Carlos Gamper nennt es «Nachbarschaftshilfe». Bereits etliche Male hat er mit Pinsel und Farbkübel ausgerüstet in der Wohnung oben oder nebenan eine Wand neu gestrichen oder ein Bohrloch zum Verschwinden gebracht. Einfach so. Keine Frage: Ihm und seiner Frau Pattorn sind eine gute Nachbarschaft wichtig. Was nicht heisst, dass die Beiden immer gute Miene zum bösen Spiel machen.
Pattorn Gamper ist seit drei Jahren in der Schweiz. In der kurzen Zeit hat sie nicht nur Deutsch gelernt und eine Arbeit gefunden. Sie hat auch ihre lieben Erfahrungen gemacht mit der Waschküche, diesem besonderen Merkmal der meisten Mehrfamilienhäuser hierzulande und ewigen Stein des Anstosses. Doch nicht etwa eine hier aufgewachsene Person, nein, Pattorn Gamper musste einer Nachbarin die Verbindlichkeit des Waschtags und die ordentliche Benutzung der Waschküche beibringen.
Das Gespräch wirkte Wunder. Nun hält sich die frühere Regelbrecherin an den Waschplan und rührt das Frischgewaschene der Gampers nicht mehr an. Die Waschküche ist eben, wie Hugo Loetscher schrieb, nicht der Boden für Freiheiten, sondern das helvetische Fundament für Zucht und Ordnung.
Pattorn Gamper weiss sich also zu helfen in ihrer neuen Heimat. Dabei ist sie keineswegs auf Streit aus. Im Gegenteil. Mit der jungen Familie unten hat sie sich angefreundet, und zur Nachbarin gegenüber hat sie auch einen guten Draht. Jetzt fehlt nur noch das gemeinsame Grillfest, das die Gampers veranstalten wollen.
Im Unterschied zu seiner Frau lebt Carlos Gamper noch genau da, wo er geboren worden ist: mitten in Zürich. Gross geworden ist er in einer Genossenschaftssiedlung im Kreis 3, seit 22 Jahren wohnt er in der Wohnsiedlung Bullingerhof.
«Wir sind froh um den günstigen Mietzins, auch wenn er nun ein wenig teurer wird», sagt er ohne Murren im Hinblick auf die anstehende Erhöhung aufgrund des Referenzzinssatzes. Gamper weiss, dass er seinerzeit Schwein gehabt hat. Als selbstständiger Maler hat er immer wieder städtische Wohnungen gestrichen. Einmal stellte ihm der damalige Hauswart nicht nur einen Auftrag in Aussicht, sondern gleich die Wohnung dazu. Wer hätte da nicht zugegriffen? Gamper weiss: «Das wäre heute nicht mehr möglich.» Unter der Hand vermieten geht nicht mehr – die Wohnungen werden öffentlich ausgeschrieben.
Genau das geschah, als die Siedlung kürzlich umfassend etappenweise instandgesetzt wurde. 1936 erbaut hatte sie eine Grundüberholung nötig. Trotz den einschneidenden Bauarbeiten konnten die 224 Mietenden bleiben, wenn sie wollten. Die meisten zogen aber weg; ihre Wohnungen wurden nach der Sanierung ausgeschrieben und neu vermietet.
Die Gampers zählten zu den 61 Mietparteien, die blieben. Als ihr Hausteil an der Reihe war, wichen sie in eine Übergangswohnung innerhalb der Wohnsiedlung aus – und blieben am Ende da. «Nochmals Kisten packen und schleppen – nein danke!» Zudem gefiel ihnen die Lage im ersten Stock. «Nur Frau Cirone vermisse ich», seufzt Carlos Gamper.
Der früheren Nachbarin, eine ältere Dame, hatte er immer wieder bei handwerklichen Arbeiten ausgeholfen. «Che bello!», habe sie beim Anblick der frisch geschliffenen Türschwelle ausgerufen.
Die Gampers freuen sich über die modernere Küche und das schöne Badezimmer. Praktisch finden sie die neue separate Toilette. Noch dankbarer ist Carlos Gamper für die schalldichteren Fenster. Wegen den Jungen, die im Innenhof Party machen. Dabei meckert Gamper nicht wegen jedem Mucks.
«Meine Frau hat mich auch schon reklamieren geschickt», sagt Carlos Gamper und nimmt sie in den Arm. «Aber wir wollen es gut haben im Haus.» Doch bei den Jungen im Hof sei alles Bittibätti vergebens. Mehr als einmal rief er die Polizei: «Die wussten schon anhand der Nummer: der Gamper wieder.» Das sei nun glücklicherweise vorbei. «Ist draussen Rambazamba, schliesse ich das Fenster, und gut ist.»
Carlos Gamper braucht die Nacht zum Ruhen, als Maler muss er früh raus. Er ist seit 2012 für ein grosses Immobilienunternehmen tätig und streicht dessen Wohnungen und Gewerbeflächen in der halben Schweiz. Das geht nur mit dem Auto, das ihm die Arbeitgeberin zur Verfügung stellt. Jeden Abend kurvt Gamper durchs Quartier, bis er einen freien Parkplatz gefunden hat. «Der Verkehr hat zugenommen. Und bei einer Veranstaltung im Letzi kannst duʼs grad vergessen.» Zudem seien der neuen Velovorzugsroute Parkplätze zum Opfer gefallen. «Aber ich beschwere mich nicht. Es ist, wie es ist. Und am Wochenende bin ich eh mit dem Velo unterwegs.»