Stana Ducanovic ist seit Anfang 2023 Leiterin Betreuung und Pflege im Gesundheitszentrum für das Alter Dorflinde, einem Betrieb mit Schwerpunkt «Wohnen im Alter». Davor war sie Abteilungsleiterin im Gesundheitszentrum für das Alter Mattenhof, einem Betrieb mit Schwerpunkt «Spezialisierte Pflege». Zur Optimierung der Kommunikation zwischen Pflege und Hausärzt*innen wurde in Betrieben mit hausärztlicher Versorgung wie dem Gesundheitszentrum Dorflinde im Februar 2025 ISBAR eingeführt. Stana Ducanovic erzählt, wie sie die Einführung in ihrem Betrieb erlebt hat und was ihre bisherigen Erkenntnisse sind.
Stana, du kennst beides: Betriebe mit Schwerpunkt «Wohnen im Alter» und mit «Spezialisierter Pflege». Was ist in Bezug auf die Zusammenarbeit mit Ärzt*innen der grösste Unterschied?
In Betrieben mit Schwerpunkt «Wohnen im Alter» läuft die ärztliche Versorgung über die Hausärzt*innen der Bewohnenden. Das sind dann gerne 30 bis 40 verschiedene Hausärzt*innen. Betriebe mit Schwerpunkt «Spezialisierte Pflege» hingegen verfügen über festangestellte Ärzt*innen im Haus, die über easyDOK Zugang zur Pflegedokumentation haben und direkt z. B. Verordnungen tätigen. Der Austausch zwischen ihnen und der Pflege läuft meist mündlich und ist sehr eng und schnell, was die Zusammenarbeit sehr unkompliziert macht.
Was bedeutet das für Betriebe mit Schwerpunkt «Wohnen im Alter»?
Da keine Ärzt*innen fix vor Ort sind, müssen die Pflegefachpersonen gerade in Notfällen sehr schnell Entscheidungen treffen. Das verlangt ein hohes Mass an vernetztem Denken und Fachwissen – primär von den Pflegefachpersonen selbst, aber auch von den Fachpersonen Gesundheit, die mit ihnen zusammenarbeiten. Eine gute Kommunikation, der Wissenstransfer ins Team und eine nachvollziehbare Dokumentation sind sehr wichtig.
Die Zusammenarbeit aller Disziplinen ist generell sehr wichtig, Viele unserer Bewohnenden sind sehr selbstständig unterwegs, weshalb wir sie nicht zwingend jeden Tag sehen. Umso wichtiger ist, dass wir alle Beobachter*innen im Alltag sind: Nicht nur die Mitarbeitenden aus der Pflege, sondern auch aus der Hotellerie und aus der Administration. Wenn sich ein Bewohner ungewöhnlich verhält, wird sehr schnell die Pflege informiert.
In Notfallsituationen drängt die Zeit, wie geht ihr vor?
Die Pflegefachperson analysiert zusammen mit der Fachperson Gesundheit die Situation. Nach einem Sturz zum Beispiel wird geprüft, ob die Person bei Bewusstsein ist, ob der Blutdruck stabil ist und ob ein Verdacht auf eine Fraktur besteht. Ist die Situation ernst, wird der*die Notfallärzt*in angerufen. In anderen medizinischen Fragen arbeiten wir mit dem*der Hausärzt*in zusammen. Zum Beispiel dann, wenn sich der Allgemeinzustand eines Bewohners langsam verschlechtert.
In beiden Fällen kommt ISBAR zum Zug, aber unterschiedlich. Was hat es mit dem Instrument auf sich?
ISBAR ist ein Kommunikationsinstrument, das eine rasche und standardisierte Übermittlung von Informationen von der Pflege zum*zur Ärzt*in sicherstellt. Bei Notfällen kommuniziert die Pflegefachperson alle wichtigen Informationen mündlich per Telefon wie etwa Situation und Vitalzeichen. Das ermöglicht dem*der Ärzt*in, die Lage rasch einzuschätzen und die nächsten Schritte festzulegen. Als Hilfestellung für das Telefonat hat die Pflegefachperson eine sogenannte Pocketcard zu ISBAR dabei, an der sie sich orientieren kann.
Wie ist der Ablauf, wenn es sich nicht um einen Notfall handelt?
Auch dann kommt ISBAR zum Einsatz, allerdings in schriftlicher Form. Das ist zum Beispiel dann der Fall, wenn eine Hautveränderung festgestellt wurde oder die Schmerzmittel nicht mehr ausreichen. Die Pflegefachperson füllt dann das einseitige ISBAR-Formular aus, das alle wichtigen Informationen abfragt.
Ihr habt ISBAR im Februar eingeführt. Wie läuft es bisher?
Wie bei allen neuen Prozessen ist der Wissenstand der Mitarbeitenden unterschiedlich. Wer zum Beispiel frisch von der Ausbildung kommt, kennt ISBAR bereits. Wichtig ist darum, besonders die Mitarbeitenden abzuholen, für die das Instrument neu ist. Neben den übergeordneten Schulungen, die über MS Teams angeboten wurden, schauen wir, dass Mitarbeitende, die sich bereits auskennen, denen zur Seite stehen, die noch nie ein ISBAR-Formular ausgefüllt haben. Dieser Austausch und das gemeinsame Üben helfen, allfällige Hemmungen und Ängste abzubauen. Die Mitarbeitenden sollen Vertrauen fassen und wissen, dass die Ärztin nachfragen kann, wenn etwas unklar sein sollte. Es muss nicht alles perfekt formuliert sein. Übung macht auch hier den Meister.
Wie kommt das Instrument bei den Mitarbeitenden an?
Alle finden das Instrument sinnvoll. Es gibt noch Punkte, die man anpassen könnte, aber das meiste wird nicht infrage gestellt. Die Leiterin Forschung bei den Gesundheitszentren für das Alter, Kornelia Kotkowski, evaluiert das Instrument laufend und nimmt bei Bedarf Anpassungen vor, damit die Handhabung immer einfacher und zielgerichteter wird. So hatten wir zum Beispiel am Anfang zwei ISBAR-Formulare, inzwischen gibt es nur noch eins.
Wo siehst du die grösste Herausforderung?
Der Zeitfaktor ist sicher ein Thema. Zum Beispiel, wenn man am Abend als Pflegefachperson allein ist und viel läuft. Die Pflege leistet enorm viel. Die Komplexität ist gestiegen: Die Bewohnenden kommen immer später zu uns und haben einen entsprechend schlechteren Allgemeinzustand mit vielen Diagnosen. Das bedeutet, dass wir in der Pflege fachlich sattelfest sein müssen, um schnell einschätzen zu können, welche Diagnose oder Diagnosen in einer gegebenen Situation relevant sind.
Wie bei allen neuen Prozessen ist wichtig, dass man dranbleibt, damit sie sich im Alltag festigen können. Dafür sehe ich mich und die Gruppenleiter*innen in der Pflicht: Wir holen ab, wo die Mitarbeitenden stehen, vergewissern uns, dass sie mit dem Instrument vertraut sind oder bei Bedarf zusätzlich geschult werden. Wie alle Prozesse braucht auch ISBAR Zeit, um in den Alltag überzugehen.
Was geschieht mit dem ausgefüllten ISBAR-Formular?
Das Dokument wird in der elektronischen Pflegedokumentation des jeweiligen Bewohners abgelegt, damit der aktuelle Stand jederzeit für alle nachvollziehbar ist. Pro Ereignis gibt es ein ISBAR-Formular. Umstellungen sind zu Beginn oft mit einem höheren Aufwand verbunden, gewisse Berührungsängste sind daher normal. Aber mittel- und längerfristig erleichtern sie die Arbeit enorm. Ich bin überzeugt, dass auch die Handhabung von ISBAR schon nach kurzer Zeit selbstverständlich sein wird. Das Instrument verbessert die Kommunikation und die Nachvollziehbarkeit und damit auch die Pflegequalität.
Wie reagieren die Ärzt*innen auf ISBAR?
Wenn ich Hausärzt*innen antreffe oder Notfallärzt*innen frage, sagen sie alle, dass die Zusammenarbeit sich verbessert hat – nicht nur, aber auch dank ISBAR. Die Vereinheitlichung und zunehmende Professionalisierung sind ein Gewinn für alle. Auch meine Mitarbeitenden machen gute Erfahrungen und freuen sich, dass sie schneller Antworten bekommen und nicht nachfragen müssen.
ISBAR ist ein Kommunikationsinstrument, das aus standardisierten Fragen in fünf Bereichen besteht und sicherstellt, dass die Pflegefachpersonen Informationen prägnant und fokussiert weitergeben – im Kontakt mit Hausärzt*innen, SOS- und Notfallärzt*innen sowie mit Schutz und Rettung.
Das Akronym ISBAR steht für:
- I: Identifikation (Vorstellung)
- S: Situation
- B: Background (Hintergrund)
- A: Assessment
- R: Recommendation (Empfehlung)
Die Anwendung von ISBAR trägt dazu bei, Missverständnisse zu reduzieren, ernsthafte Fehler im Behandlungsablauf zu verhindern, rechtzeitige Interventionen zu ermöglichen und die Versorgung zu verbessern.