzt wird - gerade bei Abstimmungen helfen kann, den Stimmenden einen noch besseren und auch lebendigeren Eindruck des Projektes zu vermitteln, als wir das heute schon können.

Wie viele andere technologisch hochstehende Planer-Instrumente basiert auch die erweiterte Realität auf Daten, die auf dem GeoServer der Stadt Zürich liegen. Wie sind Ihre Erfahrungen in der Zusammenarbeit mit GIS Stadt Zürich?

Christian Heimlicher: Für uns ist die Zusammenarbeit sehr gut. Seit der Einführung von unserem neuen GIS vor ca. zwei Jahren stellen wir unsere Daten auch auf dem GeoServer allen andern Dienstabteilungen zur Verfügung. Gleichzeitig können wir auf über 600 Datensätze aus der ganzen Stadt und aus dem Kanton zugreifen, z. B. auf die Werkleitungsdaten der Entwässerung. Wie wertvoll das ist, wurde mir klar als wir für dieses GIS-Projekt andere Verkehrsbetriebe in anderen Kantonen resp. im Ausland besuchten. Diese Verfügbarkeit von Daten ermöglicht es, dass wir viel rascher vorwärts kommen. Das ist ein echter Vorteil für uns und letztlich auch für die ganze Stadt. 

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Basierend auf einem Interview von Mike Sgier (TED).

Interviewpartner

Christian Heimlicher hat Geografie mit Fachrichtung Fernerkundung und GIS studiert. Seit 2013 arbeitet er bei den VBZ in der Schnittstelle zwischen Fach und IT als Projektleiter und Anforderungsmanager. Aus den verschiedenen Aspekten von Geoinformation entstehen zahlreiche spannende Anforderungen und Projekte, welche er mit verschiedenen Fachabteilung der VBZ und anderen Dienstabteilungen umsetzt.

Timon Züger arbeitet seit 2014 bei den VBZ im Unternehmensbereich Infrastruktur. Er trägt die Verantwortung für die Geodaten der Infrastruktur und ist in der Programmleitung für die Einführung von BIM in der VBZ. Zusätzlich ist er in der Mixt-Reality zuständig und betreut das Projekt HoloLens seit ca. 3 Jahren.