In der Notfallgrundversorgung steigen die Zahlen der Patient*innen seit mehreren Jahren. Öfter als früher alarmieren heute Personen mit leichten Erkrankungen und Verletzungen den Rettungsdienst. Dadurch werden Rettungswagen und Rettungssanitäter*innen gebunden und stehen weniger schnell für zeitkritische Notfälle zur Verfügung. Deshalb startete SRZ 2021 mit einem Vorprojekt und anschliessend mit dem Projekt Piloteinführung von Präklinischen Fachspezialist*innen (PFS).
Die Einsätze sind vielseitig und oft sehr komplex. Unsere Patient*innen sind eher älter und leiden meist an chronischen Erkrankungen, teilweise mit einer akuten Verschlechterung oder einer zusätzlichen akuten Erkrankung. Es gibt aber auch jüngere Patient*innen, die bei akuten Gesundheitsproblemen unsere Hilfe suchen. Unser Einsatzspektrum liegt vor allem im Bereich von allgemeinen Schmerzen, Schwindel, Magen-Darm-Beschwerden, Verschlechterung des Allgemeinzustands, Infekten, Wundmanagement und psychiatrischen Erkrankungen. Ebenso unterstützte ich bereits Patient*innen in palliativen Situationen, bei denen das aktuelle Setting nicht mehr funktionierte. Als PFS habe ich die Zeit, mich vertieft mit den medizinischen oder sozialen Problemen der Patient*innen zu beschäftigen und klientenzentrierte Lösungen zu finden. Auch die Nachsorge ist wichtig: Ich erkundige mich in der Regel später nochmals telefonisch nach ihrem Befinden.
Mein Ziel ist, Patient*innen mit leichten Beschwerden so weit medizinisch zu versorgen, dass sie zu Hause im gewohnten Umfeld bleiben oder zu einem späteren Zeitpunkt selbstständig eine medizinische Fachperson oder eine Institution aufsuchen können, ohne einen Rettungswagen zu beanspruchen. Zudem unterstütze ich bei der Organisation von Anschlusslösungen wie der Überweisung an Hausärzt*innen oder der Weiterbetreuung durch die Spitex.
Ich bin jemand, die sich gern weiterentwickelt und -bildet. Ausserdem sehe ich die Problematik im Rettungswesen, dass das Einsatzvolumen in den letzten Jahren konstant angestiegen ist, die Rettungswagen aber immer mehr durch leichtere Fälle blockiert werden. Der Rettungswagen bzw. die dipl. Rettungssanitäter*innen sind in diesen Fällen oft nicht die richtige Wahl, weil Ressourcen, Kompetenzen, Fähigkeiten und Material fehlen, um die Patient*innen adäquat zu behandeln. Deswegen war ich sofort motiviert, im Projekt mitzuwirken. Es macht mir grosse Freude, als PFS gemeinsam mit den Patient*innen eine Lösung für ihre Probleme zu finden und sie behandeln zu können.
Anja Bodenmann, Präklinische Fachspezialistin, Flavia Bütler, Abteilungsleiterin Bildung Sanität und Projektleiterin sowie Michael Schumann, Bereichsleiter Sanität und Projektauftraggeber geben im Interview Auskunft zum Projekt PFS.
Neben der Zunahme an Patient*innen ist auch der Rettungsdienst von SRZ – wie viele andere – vom Fachkräftemangel betroffen. Wollen wir als Arbeitgeberin attraktiv sein, müssen wir unseren Mitarbeitenden vielseitige Perspektiven für die persönliche und berufliche Weiterentwicklung bieten. Die Weiterentwicklung zur*zum PFS ist für Rettungssanitäter*innen eine Möglichkeit. Ausserdem leisten wir einen Beitrag an die herausfordernde Situation im Gesundheits- und Rettungswesen und tragen mittel- bis langfristig zu einer Kostenreduktion bei. Diese gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und rettungsdienstlichen Entwicklungen haben mich dazu bewogen, bereits 2021 den ersten Projektauftrag für das Vorprojekt zu erteilen.
Mit der Einführung von PFS passen wir unsere Einsatztaktik an. PFS-Einsätze sind keine zusätzlichen Einsätze, sondern solche, die der Rettungsdienst sowieso bewältigen würde. Mit den PFS verteilen und disponieren wir die Einsätze intern anders. Wir können unsere Mitarbeitenden und die Einsatzmittel gezielter einsetzen und schneller für zeitkritische Notfälle zur Verfügung stellen.
Die beiden PFS haben im Prozess von Beginn weg mitgewirkt, und so konnten wir sie intensiv auf die grossen Veränderungen vorbereiten. Die Einsatzleitzentrale (ELZ) von SRZ musste in der standardisierten Notrufabfragesoftware technische Anpassungen vornehmen. Die bestehenden Notrufabfragebäume wurden ergänzt bzw. neu erstellt und implementiert. Oberste Priorität hatte, dass die Triage im Notrufgespräch weiterhin gut funktioniert. Die Schulung der Mitarbeitenden der ELZ erfolgte anschliessend anhand von Lernmodulen auf der Lernplattform. Ausserdem wurden alle Mitarbeitenden in den ersten Wochen nach der PFS-Einführung direkt am Arbeitsplatz begleitet und gecoacht. Damit wurde sichergestellt, dass die neuen Prozesse funktionieren, und allfällige dringende Anpassungen hätten zeitnah umgesetzt werden können.
Im Verlauf des Projekts wurden wir mit verschiedenen Herausforderungen konfrontiert. Für die Piloteinführung brauchte es eine Ausnahmebewilligung der Verordnung über das Rettungswesen (RWV) durch die Gesundheitsdirektion Kanton Zürich. Dazu reichten wir diverse Dokumente ein und legten dar, wie wir uns die Umsetzung vorstellen. Dazu gehörten Angaben zum Kompetenzerwerb, zur Kompetenzdelegation durch die ärztliche Leitung, zur Einsatzabfrage und Disposition, zu rechtlichen Aspekten sowie zu Material und Fahrzeug. Die Einreichung der Unterlagen erforderte von allen Beteiligten einen grossen Effort. Das Projekt betrifft ausserdem eine Vielzahl von Stakeholdern, die für das Vorhaben gewonnen werden mussten. Innerhalb von SRZ sind Einsatzkräfte sowie Mitarbeitende aus den verschiedensten Abteilungen beteiligt. Das erfordert von allen eine hohe Flexibilität und grosses Engagement, um die Extrameilen zu gehen.
Das Projektteam hat sich seit dem Projektstart im Jahr 2021 verändert, einige sind aber seit der ersten Stunde dabei. Es ist ein besonderes Projekt. Wir hatten Visionen und Ideen, mussten auf dem Weg auch Unklarheiten und Ungewissheiten aushalten. Wir konnten viel Neues ausprobieren und unkonventionelle Lösungen in Betracht ziehen. Ich spüre nach wie vor das Feuer im Projektteam, und es ist schön, zu sehen, wie die vielen Stakeholder zum Gelingen beitragen.
Nun liegt die Bewilligung vor, die ersten PFS haben den Kompetenzerwerb abgeschlossen und rücken aus. Wir stehen aber noch mitten im Projekt. Aktuell arbeiten wir die Details aus und optimieren weiter. Zudem werden wir jährlich eine Auswertung und Berichterstattung zuhanden der Gesundheitsdirektion erstellen.
- PFS sind ausgebildete Rettungssanitäter*innen mit spezifischer Weiterbildung von 1800 Stunden.
- Sie rücken allein und mit einem kleinerem Fahrzeug ohne Sondersignal aus.
- PFS führen teilweise anderes/zusätzliches Material mit als im Rettungswagen.
- PFS transportieren keine Patient*innen.
- Sie haben durch ihre erweiterten Kompetenzen mehr Möglichkeiten, Patient*innen vor Ort zu untersuchen und zu behandeln (z. B. Medikamentenabgabe, Diagnostik).