Silke Eichberg ist eine von fünf Geriater*innen, die bei den Gesundheitszentren für das Alter im Konsiliar- und Liaisondienst tätig sind. Alle vier Wochen sind sie in einem Betrieb mit hausärztlicher Versorgung einen halben Tag vor Ort. Nach einer erfolgreichen Pilotphase mit fünf Betrieben von November 2022 bis Ende 2023 wurde der Konsiliar- und Liaisondienst im April 2025 auf alle Betriebe mit Schwerpunkt «Wohnen im Alter» ausgeweitet. Im Interview spricht Silke Eichberg über die Hintergründe, erste Erfahrungen und die Vorteile für Pflegeteams und Versorgungsqualität.
Silke, was umfasst der Konsiliar- und Liaisondienst und was hat sich verändert?
Im Rahmen des Konsiliardienstes ist es die Aufgabe der Geriater*innen, punktuell zu besonderen Fragestellungen zu beraten und Bewohnende zu beurteilen. Dabei geht es um Themen wie Kognition, Mobilisation, Psyche, Schmerzen und Ernährung. Den Konsiliardienst gibt es bei den Gesundheitszentren bereits seit 17 Jahren. Bisher wurde er über das Waidspital, später durch Dr. med. Sacha Beck (Age Medical) sichergestellt, neu nun gemeinsam mit Sacha Beck und uns internen Geriater*innen. Die Neuerung betrifft primär den Liaisondienst, der kontinuierlich stattfindet. Er verbindet die Versorgung der Bewohnenden sowie die Fortbildung und Unterstützung der Pflegeteams durch eine regelmässige ärztliche Präsenz in den Betrieben.
Welchen Nutzen bietet der Liaisondienst?
Der Liaisondienst stärkt die Pflegeteams, indem er die interprofessionelle Zusammenarbeit fördert, die spezifische Beratung intensiviert und den regelmässigen Austausch mit einer Geriaterin oder einem Geriater ermöglicht. Für die Pflegeteams hat das den Vorteil, dass sie in komplexen Situationen ärztliche Unterstützung haben und auch die Prävention in den Fokus gerückt wird.
Was wird konkret für die Prävention getan?
Um der Prävention mehr Gewicht zu geben, sind wir dabei, in den Betrieben mit Schwerpunkt «Wohnen im Alter» geriatrische Screenings einzuführen. Wir möchten erreichen, dass der Gesundheitszustand jeder Bewohnerin und jedes Bewohners jährlich anhand eines geriatrischen gewichteten Fragebogens geprüft wird, damit wir schneller auf Veränderungen reagieren können. Der Geriater oder die Geriaterin schult die Pflegeteams für die Durchführung der Screenings. Die Ergebnisse daraus werden dann gemeinsam ausgewertet, und das weitere Vorgehen wird besprochen.
Welchen Vorteil haben die geriatrischen Screenings?
Die ärztliche Versorgung in den Betrieben mit Schwerpunkt «Wohnen im Alter» wird ausschliesslich durch Hausärzt*innen gewährleistet, die über unterschiedliches Wissen zu geriatrischen Themen verfügen. Indem wir in den Betrieben geriatrische Screenings durchführen, werden auch geriatrische Fragestellungen thematisiert. Wir können eine Kontinuität gewährleisten und verbessern die Versorgungsqualität durch gezielte Prävention.
Wie schulst du in Bezug auf das geriatrische Screening?
Wenn ich den Pflegemitarbeitenden das Screening vorstelle, gehe ich den Fragebogen Punkt für Punkt durch und erläutere, warum wir etwas abfragen. Ich gebe praktische Beispiele, die aufzeigen, welche Massnahmen in welchem Fall getroffen werden können. Zudem erhalten die Mitarbeitenden eine Erklärung zum Fragebogen, in der mögliche Massnahmen gebündelt abgebildet sind. Mir ist wichtig zu betonen, dass es nicht darum geht, stur einen Fragebogen abzuarbeiten, sondern Punkte abzufragen – und idealerweise mit früheren Ergebnissen abzugleichen –, die man im Alltag unter Umständen nicht mitbekommt, wenn man nicht gezielt danach fragt. Wenn ich als Pflegefachperson jedoch aus der Praxis bereits weiss, wie mobil zum Beispiel jemand ist und das Aufstehen bewältigt, kann ich schon daraus schliessen, wie hoch das Sturzrisiko einzuschätzen ist. Der Screening-Bogen dient in diesem Zusammenhang dazu, gezielt Beobachtungen und Wahrnehmungen aus dem Arbeitsalltag mit den Bewohnenden zu dokumentieren.
Hast du ein Beispiel für einen Punkt, der ohne Screening vergessen gehen könnte?
Nehmen wir die Zahngesundheit. Mit dem Screening stellen wir sicher, dass der Bewohner oder die Bewohnerin regelmässig eine zahnärztliche Untersuchung bekommt. Das ist wichtig, da schmerzende Zähne weitreichende Folgen haben. Man isst dadurch nicht richtig und zu wenig. Das kann zu einer Mangelernährung führen, was wiederum einen Abbau der Muskulatur nach sich zieht, wodurch die Sturzgefahr steigt. Für die Zahn- und Augengesundheit arbeiten wir verstärkt mit mobilen Angeboten zusammen, um die Kontrollen zu erleichtern.
Ein Absatz im Screening widmet sich dem kognitiven Status. Warum ist es besonders wichtig, hier gezielt hinzuschauen?
Bei vielen Bewohnenden fallen die kognitiven Einschränkungen im Alltag nicht so auf. Die Kognition muss darum gezielt überprüft werden. Im Screening wird zum Beispiel nach dem aktuellen Jahr gefragt. Eine Bewohnerin meinte auf diese Frage einmal erbost: Sie wisse natürlich, welches Jahr wir hätten. Das sei doch Allgemeinwissen. Solche ausweichenden Antworten sind bei Menschen mit kognitiven Störungen nicht selten zu beobachten. Die Angaben aus dem geriatrischen Screening ermöglichen noch keine Diagnosestellung, sie zeigen aber auf, ob weitere Abklärungen nötig sind – zum Beispiel eine Kognitionsabklärung durch eine*n Geriater*in oder in der Memory Clinic.
Was ist nötig, damit sich die Screenings in einem Betrieb etablieren?
Es ist ein Prozess, der Zeit braucht. Das Bewusstsein für geriatrische Themen muss von allen Seiten vorhanden sein. Die Betriebe, die bereits beim Pilotprojekt dabei waren, haben diesbezüglich natürlich einen Vorsprung, andere sind noch ganz am Anfang. Vonseiten der Pflege sind vor allem Interesse und Offenheit wichtig.
Ein wichtiger Aspekt des Liaisondienstes ist die Zusammenarbeit zwischen der Pflege und den verschiedenen Hausärzt*innen. Wer hat hier welche Rolle inne?
Die Hausärzt*innen bekommen von uns Geriater*innen Berichte mit Empfehlungen, oder es findet ein telefonischer Austausch statt. Die Pflegemitarbeitenden haben dann die Aufgabe, mit den Hausärzt*innen die Umsetzung zu besprechen und sich daran zu beteiligen. Die Pflege steht also bei der Zusammenarbeit im Zentrum und fungiert als Vermittlerin. Durch die Zusammenarbeit mit den Geriater*innen werden die Pflegemitarbeitenden in ihrer Position gestärkt. Sie profitieren vom medizinischen Fachwissen, das sie in der Zusammenarbeit mit den Hausärzt*innen einbringen können.
Was sind die Vorteile der Zusammenarbeit zwischen Pflege und Geriater*innen?
Die Zusammenarbeit hat zum Beispiel positive Auswirkungen auf die Kommunikation zwischen Haus*ärztinnen und Pflege. Sie gestaltet sich dadurch klarer und effizienter, was wiederum eine bessere Beurteilung und eine schnellere Reaktion ermöglicht bei gesundheitlichen Veränderungen der Bewohnenden. Das ist für alle Seiten ein Gewinn und trägt zur Versorgungsqualität bei. Ich freue mich sehr über positives Feedback von den Pflegemitarbeitenden. Wenn sie zum Beispiel berichten, dass die Zusammenarbeit mit den Hausärzt*innen erfolgreich war und sie etwas an der Situation eines Bewohners verändern konnten.
Gibt es weitere Vorteile für die Pflege?
Durchaus. Ich bin der Ansicht, dass die verstärkte interprofessionelle Zusammenarbeit auch positive Folgen für das Rollenbild, die Haltung und die Sinnhaftigkeit der Pflege hat. Sinnfindung ist für alle Menschen und in jedem Lebensabschnitt ein zentrales Thema. Bei den Bewohnenden geht es unter anderem um grundlegende Fragen wie: Was möchte ich überhaupt noch vom Leben? Wofür bin ich dankbar? Was gibt meinem Alltag Sinn? Diese Differenzierung machen zu können und die Bewohnenden dabei zu unterstützen und zu begleiten, ist in hohem Masse sinnstiftend.
Was würdest du einer Organisation empfehlen, die einen Liaisondienst einführen möchte?
Es ist wichtig, ein Vorgehen und Ziele zu definieren. Am Ende muss man aber von Team zu Team schauen, was möglich ist. Man kann nicht pauschal vorgehen, sondern muss das Tempo den Möglichkeiten anpassen. Bei uns ist in den Betrieben jeweils eine Pflegefachperson als Ansprechperson für die Konsilien verantwortlich und als solche über alle Fragestellungen informiert. Idealerweise übernimmt stets dieselbe Person diese Aufgabe, um eine kontinuierliche Kommunikation und eine zentrale Informationssammlung zu gewährleisten. Aus Ressourcengründen lässt sich das aber nicht immer so umsetzen.
Was sind deine bisherigen Erkenntnisse?
Der Konsiliar- und Liaisondienst ist ein Gewinn, da er die Möglichkeit bietet, einen zusätzlichen – nämlich einen geriatrisch ausgerichteten – Blick auf die Situationen der Bewohnenden zu werfen. Gleichzeitig ist die Vernetzung für Pflege, APN und Ärzt*innen eine Herausforderung, der wir uns aber unbedingt stellen müssen, denn das Gesundheitssystem und die Anforderungen werden sich künftig stark verändern. Es wird immer wichtiger, vernetzt, ganzheitlich und transparent zu arbeiten, um bei zunehmender Komplexität der gesundheitlichen und sozialen Themen der Bewohnenden eine adäquate Betreuung, Pflege und Versorgung gewährleisten zu können.
Die Gesundheitszentren für das Alter verfolgen mit der Einführung des Konsiliar- und Liaisondienstes in Betrieben mit Schwerpunkt «Wohnen im Alter» das Ziel, die Pflegeteams bei komplexen Bewohnendensituationen zu unterstützen – auch hinsichtlich geriatrischer Fragestellungen oder medizinischer Qualitätsindikatoren der Langzeitpflege wie etwa der Polymedikation. Zudem bietet der Konsiliar- und Liaisondienst Unterstützung bei der präventiven geriatrischen Pflege, zum Beispiel anhand des geriatrischen Screenings.