Mobile Menu

Navigation

Meta Navigation

Hilfsnavigation

Global Navigation

«Gasträume 2017» – Dialoge zwischen Natur und Kultur

Eisbären, Wild-Futterstellen, Grabsteine, fliegende Kanus, Sternschnuppen: «Gasträume 2017 – Kunst auf Zürichs öffentlichen Plätzen» wartet bei der sechsten Durchführung einmal mehr mit spektakulären Werken und Interventionen im Stadtraum auf.

Kunst und Stadt bilden in Zürich im Sommer ein unzertrennliches Gespann. Mit ART AND THE CITY im Jahr 2012, mit ART ALTSTETTEN ALBISRIEDEN 2015 und mit «Gasträume» in den Zwischenjahren hat die Arbeitsgruppe Kunst im öffentlichen Raum (AG KiöR) temporäre Formate entwickelt, die die Auseinandersetzung mit der Stadt auf ein neues, lustvolles und inspirierendes Niveau gehoben haben. Die Projekte sind eine Erfolgsgeschichte – sowohl die Zahl der teilnehmenden Künstlerinnen und Künstler als auch das Interesse des Publikums nehmen ständig zu. Waren 2010 gerade sechs Projekte am Start, so werden diesen Sommer rund zwanzig Skulpturen, Performances und Installationen in der Innenstadt, in Zürich-West und in Altstetten gezeigt.

Obwohl «Gasträume 2017» keinem kuratierten Programm verpflichtet ist, und die Kunstwerke durch eine fachkundige Jury ausgewählt wurden, weist die Ausstellung einen inhaltlichen Schwerpunkt auf: Der Dialog zwischen Natur und Kultur bildet gewissermassen den roten Faden, der sich in unterschiedlichsten Facetten zeigt. Und letztlich geht es darum, die Wahrnehmung des städtischen Lebensraums mittels Kunst neu zu justieren.

Himmel über Zürich

Eine dezidierte Verschiebung der Perspektive fordert etwa die Zürcher Künstlerin Teres Wydler. Die helvetische Pionierin der Land Art lässt auf dem Maagplatz, direkt vor dem Prime Tower, zwei Holzliegen installieren und fordert die Passanten auf, sich dort für einen kurzen Moment hinzulegen. Diese Veränderung der Körperposition zieht automatisch auch eine Veränderung der Perspektive nach sich – wer sich auf das an eine zenbuddhistische Liege erinnernde Brett legt, sieht die Welt anders.

Teres Wydler: «Der vertikale Blick», Maagplatz Zürich. Courtesy: Teres Wydler und visarte.zürich, Zürich.

Zürich friert

Der in Berlin lebende Zürcher Künstler Kerim Seiler operiert ebenfalls mit einer Kontextverschiebung. Er lässt auf dem Paradeplatz einen Eisbären platzieren, der aus weissem Carrara-Marmor gefertigt wurde. Das Tier, das zu einer durch die Klimaverschiebung gefährdeten Art gehört, ist in vielerlei Hinsicht ein «Alien» im Herzen des Schweizer Finanzplatzes. Denn der Bär nimmt nicht nur die kritischen Seiten der Konsumkultur auf; er ist auch ein augenzwinkernder Kommentar auf frühere Kunst-Aktionen, als Löwen, Blumentöpfe und Teddybären die Bahnhofstrasse bevölkerten.

Kerim Seiler: «Ours d'après Régine Gallard», 2014, Marmor, 105 x 204 x 75 cm. Courtesy: Kerim Seiler und Grieder Contemporary, Zürich.

Schneewittchen – ein gefallener Stern

Am Steinfelsplatz stossen die Passanten ab Mitte Juni auf einen gefallenen Stern, der sich in den Boden gebohrt hat. Die weisse Skulptur stammt vom englischen Künstler Mark Handforth und heisst «Snow White», schneeweiss. Der Titel ist sprichwörtlich zu verstehen: Die Skulptur ist mit einer Spezialfarbe bemalt, die Dunkelheit absorbiert und Licht verstärkt, sodass der vom Firmament geholte Stern auch auf Erden weiterhin seine reflektierende Funktion wahrnehmen kann.

Mark Handforth: «Snow White», 2016, Aluminium (lackiert), 284,5 x 305 x 127 cm. Courtesy: Mark Handforth und Galerie Eva Presenhuber Zürich. Foto: Stefan Altenburger Photography.

Mahnmale kultureller Auslöschung

Mit Artur Żmijewski kommt ein Künstler nach Zürich auf den Basteiplatz, der sich in seinen gefeierten Werken mit sozialen Missständen befasst. Żmijewski reflektiert die politische Vereinnahmung von Kunst und Kultur, die nicht nur in seinem Heimatland Polen stattfindet. In seinem Manifest «Applied Social Arts» (Angewandte Gesellschaftskunst, 2007) fordert Artur Żmijewski, dass Kunst eine Partnerin für Politik und Wissenschaft sein müsse, da sie soziale Auswirkungen habe, Erkenntnisse schaffe und Veränderungen bewirken könne.

Artur Żmijewski, Erasing, 2016, 6 Grabsteine und 6 Videos (je 2:17–3:14 Min.).
Courtesy: Artur Żmijewski und Galerie Peter Kilchmann, Zürich

«Erasing» thematisiert diesen künstlerischen Ansatz anhand eines konkreten Beispiels aus Żmijekswkis Heimat. Obwohl seit Jahrhunderten in Polen gelebt und gesprochen, wurde die deutsche Kultur und Sprache nach dem Zweiten Weltkrieg komplett aus dem öffentlichen Raum verbannt. Diese sprachliche Säuberung machte selbst nicht vor Friedhöfen Halt, wo die Grabsteine deutschstämmiger Polen systematisch entfernt und als Baumaterial entweiht wurden. Żmijekswki hat eine Reihe dieser Grabsteine aufgespürt, erworben und sie so der Verdrängung entrissen. Mit ureigenen, bildhauerischen Mitteln, mit Hammer und Meissel hat er diese Steine schliesslich bearbeitet, eigenhändig die Namen der Verstorbenen entfernt und mit diesem auf einem Video dokumentierten und veröffentlichten Akt die sprach-kulturelle Säuberung in Polen sichtbar gemacht. «Erasing» ist damit auch eine starke Metapher für den weltweit grassierenden Nationalismus.

Tanzen oder sinnlose Mauern bauen?

Als «special guest» fungiert im 2017 unter anderem eine Reihe von Performances, die in Zusammenarbeit mit dem Kunsthaus Zürich ins Programm aufgenommen wurde. Dort wird im Sommer die Ausstellung «Action!» (23.6.–30.7.) gezeigt – eine thematische Fokussierung auf die wieder sehr aktuellen künstlerischen Medien Happening und Performance. Mit dem Musée de la danse wird beispielsweise eine international gefeierte Künstlergruppe den Zürcher Stadtraum mit einem Auftritt bespielen.

Glaser / Kunz: «Wandernde Mauer», 2017, Performance in Wil (St. Gallen). Courtesy: Glaser / Kunz und Kunsthalle Wil, Wil.

Mit einer dreitägigen Bau-Performance wird schliesslich das Künstlerpaar Glaser / Kunz die Ökonomie des städtischen Raums neu erfahrbar machen. Wie ein Tatzelwurm bewegt sich eine Mauer aus geschichteten Backsteinen durch die Stadt; während das eine Ende der «Mauer» von Männern in orangen Overalls aufgebaut wird, bauen dieselben Mitarbeiter das Bauwerk am anderen Ende ab und halten es so in permanenter Bewegung. Das nihilistische «perpetuum mobile» stellt sich den Passanten in den Weg, ist ein widerspenstiges Werk ohne jede Funktion und Zweck. Und hinterfragt dennoch in Stein gemeisselte Denk- und Handlungsmuster.
 

Text: Christoph Doswald

Vernissage:

Freitag, 9. Juni 2017, im Kaffeehaus zur Weltkugel, Basteiplatz, Bärengasse 20, 8001 Zürich, um 18 Uhr

Ausstellung:

10. Juni bis 3. September 2017

Führungen:

Kostenlose Führungen sind buchbar.

Weitere Informationen