Es ist ein verregneter Mittwochmorgen, als ich mich auf den Weg nach Rikon mache, um Martin Furrer zu treffen. Das Dorf im Tösstal scheint mir zunächst verlassen, und der vorbeiziehende Regenschauer verleiht dem Tag etwas Trostloses – bis ich Martin treffe. Mit seinem gewinnenden Lachen begrüsst er mich in seinem Zuhause, lädt mich sogleich ein, ihm in die Werkstatt zu folgen – und vergessen ist das trübe Wetter. Begeistert beginnt er zu erzählen: «Ich brauche meine Werkstatt. Sie gibt mir die Möglichkeit einer kurzen Auszeit.» In dieser Auszeit baut Martin vor allem eines: Alphörner. Vor acht Jahren begann er mit diesem Handwerk, nachdem seine Frau ihm einen Schnupperkurs bei einem Alphornlehrer geschenkt hatte. «Bis dahin dachte ich, ich sei unmusikalisch» – doch der Schnupperkurs belehrte ihn eines Besseren.
So lernt Martin nicht nur, das Alphorn zu spielen, sondern auch, es zu bauen. Er gründet seine eigene Firma und baut die Instrumente fortan auf Anfrage. «Etwa hundert Stunden Arbeit stecken in so einem Alphorn», sagt Martin. Hier ist alles Handarbeit, Massenproduktion gibt es nicht. Martin geht auf die individuellen Wünsche seiner Kundschaft ein, und so ist jedes seiner Alphörner ein Unikat. «Ich versuche mich bewusst vom Kommerz abzugrenzen.» Das fängt bereits bei der Holzauswahl für das Alphorn an, denn das Holz bestimmt die Qualität und den Klang eines Alphorns. «Ich verwende Mondholz.» Ja, richtig gelesen. Mondholz ist Holz, das abgestimmt auf den Mondkalender geerntet wird. Martin erklärt, dass die Gezeiten einen Einfluss auf das Wachstum der Bäume haben, indem der Mond das Wasser in den Bäumen bewegt. Auch die Jahreszeiten spielen dabei eine Rolle. Es gilt also, das Holz zum optimalen Zeitpunkt – in der sogenannten Saftruhe – zu ernten. «Den richtigen Baum fürs Alphorn zu finden, ist gar nicht so einfach», fährt Martin fort. «Stimmen muss neben der Holzqualität nämlich auch die Dicke des Baums, denn zuallererst brauche ich ein breites Brett, aus dem ich das Alphorn schnitzen kann.»
Martins Begeisterung für dieses Handwerk ist ansteckend. Doch das Spielen sei genauso reizvoll wie das Bauen. «Alphorn zu spielen, erdet mich», sagt Martin. Zum Beispiel, wenn er sein Alphorn – es lässt sich auseinandernehmen – in einen Rucksack packt und mit dem Töffli an ein idyllisches Plätzchen fährt. «Es gibt nichts Schöneres, als in der Natur Alphorn zu spielen und in die weite Welt hinauszuschauen. In solchen Momenten wird mir immer wieder aufs Neue bewusst, wie schön wir es hier haben.»
Beim Alphornspielen geht es Martin um mehr als nur Musik. «Jedes Musikstück erzählt eine Geschichte», sagt Martin. Die Art und Weise, wie diese Geschichte erzählt werde, sei sehr individuell: «Es ist immer eine Interpretationssache und hängt von der eigenen Persönlichkeit ab.» Spannend wird das insbesondere beim gemeinsamen Musizieren im Alphorn-Grüppli, wenn die unterschiedlichen Vorstellungen zum Musikstück vereint werden sollen. Dies erfordert Übung – sowohl in der Gruppe als auch individuell. Steht Martin als Berufsfeuerwehrmann bei SRZ im Dienst, nutzt er die Präsenzzeit oft zum Üben. «In der Wache Süd übe ich beispielsweise in der Schlauch-Waschanlage. Dort störe ich niemanden», gesteht er schmunzelnd. Grundsätzlich ist Martin aber kein Mensch, der sich versteckt. Im Gegenteil: «Ich trage das Herz auf der Zunge. Wenn mir etwas nicht passt, dann sage ich das ehrlich.» Es sei ihm wichtig, sich nicht zu verdrehen. «Wenn ich morgens in den Spiegel blicke, dann sehe ich Martin Furrer. Wenn ich abends wieder vor dem Spiegel stehe, dann möchte ich immer noch denselben Martin Furrer sehen.»
Neben der Musikalität und der Authentizität zeichnet sich Martin durch schier unerschöpfliche Kreativität und handwerkliches Geschick aus. Das Haus, in dem er mit seiner Frau und seinen zwei Kindern lebt, hat er selbst umgebaut. Innert acht Monaten hat er das ehemalige Bauernhaus in ein Wohnhaus verwandelt: Wände herausreissen, Böden verlegen, Treppen umbauen, Möbel schreinern, Fenster in Türen einbauen. Woher hat Martin all das Wissen? «Das weiss man einfach», antwortet er schulterzuckend. «Als gelernter Sanitärmonteur habe ich sicher ein wertvolles Vorwissen. Zudem hat mich mein Vater, der Schreiner war, beim Umbau unterstützt.» Schon als Kind hat Martin ihm in der Werkstatt über die Schulter geschaut und dabei viel gelernt. Dennoch war die Zeit des Umbaus kein Zucker schlecken. «Zu diesem Zeitpunkt war ich gerade fertig mit der Ausbildung zum Berufsfeuerwehrmann und begann mit der Schichtarbeit. So habe ich jede freie Minute in den Umbau investiert», erzählt Martin.
Kann Martin auch stillsitzen? «Schwierig», lacht er. «Ich muss mich beschäftigen. Ich kann nicht einfach herumsitzen und ein Buch lesen.» Es liegt auf der Hand: Wer so viel Tatendrang und Kreativität in sich trägt, der muss die überschüssige Energie auch einmal loswerden können. Nimmt diese einmal überhand, so hilft Martin der Sport. Biken, Snowboarden, Klettern oder: Fallschirmspringen. «Das Fallschirmspringen gibt mir ein Gefühl von Freiheit.» Und ordentlich Adrenalin, vermute ich. Doch weit gefehlt. «Mittlerweile spüre ich beim Springen keine Nervosität mehr.» Also kein Adrenalinjunkie? Martin schmunzelt: «Doch, scho bizli.» Martins Energiespeicher scheint mir unendlich gross zu sein. Doch so aktiv und aufgeweckt er wirkt, auch Martin muss ab und an Energie tanken. «In diesen Momenten fahre ich nach Arosa ins Ferienhaus.» Arosa ist Martins Kraftort, wo er nichts muss und ausschliesslich darf. Im Dorf ist er bestens integriert: «Ich setze mich mit den Menschen auseinander und habe mir ein Netzwerk aufgebaut. Ich treffe mich gern mit den Einheimischen und gehe mit ihnen in den Ausgang. Arosa gibt mir ein Heimatgefühl.» Die Uhr schlägt zwölfmal und Martin erhebt sich. «Zeit, Zmittag zu kochen.» Auch das ist für den engagierten Vater kein Problem. Hörnli mit Ghackets stehen auf dem Programm. Danke, Martin, für das inspirierende Gespräch und deine Offenheit. Es war mir eine Freude.