«Jedes Bild ist eine Geschichte»
Manchmal ist malen einfacher als reden. Malen verbindet Kulturen. Deshalb ist Kunst ein wichtiger Bestandteil der soziokulturellen Beschäftigung im Bundesasylzentrum Embrach. Die Werke ermöglichen Einblicke in bewegte und bewegende Geschichten.
Es ist ein ruhiger warmer Sommertag. Im BAZ Embrach spielen einige junge Männer Volleyball. Der Ball fliegt durch die Luft, wird weiter geschlagen, landet am Boden. Jemand in der Nähe telefoniert, andere diskutieren, ein weiterer Bewohner hört Musik. Verschiedene Sprachen vermischen sich. Der Aussenbereich erinnert an einen Campingplatz; ein Spielplatz, viele Bäume, eine gemütliche Laube, Hochbeete mit Kräutern und Blumen, ein grosser Sportplatz im Zentrum.
Wamidh Al-Ameri, Teamleiter soziokulturelle Animation, kommt aus dem «StarBAZ Café», dem Treffpunkt des BAZ. Es liegt in der Mitte des Hofs. Hier gibt es guten Kaffee mit einem netten Schwatz. Kosten pro Kaffee CHF 0.50, auch für die Bewohnenden. Thomas Gross, der Verantwortliche des Cafés, serviert den Kaffee sogar mit selbst geschäumter Milch, wenn er Zeit hat. Das Häuschen ist gleichzeitig die Ausgabestelle für Hygieneartikel und anderes für den täglichen Gebrauch.
360 Betten und Quadrate
Vor dem StarBAZ Café fällt ein grosses Kunstwerk ins Auge. Es hängt an der Fassade des Holzbaus: viele kleine, bemalte Holz-Quadrate zu einem grossen Bild zusammengefügt. Noch sind es 288 Stück, das Ziel sind 360. Wegen der 360 Betten im BAZ Embrach. Seit zwei Jahren arbeitet Wamidh an diesem Projekt. Wer mitmacht, darf ein Holzquadrat bemalen, das Thema ist frei. Nur religiöse und politische Symbole sind tabu. Trotzdem tauchen immer Flaggen oder Ähnliches in Zeichnungen auf. «Ich verbiete ihnen nichts», Wamidh lächelt milde, «ich hänge sie einfach nicht auf. Sie verschwinden im Schrank oder werden übermalt.»
Wamidh kommt aus dem Irak und hat Kunst studiert, in Bern seinen Bachelor gemacht, in Zürich seinen Master in Kunst und Medien. Einige Jahre hat er als selbstständiger Künstler gearbeitet, grösstenteils Installationen, Videokunst und 3D-Filme ausgestellt. Seit er Familie hat, passt der geregelte Job im BAZ besser zu seinem Leben.
Gut aufgestellt und eingespielt
Wamidh arbeitet seit sieben Jahren im BAZ Embrach. Er hat als Betreuer angefangen, die Ausbildung zur Migrationsfachperson gemacht und nun ist er Teamleiter eines der beiden Teams «soziokulturelle Animation». Es besteht aus fünf Personen und ist für sportliche sowie spielerische Aktivitäten, Deutschkurse und Kunstprojekte zuständig. Das andere Team ist für die UMA zuständig. Das sind Maryury Suarez und Hadi Al-Abudi. Die zwei Teams gibt es erst seit wenigen Jahren. Das BAZ Embrach hat eine Art Pionier-Rolle mit dem Ausbau der soziokulturellen Animation. «Maryury und ich haben dafür kämpfen müssen, um uns von der Betreuung abzuspalten und uns komplett den Kunst-Projekten zuwenden zu können», erzählt Wamidh. Sie sind gut eingespielt.
Keine Erwartungen
Maryury ist Gruppenleiterin UMA Betreuung Fokus Animation oder wie sie sagt «Facilitatorin», Prozessbegleiterin: «Sie führen uns. Wir bieten ihnen unsere Ressourcen an, unser Know How, unsere Erfahrung, einen Raum, Materialien, aber den Rest machen sie. Sie sollen etwas erleben. Jedes Bild ist eine Geschichte, eine Ansammlung von Gefühlen. Wir begleiten die Menschen nur ein bisschen.» Man merke, dass es den Leuten gut tut, das Malen, die Bewegung, das gäbe Stabilität. Schlimm sei die Langeweile, das Warten. Da gab es früher mehr Zwischenfälle von Unruhe und Unzufriedenheit.
Projekt Holzbänke
Warten, wie es weitergeht. Warten, ob es in der Schweiz weitergeht. Warten. Leider eine Haupttätigkeit in den Bundesasylzentren. Sitzen, das Handy checken, in die Weite schauen, auf den Boden. Wamidh hat beim Förster 13 Holzbänke bestellt. Damit das Warten bequemer ist und nicht auf den Steinbänken passiert. Die sind im Winter zu kalt und im Sommer zu heiss. Die neuen Holzbänke sind rund um das Sportfeld verteilt. Die Bäume spenden Schatten. Als neustes Projekt hat Wamidh angefangen, mit den Klient*innen Blumen und weitere schöne Symbole in die Holzbankfüsse zu schnitzen. Damit alles etwas bunter, lieblicher und einladender ist. Beim Warten auf den Holzbänken.
Das Beste in den Moment geben
Was lösen die Bilder und Kunstwerke, die Einzelschicksale bei den Betreuenden aus? Maryury antwortet nachdenklich, aber bestimmt: «Man lernt im Jetzt zu leben und immer sein Bestes zu geben. Ausserdem muss man lernen, die Arbeit vom Privaten zu trennen und eine gewisse Distanz zu entwickeln.» Der Austausch untereinander sei wichtig, das Reden darüber. Wenn jemand das Zentrum verlassen muss, werde oft gefeiert. Entsprechend den Bedürfnissen der Person. Das könne ein Konzert sein, eine Kinderparty mit Kuchen und Ballonen. «Einmal haben wir einen Karaoke-Abend veranstaltet, der Austretende hat eine Rap-Einlage gegeben, die war richtig gut.» Maryury liegen die Menschen am Herzen, das merkt man. «Das Ritualisieren von Abschieden ist uns wichtig, wir möchten ihnen etwas Besonderes und viel Positivität mitgeben, keine Traurigkeit.»