Seit rund drei Jahren ist Roger Häfliger Mitarbeiter bei der Gerontologischen Beratungsstelle SiL und seit vergangenem Jahr daneben Fachexperte Psychiatrie. Nach seiner Lehre als Hochbauzeichner arbeitete er einige Jahre auf dem Beruf. Doch bereits mit 25 Jahren orientierte er sich neu: Auf der Suche nach einem spannenden Beruf mit Zukunft nah am Menschen ist er auf die vierjährige Ausbildung zum psychiatrischen Krankenpfleger aufmerksam geworden und hat sie an der Psychiatrischen Universitätsklinik (PUK) absolviert. Nach Stationen in der Erwachsenenpsychiatrie und im Akutspital, wo er zuletzt als Stationsleiter tätig war, zog es ihn als Teamleiter mit Fokus Psychiatrie zur Spitex. Dort wurde ihm bewusst, dass er weg möchte von der personellen Führung, um wieder näher am Menschen zu arbeiten. Nach zehn Jahren als Pflegefachmann mit Schwerpunkt Gerontologie und Gerontopsychiatrie bei der Spitex wechselte er zur Gerontologischen Beratungsstelle SiL.
Roger, du bist seit drei Jahren zu 80 % bei der Gerontologischen Beratungsstelle SiL angestellt. Wie kam es zur zusätzlichen Funktion als Fachexperte Psychiatrie?
Vor rund einem Jahr wollte ich mein Pensum auf 100 % erhöhen. In diesem Zusammenhang war ich mit der ärztlichen Direktorin, Gaby Bieri, im Austausch. Sie wusste von meinem Hintergrund als Psychiatriepfleger und fragte mich, ob ich interessiert sei, die 20 % als Fachexperte Psychiatrie für die Gesundheitszentren mit Schwerpunkt «Wohnen im Alter» tätig zu sein. Wenn bei den Gesundheitszentren bekannt ist, dass jemand zusätzliche oder vertiefte Kompetenzen in einem Bereich hat, wird geschaut, ob und wie diese Kompetenzen eingesetzt werden können. Das schätze ich sehr.
War diese Zusatzaufgabe für dich von Anfang an eine Option?
Die Aufgabe reizte mich definitiv. Ich hatte in meiner beruflichen Laufbahn ältere Menschen oft im Fokus – meist waren es Menschen, deren Verhalten aus kognitiven oder anderen Gründen nicht konform war. Für den Umgang mit ihnen half mir meine Haltung aus der Psychiatrie jeweils sehr. Mit Menschen zu arbeiten und Beziehungen sowie Milieus zu gestalten, war für mich der Anreiz, um aus der Führung auszusteigen.
Was schätzt du an dieser kombinierten Aufgabe besonders?
Ich kann mir sehr viel selbst einteilen und habe viele Freiheiten. Sei es als Mitarbeiter bei der SiL oder als Fachexperte Psychiatrie. Mir wird sehr viel Vertrauen entgegengebracht und ich habe verschiedene Möglichkeiten, mit Menschen in Kontakt zu kommen und mit ihnen zu arbeiten. Für mich ist das eine ideale Kombination, wenngleich die rollende Planung mit den Betrieben in Kombination mit meiner Haupttätigkeit durchaus gewisse Herausforderungen mit sich bringt.
Wie sieht deine Funktion als Fachexperte Psychiatrie aus?
Es gibt bei den Gesundheitszentren weitere Fachexpert*innen Psychiatrie, aber ich bin der Einzige, der ausschliesslich mobil unterwegs ist. Ich bin für die verschiedenen Betriebe mit Schwerpunkt «Wohnen im Alter» zuständig und geniesse es, dass mein Arbeitsort ganz Zürich ist. Meine Tätigkeit als Fachexperte Psychiatrie ist zweigeteilt: Zum einen bin ich alle drei Wochen fix für circa einen Nachmittag in drei verschiedenen Gesundheitszentren tätig, zum anderen komme ich oder ein*e andere*r Fachexpert*in Psychiatrie zum Einsatz, wenn einer der übrigen Betriebe Bedarf hat.
Wie kommt es, dass du in manchen Betrieben fixe Einsätze hast?
Wenn meine Expertise in einem Betrieb regelmässig gefragt ist, ist es sinnvoll, eine stabile Zusammenarbeit aufzubauen. Das erleichtert den Austausch sehr: mit den Bewohnenden, aber auch mit der Pflege. Diese Kontinuität gibt uns allen eine gewisse Vertrautheit. Es ist wichtig, sich zu kennen, denn die Zusammenarbeit setzt von Leitung und Team viel Offenheit voraus.
Wie melden sich die Betriebe bei Bedarf?
Meist sind es Gruppenleiter*innen, die über ein internes Anmelde-Tool eine Anfrage machen, aber es können auch andere Mitarbeitende nach Rücksprache mit der Leitung sein. Ich besuche dann den jeweiligen Bewohner oder die jeweilige Bewohnerin, rede mit ihnen, schätze ein, was ich erlebe, und schaue, was es aus meiner Sicht braucht oder brauchen könnte. Ich gebe dann eine Empfehlung an die Pflege ab, manchmal im Rahmen einer Fallbesprechung. Es kommt auch vor, dass ich bei einem Konsil von den Psychiater*innen beigezogen werde. Zudem bin ich mit den drei Advanced Practice Nurses (APN), die tageweise in den verschiedenen Betrieben arbeiten, in regelmässigem Austausch und werde in manchen Fällen von ihnen dazugeholt. Diese enge Absprache zwischen uns ist wichtig, damit wir ein ganzheitliches Bild haben und unsere kombinierte Expertise einbringen können. Meine Erfahrungen trage ich dann im Pflegedokumentations-System ein zur Verlinkung im Pflegebericht, damit auch später alles nachvollziehbar ist.
In was für Fällen wirst du angefragt?
Die Mehrheit der Fälle betrifft Suchtthemen mit depressiven Symptomatiken. Es geht dann darum, was wir für den Bewohner oder die Bewohnerin tun können. Zudem werde ich zum Beispiel beigezogen bei Bewohnenden mit Schizophrenie oder manisch-depressiven Erkrankungen, etwa wenn sich ihr Zustand nach einer langen stabilen Phase verändert. Daneben geht es auch um Verhaltensauffälligkeiten. Selbstbestimmung ist natürlich wichtig. Wir müssen aber dennoch einen Rahmen setzen. Das betone ich auch den involvierten Teams gegenüber. Wir haben einen Versorgungsauftrag: Bei Verwahrlosung im Zimmer müssen wir einschreiten. Ich habe grossen Respekt vor den Pflegenden in den Betrieben, die teilweise mit einer enormen Spannweite an unterschiedlichen Bewohnenden zu tun haben. Allen gerecht zu werden, ist für Mitarbeitende und Leitung eine Herausforderung.
Was ist die Basis für eine gute Zusammenarbeit mit den Pflegeteams in den Betrieben?
Eine gute Feedbackkultur. Mir ist sehr wichtig, dass wir offen sein können miteinander. Ich bin bei meiner Arbeit auf Feedback angewiesen und nehme jede Rückmeldung sehr ernst. Die Pflegeteams verbringen sehr viel mehr Zeit mit den Bewohnenden als ich und haben dadurch Wissen, das ich nicht habe. Im Austausch mit den Pflegeteams denke ich manchmal einfach laut und schlage einen neuen Ansatz vor. Das heisst aber nicht, dass es genau so gemacht werden muss. Wenn das Team mit etwas nicht einverstanden ist, soll es das nicht umsetzen und stattdessen einen Ansatz wählen, von dem es überzeugt ist. Man muss ehrlich sagen können, was Sache ist. Nur so können wir herausfinden, welches Vorgehen etwas gebracht hat. Der Austausch muss leben, es muss Interaktion stattfinden, Resonanz erzeugt werden. Wenn man Wirkung erzielen will, ist man auf Rückmeldungen angewiesen.
Was können die Betriebe erwarten, wenn sie dich anfragen?
In meiner Funktion als Fachexperte Psychiatrie vertrete ich die Gesundheitszentren als Gesamtorganisation. Mit einem frischen Blick und meiner Erfahrung vergrössere ich die Palette an Handlungsmöglichkeiten. Ich gebe Gedankenanstösse und rege dazu an, aus dem genormten Denken herauszukommen und auch einmal ein ungewöhnliches Vorgehen zu probieren. Dazu fühle ich mich in Situationen hinein, passe mich an wie ein Chamäleon und entscheide situativ.
Deine Tätigkeit klingt sehr anspruchsvoll. Was schätzt du daran besonders?
Die Abwechslung. Ich finde meine Arbeit spannend und dankbar, weil sie gute Begegnungen und Gespräche ermöglicht – mit Bewohnenden und Pflegenden. Es kommt sehr viel Positives. Das Schönste an meiner Arbeit ist, dass ich mit verschiedensten Menschen in Kontakt komme, die unterschiedliche Hintergründe mitbringen. Vielseitiger kann man kaum arbeiten.
Ist eine gewisse Lebenserfahrung zwingend für deine Arbeit?
Ich glaube, man muss ein Typ Mensch sein, der gut beobachten und zuhören kann und innere Klarheit darüber hat, was er möchte. Denn bei dieser Arbeit musst du einschätzen können, wie schnell du reagieren musst und was du machen darfst – auch wenn du nicht immer weisst, was grad passiert. Es nützt niemandem etwas, wenn du in Hektik gerätst oder dich ins Bockshorn jagen lässt. Ich wäre dafür in jüngeren Jahren nicht bereit gewesen. Aber es gibt sicher unabhängig vom Alter Menschen, die das alles mitbringen.
Was empfiehlst du Mitarbeitenden in der Pflege, wenn sie mit herausfordernden Situationen konfrontiert sind?
Ich ermutige sie, sich einzulassen und keine Angst zu haben, etwas zu versuchen. Bevor man handelt, lohnt es sich immer, das Motiv verstehen zu wollen. Warum provoziert jemand? Und warum provoziert mich etwas? Mir ist aber ebenfalls wichtig, die Mitarbeitenden darin zu bestärken, dass sie auch spontan richtig reagieren können. Dieses Wissen gibt eine enorme Sicherheit. Und nicht zu vergessen: Man darf sich nicht zu ernst nehmen. Die Arbeit nehme ich ernst, dabei verliere ich aber nicht meinen Humor.
Was ist für dich ein Erfolg?
Wenn ich im Team eine Diskussion anregen kann, die vorher noch nicht geführt wurde. Das Beste finde ich, wenn es mich nicht mehr braucht, wenn ich überflüssig werde. Ich mache meine Arbeit gerne, aber meine Vision ist, dass die Teams in den Betrieben sagen: «Es läuft, wir schaffen das». Auf dem Weg dorthin möchte ich sie unterstützen.
In den Gesundheitszentren für das Alter stehen Fachdienste für geriatrische und psychiatrische Anliegen zur Verfügung zur Unterstützung der Bewohnenden und der Teams, z. B. Advanced Practice Nurses / Pflegeexpert*innen, Geriatrischer Konsiliar- und Liaisondienst, Psychiatrischer Konsiliardienst, Fachexpert*innen Psychiatrie.