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Von Horizonterweiterung und Freundschaft – eine Tandem-Geschichte

Dominik und Daria sind der perfekte Match. Seit rund einem Jahr sind die beiden im sogenannten Tandem unterwegs, einem Freiwilligenprogramm für Geflüchtete. Inzwischen ist sogar eine Freundschaft entstanden.

Daria und Dominik
Aus dem Tandem wurde Freundschaft: Daria und Dominik

Er (67), pensionierter Projektleiter bei der Stadt Zürich, jetzt Freiwilliger bei der AOZ, interessiert sich für Geschichte, Kunst, Kultur und Sport. Sie (33), Kulturwissenschaftlerin und Künstlerin ist aus der Ukraine geflüchtet und will ihr Deutsch verbessern, die Schweiz verstehen, sich integrieren. Besser könnte es kaum passen. Über das Tandemprogramm der AOZ haben die beiden zusammengefunden. Dabei verbringen ein*e Freiwillig*er und eine geflüchtete Person jede Woche zwei bis drei Stunden miteinander. Ziel: Die Integration erleichtern – zum Beispiel durch Deutsch üben, Unterstützung bei der Job- oder Wohnungssuche oder gemeinsame Freizeitaktivitäten. «Mein Hauptziel war es, mein Deutsch zu verbessern. Zweitens bin ich daran interessiert, mehr über das Land zu erfahren, in dem ich seit zweieinhalb Jahren lebe», sagt Daria in fast schon zu gutem Deutsch mit ukrainischem Akzent. Tatsächlich habe das Programm all ihre Erwartungen übertroffen. Dominik und seine Frau Anna hätten Daria, ihren Mann und die beiden Kinder praktisch in die Familie aufgenommen. «Ich bin sehr glücklich und dankbar für dieses Geschenk», sagt Daria.

Die 33-Jährige sprudelt vor Energie und Tatendrang. Sie hat bereits «Die Geschichte der Schweiz» von Volker Reinhardt gelesen. Aber die trockene Theorie hat ihr nicht gereicht. Die Kulturwissenschaftlerin wollte es genauer wissen. «Die Geschichten über Dominiks und Annas Kindheit und aus ihrem Leben sind für mich sehr interessant. Wie fühlen die beiden? Diese andere Sichtweise, das hilft mir, die Schweiz zu verstehen.» Gemeinsam besuchen die beiden Museen und Ausstellungen, unternehmen Spaziergänge – und reden über Literatur, Kunst, Geschichte und das Weltgeschehen. 

Bereicherung für beide Seiten

Die gemeinsamen Interessen kommen nicht von Ungefähr. Das Freiwilligen-Team der AOZ sucht bei der Zusammenführung der Tandems nach möglichst vielen Gemeinsamkeiten. Die entsprechenden Ziele und Interessen werden bereits bei der Anmeldung abgefragt. «Das trägt sehr zum Gelingen der Tandems bei», sagt Friederike Salzmann, Leiterin Tandemprogramm. So viel Übereinstimmung wie bei Daria und Dominik gibt es natürlich nicht bei jedem Tandem. Dennoch sind die Rückmeldungen fast immer positiv. «Das Tandem unterstützt Geflüchtete, indem es sie motiviert und stärkt. Es hilft ihnen dabei, soziale Isolation zu überwinden», sagt Friederike Salzmann. Und auch die Freiwilligen profitieren: «Nicht nur, weil sie etwas Gutes für jemanden tun, sondern auch, weil die Begegnungen sie persönlich bereichern. Sie erweitern den Horizont.» 

Gemeinsame Lektüre

Dominik bestätigt: «Das Tandemprogramm ermöglicht eine neue Perspektive, die Begegnung mit neuen Menschen. Man lernt neue Kunst, neue Geschichten und eine neue Gesellschaft kennen, die diese Menschen geformt haben. Ich hätte die Ukraine und ihre Menschen ohne das Tandem mit Daria und ihrer Familie nie in dieser Tiefe kennengelernt.» Im Moment lesen die Dominik und Daria parallel die Trilogie einer ukrainischen Schriftstellerin: Das Amadoka-Epos von Sofija Andruchowytsch. Die Roman-Trilogie umfasst ein Jahrhundert ukrainischer Geschichte. Eine spannende Lektüre für beide. Noch wertvoller aber sei der Austausch über das Buch. 

Die gemeinsame Lektüre auf diesem Niveau sei für ein Tandem allerdings eher die Ausnahme, sagt Friederike Salzmann. «Natürlich achten wir auf möglichst viele Gemeinsamkeiten. Aber unter den interessierten Geflüchteten sind auch zahlreiche Personen, die in ihrer Heimat nicht einmal zur Schule gehen konnten», erklärt sie. Der Austausch sei dennoch immer bereichernd. Aber man dürfe keine falschen Erwartungen haben. Auch Dominik hätte nie erwartet, dass aus dem Tandem eine solche Freundschaft wachsen würde. Damals, frisch pensioniert, wollte er vor allem etwas Sinnvolles mit seiner Zeit anfangen. «Ich hatte die Vorstellung, dass ich eine etwas pädagogischere Rolle habe, mehr Wegweiser oder Guide sein würde. Aber Daria muss man nicht an die Hand nehmen. Es ist ein Austausch auf Augenhöhe», sagt der 67-Jährige.

Grosse Zukunftspläne

Als nächstes wollen die beiden ins Kino: «20 Tage in Mariupol» – ein Dokumentarfilm über die Zerstörung der ukrainischen Hafenstadt. Keine leichte Kost. Die Situation in ihrer Heimat ist für Daria schwer zu ertragen. Doch anstatt auf die ungewisse Zukunft konzentriert sie sich auf ihre Ziele und Pläne: «Ich weiss nicht, was mit meiner Familie passiert, oder wo wir leben werden. Aber ich weiss, dass die Erinnerung an Dominik und Anna, diese wunderbaren Menschen, immer in meinem Herzen sein wird.» Schmunzelnd fügt sie an: «Und vielleicht sogar in dem Buch, das ich eines Tages in fabelhaftem Deutsch schreiben werde.»

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