Geboren und aufgewachsen ist Eliane Wiget in Valbella – inmitten der Bündner Berge und mit viel Freiheit und Bewegung in der Natur. «Wir durften überallhin, waren nach der Schule immer draussen – Hauptsache, wir waren pünktlich zum Essen wieder zu Hause», erinnert sie sich. Ihr Vater, ein Skilehrer mit eigenem Sportgeschäft, brachte ihr und ihren Geschwistern früh das Skifahren bei. «Wir steckten selbst Slalomstangen und waren mit Skiern und Fellen unterwegs», führt sie aus.
Auch auf dem Eis bewies die junge Eliane ihr Talent: «Meine Schwester und ich haben kleine Shows für die Feriengäste aufgeführt – das kam immer gut an», erinnert sie sich schmunzelnd. Gelegentlich war sie für das Sportgeschäft ihres Vaters als Model tätig. Neben dem Sport legte ihre Mutter, eine Apothekerin mit ETH-Abschluss, grossen Wert auf Bildung. Eliane Wiget besuchte das Lehrerseminar in Chur. Mit 20 Jahren wurde sie schwanger und heiratete ihren Partner, der ebenfalls am Lehrerseminar war.
Nach der Hochzeit zog Eliane Wiget mit ihrem Mann ins Safiental, wo er als Lehrer arbeitete. «Ich kochte für seine acht Schüler und uns und brachte schon bald unsere Tochter zur Welt – ganz allein, weil die Hebamme zu spät kam. Das war ein besonderer Moment, nur sie und ich. Vielleicht haben wir deshalb bis heute eine so enge Verbindung.» Als ihr Mann später in Fribourg studierte, um Sekundarlehrer zu werden, zog sie mit den mittlerweile drei Kindern mit um und lebte auf einem Bauernhof. «Ich lernte, wie man Kühe versorgt und hatte einen grossen Garten. Es war ein einfaches, aber gutes Leben», sinniert sie.
1977 zog Eliane Wiget mit ihrem Mann und den Kindern nach Mexiko, wo er an der Schweizer Schule als Lehrer tätig war. Die Kinder lernten schnell Spanisch, und Eliane Wiget unterrichtete gelegentlich auch. «Es war eine aufregende Zeit, aber nach vier Jahren zog es mich zurück in die Berge. Mein Mann wollte weiter die Welt bereisen, ich suchte ein einfacheres Leben – es kam zur Trennung», blickt sie zurück.
In Graubünden, im Domleschg, fand Eliane Wiget für 100 Franken eine Wohnung in einem alten Haus für sich und ihre Kinder, die sie mit zwei anderen Frauen teilten. Sie beschloss, von zu Hause aus Geld zu verdienen – mithilfe einer Idee, die sie aus Mexiko mitgebracht hatte: «Ich begann, Holzofen- und Früchtebrot zu backen, mahlte das Mehl selbst und knetete den Teig von Hand. Es war viel Arbeit, aber ich liebte es», strahlt sie. Mit ihrem Deux-Chevaux fuhr sie nach Chur und verkaufte die Brote an einem selbstgebauten Stand: «Es lief wie verrückt!» Auch eine Lebensmittelinspektion konnte sie nicht stoppen: «Der Lebensmittelinspektor liess mein Brot testen – es war einwandfrei», berichtet sie stolz. Ihr Stand mit der violetten Decke und den Holzkörben wurde zum Grundstein des heutigen Markts in Chur, weitere Stände sollten folgen. «Eigentlich habe ich den Markt erfunden», sagt sie schmunzelnd. Nebenbei eröffnete Eliane Wiget einen Dritt-Welt-Laden, wo sie ihr Brot und Produkte von regionalen Bauern verkaufte.
Eliane Wiget lebte stets bescheiden: «Meine Kinder haben bei mir gelernt, mit wenig zufrieden zu sein. Wir gingen spazieren, schwammen in kalten Bergseen und jassten mit der Dorfjugend», erinnert sie sich. Ihr Ex-Mann zeigte den Kindern eine andere Seite des Lebens: «Er ermöglichte ihnen Reisen und Restaurantbesuche – eine gute Ergänzung», erklärt sie. Als ihre Kinder nach der Lehre nach Zürich zogen, folgte Eliane Wiget ihnen trotz Skepsis. «Ausgerechnet Zürich», dachte sie damals. Dank ihrer Entschlossenheit fand sie eine Anstellung bei der Heilsarmee, wo sie mit viel Freude eine Kinderkrippe leitete.
Als Eliane Wiget nach einer Rückenoperation nicht mehr in ihrer Dachwohnung an der Hölderlinstrasse bleiben konnte, war für sie klar, dass sie ins Gesundheitszentrum für das Alter Klus Park in ihrer Nähe umziehen wollte. «Meine Kinder hatten vorsondiert und ein Zimmer für mich eingerichtet – ich habe mich sofort wohlgefühlt. Die Aussicht über die Stadt ist einzigartig», freut sie sich. Heute blickt Eliane Wiget zufrieden zurück. «Ich habe drei Kinder, sechs Enkel und sogar Urenkel, die oft zu Besuch kommen und im Klus Park spielen. Ich bin die Nana», lacht sie. Ihre Bündner Wurzeln begleiten sie auch hier: «Ich habe die Gerstensuppe nach Bündner Originalrezept eingeführt – sie ist jetzt wirklich perfekt», ist sie überzeugt.
Obwohl sie nicht mehr gut zu Fuss ist, bleibt Eliane Wiget aktiv: Sie geht turnen, singt und philosophiert gerne. Gespräche mit Tiefgang und der sonntägliche Gottesdienst im Fraumünster sind ihr wichtig. «Wenn es mich stört, dass ich mich nicht mehr so bewegen kann wie früher, setze ich mich ins Tram und fahre durch die Stadt. Ich habe hier alles, was ich brauche, und bin gespannt, was noch kommt», sagt sie zufrieden.