Denise Rey, Leiterin Ausbildung, und Eva Horvath, Leiterin klinische Pflegeentwicklung, zeigen auf, wie die Gesundheitszentren ihre Pflegemitarbeitenden stärken – in der Ausbildung und im Berufsalltag.
Eva und Denise, der diesjährige Tag der Pflege stellt das Wohlbefinden von Pflegefachkräften in den Fokus. Was fällt euch dazu als erstes ein?
Eva Horvath (EH): Es ist ein sehr wichtiges Thema, das global relevant ist. Wer in der Pflege arbeitet, muss sich laufend auf neue Situationen mit unterschiedlichen Menschen einlassen. Pläne können in Sekundenschnelle über den Haufen geworfen werden. Das ist sehr spannend und erfüllend, kann aber auch belastend sein.
DR: Genau, zumal herausfordernde Situationen aufgrund von psychischen Themen bei den Bewohnenden zunehmen. Das hat mit verschiedenen gesellschaftlichen Entwicklungen zu tun und fordert Pflegemitarbeitende in ihrem beruflichen Alltag zusätzlich. Das Thema ist absolut zentral, denn gut pflegen kann nur, wer selbst gesund ist.
Was tun die Gesundheitszentren, um die Mitarbeitenden in der Pflege zu unterstützen?
EH: Fachlichkeit ist ein starkes Werkzeug im Umgang mit herausfordernden Situationen. Wenn ich gut ausgebildet bin, bin ich weniger schnell überfordert. Wir legen darum grossen Wert darauf, unsere Mitarbeitenden bestmöglich für ihren Berufsalltag zu befähigen. Das bedeutet zum einen, dass wir ihnen Weiterbildungen anbieten. Aber auch, dass wir den Transfer des neuen Wissens in die Praxis begleiten. Wir holen die Mitarbeitenden dort ab, wo sie sind, und stärken sie auf ihrem jeweiligen Wissensstand.
DR: Dabei haben wir den Vorteil, dass wir mit dem Schulungszentrum Gesundheit (SGZ) über eine eigene Bildungsinstitution verfügen. Davon profitieren unsere Mitarbeitenden sehr.
Worauf legt ihr besonders Wert bei der Schulung und Befähigung von Mitarbeitenden?<
DR: Ein wichtiger Aspekt des Lernens ist das Reflektieren von Situationen, zum Beispiel im Rahmen von Fallbesprechungen. Die Mitarbeitenden müssen wissen, dass sie nicht allein sind mit einer Situation. Überforderung offen anzusprechen, darf kein Tabu sein. Hilfe und Fachwissen einzufordern, muss normal sein.
Wie stärkt ihr das Fachwissen innerhalb der Organisation?
EH: Wir entwickeln ständig neue Möglichkeiten, um unsere Mitarbeitenden mit spezifischem Fachwissen zu unterstützen und ein Netzwerk mit eigenen Ressourcen aufzubauen. Das ist vor allem in Betrieben zentral, die aufgrund von Grösse und Struktur nicht zu jedem Thema über dezidierte Spezialist*innen verfügen. Dabei gehen wir so vor, dass wir in der Praxis einen Bedarf erkennen und ein entsprechendes Angebot schaffen, das im Alltag hilft. Der neu eingeführte Konsiliar- und Liaisondienst ist ein gutes Beispiel dafür. Bei herausfordernden Bewohnendensituationen können die Betriebe jederzeit fachliche Unterstützung anfordern: zum Beispiel von Fachexpert*innen Psychiatrie, Demenz und Palliative Care, vom ärztlichen geriatrischen Dienst oder von einer Advanced Practice Nurse. Das ist eine grosse Entlastung.
DR: Bereits in der Ausbildung geben wir der interprofessionellen Zusammenarbeit viel Gewicht und stärken so die einzelnen Professionen durch gesammeltes Wissen. Die Führung lebt diese Haltung vor und fördert sie.
Habt ihr ein Beispiel für ein aktuelles Projekt zur Stärkung der interprofessionellen Zusammenarbeit?
EH: Wir sind dabei, die Zusammenarbeit mit Hausärzt*innen zu vertiefen. Die Bewohnenden in den Betrieben mit Schwerpunkt Wohnen im Alter haben ihre eigenen Hausärzt*innen. Dadurch sind unsere Pflegefachkräfte mit einer Vielzahl von Ärzt*innen in Kontakt. Um die Zusammenarbeit für beide Seiten zu optimieren, testen wir, wie wir einzelne Hausärzt*innen stärker einbinden können.
Was ist neben der fachlichen Kompetenz wichtig, um die Pflegefachkräfte zu stärken?
EH: Das Umfeld. Zentral sind pflegerische Vorgesetzte, die den Mitarbeitenden vertrauen und ihnen etwas zutrauen – und die ein offenes Ohr haben. Wie wird damit umgegangen, wenn zum Beispiel eine Mitarbeiterin in einer persönlichen Belastungssituation im Beruf gerade nicht 100 % geben kann? Bekommt sie von ihrer Vorgesetzten Unterstützung und das Gefühl, dass man hinter ihr steht und Lösungen sucht? Das ist klar unser Anspruch als Arbeitgeberin.
DR: Daneben stehen den Mitarbeitenden eine HR-Beratung und eine übergeordnete städtische Beratungsstelle zur Verfügung. Bereits während der Ausbildung werden die Themen gesund bleiben und Resilienz stark in den Fokus gerückt und Beratungsgespräche angeboten. In einigen Betrieben gibt es zudem Vertrauenspersonen. Das sind funktionsunabhängige Ansprechpersonen – oft sind es die Seelsorgenden –, mit denen die Mitarbeitenden persönliche Schwierigkeiten besprechen können, zum Beispiel wenn eine Beziehung zu Ende geht oder bei einer Krankheit in der Familie.
Du sprichst von Resilienz. Was hat sich diesbezüglich verändert?
DR: Sehr viel. Resilienz in Theorie und Praxis zu erlernen, zu fördern und zu entwickeln, ist inzwischen auch in der Bildungsverordnung festgehalten. Als vor zwanzig Jahren der erste FaGe-Lehrgang startete, war das noch kein Thema. Mit unseren hauptberuflichen Berufsbildner*innen haben wir zudem Ansprechpersonen, die einen sicheren Rahmen bieten und eine Vorbildfunktion haben, wenn es darum geht, mit psychisch belastenden Situationen umzugehen.
Wie sieht es mit den beruflichen Rahmenbedingungen aus?
DR: Ein wichtiger Faktor ist die Flexibilität bei der Dienstplanung. Wir erproben laufend Modelle, um die Dienstplanung möglichst individuell und bedürfnisgerecht zu gestalten. Ausserdem setzen wir auf eine offene Feedbackkultur, in der gesagt werden kann, wenn einem etwas zu viel ist. Wir dürfen nicht vergessen: Wer in der Pflege arbeitet, trägt nicht nur die eigenen psychischen und physischen Lasten, sondern bei herausfordernden Situationen bis zu einem gewissen Grad auch die der Bewohnenden und Angehörigen.
Wohlergehen betrifft nicht nur die Psyche, was macht ihr für den Körper?
EH: Pflege ist ein körperlich anstrengender Beruf, der Kondition und Fitness verlangt. Damit unsere Mitarbeitenden möglichst kräfteschonend arbeiten können, setzen wir auf Kinästhetik: Das Konzept der Bewegungswahrnehmung ist weit mehr als rückenschonendes Arbeiten, es ist ein wichtiges Element der personzentrierten Pflege, das die Bewohnenden in ihrer Selbstwirksamkeit und Autonomie unterstützt. Im Kontext dieses Interviews fokussieren wir uns aber auf den Gewinn für die Pflegemitarbeitenden.
Der da wäre?
EH: Kurz gesagt: Kinästhetik erlaubt es den Pflegemitarbeitenden, die Bewohnenden schonend in ihrer Bewegung zu unterstützen, ohne viel Kraft aufzuwenden.
DR: Darum ist Kinästhetik auch ein zentrales Thema in der Grundausbildung für FaGe-Lernende und HF-Studierende. In den Gesundheitszentren haben wir zudem Kinästhetik-Fachpersonen, die nicht einfach Theorien vermitteln, sondern die Pflegemitarbeitenden in der Praxis tatkräftig unterstützen, damit sie ihr Können festigen und vertiefen. Wir bieten über das SGZ verschiedene Kinästhetik-Kurse an, die allen Mitarbeitenden offenstehen.
Was ist noch wichtig, um Pflegefachkräfte körperlich zu entlasten?
DR: Eine ergonomische Einrichtung. Auch dieses Thema ist fester Bestandteil der Ausbildung und wird im Alltag gelebt. Wir optimieren das Umfeld stetig, indem wir Pulte, Medikamentenwagen und andere Einrichtungen anhand ergonomischer Gesichtspunkte prüfen und weiterentwickeln. Ganz allgemein haben sich die Materialen, die täglich benutzt werden, entwickelt.
EH: Genau, zum Beispiel die Rutschbretter für Transfers. Diese zeigen wir auch im Rahmen der Kinästhetik-Praxisübungen.
DR: Für das körperliche Wohlbefinden haben wir zudem in den Betrieben individuelle Angebote wie Yoga, Zumba, Meditation oder Massagestühle. Und wir sorgen für gesunde Pausenverpflegungen.
Wie finden neue Hilfsmittel ihren Weg in die Gesundheitszentren?
DR: Die Neuanschaffung von modernen Hilfsmitteln kann auf verschiedene Weise initiiert werden. Oft kommen Anregungen von Auszubildenden, die in der Berufsfachschule von Neuerungen hören. Aber auch überbetriebliche Kurse oder Fachtagungen fördern den Austausch zu Weiterentwicklungen. Die Pflegeexpert*innen prüfen dann in ihren jeweiligen Fachbereichen, was sich in der Praxis bewährt und für uns sinnvoll ist, aber gegebenenfalls im Betrieb noch nicht vorhanden ist.
Wie sieht es mit der Arbeitsplatzsicherheit aus?
DR: Sicherheit heisst nicht nur körperlicher Schutz, sondern auch das Wissen darum, dass es klare Prozesse und Abläufe gibt, die besonders in herausfordernden Situationen Gewissheit geben und dafür sorgen, dass niemand allein gelassen wird. Im Rahmen der Ausbildung werden die Mitarbeitenden in Notfallmanagement geschult, zum Beispiel anhand von nachgestellten Situationen. Dabei wird geübt, wie eine Situation rasch beurteilt wird, woran man als erstes denken muss und wie die eigene Sicherheit garantiert werden kann.
EH: Zudem haben wir ein System für Chancenmeldungen. Die eingegebenen Meldungen werden geprüft und daraus konkrete Massnahmen zur Verbesserung abgeleitet.
Was wünscht ihr euch für die Zukunft der Pflege?
EH: Ein Umfeld für die Mitarbeitenden, in dem es eine Selbstverständlichkeit ist, fachliche Reflexion im Alltag zu leben und bei Bedarf gezielt Unterstützung anzufordern und diese zu bekommen. Hier wegweisend zu sein, ist uns sehr wichtig. Zudem wünsche ich mir, dass unsere Pflegenden ihren Beruf mit Stolz, fachlicher Selbstsicherheit und Freude ausüben können und sich ihrer grossen Wirkung bewusst sind – als Vorbilder für ihre Kolleg*innen, aber auch gegenüber den Bewohnenden und ihren Angehörigen. Persönlich ist es mir ein besonderes Anliegen, dass wir als Arbeitgeberin unsere Mitarbeitenden in der Pflege dabei unterstützten, ihre Fachkompetenz stetig weiterzuentwickeln: zum Wohl der Bewohnenden und damit sie selbst an Herausforderungen wachsen.
DR: Die Pflege ist systemrelevant, wie wir spätestens seit Corona alle wissen. Das muss sich in der Anerkennung und Wichtigkeit widerspiegeln. Ich wünsche mir, dass es uns als Gesellschaft gelingt, ein Pflegeumfeld zu schaffen, in dem sich Pflegende wohlfühlen und langfristig bleiben möchten.