Dr. med. Gaby Bieri war zuletzt Chefärztin und ärztliche Direktorin der Gesundheitszentren für das Alter. Ihr letzter Arbeitstag ist gleichzeitig ihr 30-jähriges Dienstjubiläum bei der Stadt Zürich. Grund genug, gemeinsam mit ihr auf eine bewegte Zeit zurückzublicken und einen Ausblick in die Zukunft zu wagen.
Liebe Gaby, herzlichen Glückwünsch zu deinem 30-jährigen Dienstjubiläum! Hättest du gedacht, dass es 30 Jahre werden? Und eigentlich bist du ja noch länger dabei.
Vielen Dank! Genau, ich startete bereits im Januar 1993 beim Stadtärztlichen Dienst am Standort Witikon – damals noch Krankenheim Witikon. Ich war auf der Suche nach einer Teilzeitstelle, was zu dieser Zeit nicht ganz einfach war. Eigentlich bewarb ich mich auf eine ausgeschriebene Stelle in der Memory Clinic Entlisberg – die war aber bereits besetzt. Der damalige Stadtarzt Albert Wettstein rief mich an und meinte, dass in Witikon noch eine Stelle als Assistenzärztin frei wäre. So arbeitete ich zwei Jahre in der Langzeitgeriatrie. Ich hätte es nie gedacht, dass es mir so grossen Spass macht und ich in der Langzeitgeriatrie bleiben würde. In der Zwischenzeit sage ich den Medizinstudent*innen, dass es der interessanteste Fachbereich der Medizin ist: Schliesslich bietet sie klinische, ganzheitliche, personzentrierte Medizin mit etwas mehr Zeit für einen guten Beziehungsaufbau.
Nach der Geburt meines zweiten Sohnes setzte ich bis 1995 aus und trat dann wieder in Witikon ein. Deshalb ja – streng genommen wären es etwas mehr als 30 Jahre bei der Stadt.
Also Eintritt wieder am 1. Oktober 1995 – wie ging's dann weiter?
1996 wurde ich bereits befördert zur Stadtärztin und ich übernahm als leitende Ärztin den Standort Irchelpark. Der hatte damals rund 40 Plätze. Zuvor hatte ich noch meinen Facharzt Allgemeinmedizin gemacht. Und zur Jahrtausendwende absolvierte ich den Schwerpunkttitel Geriater. Den gab es davor noch nicht. Ab diesem Zeitpunkt arbeitete ich in ganz vielen Häusern der spezialisierten Pflege. Zuerst im Seeblick, den es heute nicht mehr gibt, dann im Entlisberg, Bombach, Bachwiesen, Gehrenholz und Riesbach. Daneben war ich auch in der Memory Clinic und der Gerontologischen Beratungsstelle SiL tätig.
Was war zu dieser Zeit anders?
Es war eine Zeit – das kann man sich heute gar nicht mehr vorstellen – in der es viel zu wenige Plätze in der Langzeitpflege gab. Wir führten Wartelisten für unsere Pflegebetten. Ich erinnere mich, dass man im Schnitt ein halbes Jahr warten musste, bis man einen Platz bekam.
2011 wurde dein Vorgänger, Alber Wettstein, pensioniert. Dann kam es zu einer Neuorganisation?
Genau, der stadtärztliche Dienst war bis dahin eine eigenständige Dienstabteilung innerhalb der Stadt. Die Dienstabteilung wurde aufgelöst und der geriatrische Teil wurde in die eine der beiden Vorgängerorganisationen der heutigen Gesundheitszentren integriert – die Pflegezentren der Stadt Zürich. Fortan war ich als Chefärztin des Geriatrischen Diensts also bei den Pflegezentren angestellt.
Wenn du heute zurückblickst, was war die grösste Herausforderung?
Ganz klar die COVID-19-Pandemie. Der Aspekt, dass man eigentlich nichts über eine Erkrankung wusste, das war neu und entsprach nicht unserem heutigen Stand der Medizin. Normalerweise gibt es zu allen Krankheitsbildern Literatur, die man nachlesen kann. Bei COVID war das anders. Wir wussten nicht, wie es übertragen wird, wie die Sterblichkeit ist. Und leider hatten wir im Gehrenholz einen der ersten COVID-Ausbrüche in einer Langzeitinstitution mit vielen Todesfällen unter den Bewohnenden. Das war schon sehr herausfordernd. Zum Glück kam dann relativ zügig eine wirksame Impfung.
Und auf der anderen Seite – was blieb dir positiv in Erinnerung?
Ganz generell die Möglichkeit, etwas verändern zu können. Das ist wirklich cool hier. Beispielsweise denke ich da an die Einführung der Akut- und Übergangspflege oder unser Demenzkonzept, also die Qualitätsindikatoren Demenz, die schliesslich in der nationalen Demenzstrategie implementiert wurden. Auch ganz wichtig war der Startschuss der Gerontologischen Beratungsstelle SiL. Zuerst nur ein Pilotprojekt, ist es heute ein etabliertes Angebot der Stadt Zürich und Teil der Gesundheitszentren. Besonders positiv ist auch die Arbeit mit meinem Team und die etablierte interprofessionelle Zusammenarbeit mit vielen Mitarbeitenden der Gesundheitszentren. Zudem habe ich es als Teil der Direktion immer geschätzt, ärztlich-pflegerische Themen an die Hand zu nehmen. So hatte ich auch stets einen Bezug zur Basis.
Wagen wir einen Blick in die Zukunft. Mit welchen Herausforderungen wird sich die Branche in Zukunft konfrontiert sehen?
Die heimärztliche Versorgung muss verbessert werden. Es gibt zwar eine kantonale Arbeitsgruppe, die sich mit dem Thema befasst. Aber die Mühlen von Kanton und Bund mahlen langsam. Und dann natürlich noch der Fachkräftemangel in der Pflege. Ich glaube zudem, dass das zusammenhängt. Es spricht sich rum, wenn du eine gute ärztliche Versorgung bieten kannst und wenn die interprofessionelle Zusammenarbeit funktioniert. Das ist für die Pflege und Ärzt*innen sehr wichtig.
Was kommt jetzt für dich?
Also zuerst bereise ich einen Monat lang Italien mit meinem Mann. Und dann folgt Ruhestand light, denn eigentlich gehe ich back to the roots. Ich übernehme über Age Medical ein Heim am Zürichsee als Heimärztin. Darauf freue ich mich sehr, denn der Kontakt mit den Bewohnenden bereitet mir nach wie vor grosse Freude!
Und was gibst du jetzt in Tatjanas Hände?
Auf jeden Fall ein grossartiges Team!
Vielen Dank Gaby und alles Gute für deinen neuen Lebensabschnitt!
Mit Dr. med. Tatjana Meyer-Heim tritt eine erfahrene Geriaterin den Posten als Chefärztin und ärztliche Direktorin der Gesundheitszentren an.