Herr Järvi, wie ist es für Sie, das JSOZ zum ersten Mal zu dirigieren?
Es ist wunderbar! Es sind wunderbare junge Musiker*innen, und es macht mir immer Freude, ein Jugendorchester zu dirigieren. Ich selbst habe mein ganzes Leben lang in Jugendorchestern gespielt, schon als Kind. Ich kenne das Gefühl, den Spass, die Aufregung und die Konzentration, die damit verbunden sind.
Sie haben das JSOZ im Herbst bei seinem Konzert in der Tonhalle Zürich erlebt. Was sind Ihre Eindrücke von diesem jungen Eliteorchester?
Ich war positiv überrascht und sehr beeindruckt, wie gut sie klangen und wie gut sie spielten.
Was reizt Sie an der Zusammenarbeit zwischen dem JSOZ und dem Tonhalle-Orchester Zürich, im Rahmen des Festivals tonhalleAIR?
Die Tatsache, dass ein Jugendorchester und Mitglieder des Tonhalle-Orchesters Zürich (TOZ) nebeneinandersitzen und gemeinsam musizieren. Die jungen Leute können von unseren erfahrenen Musikern, die sehr anspruchsvoll sind und ihr Handwerk beherrschen, lernen. Neben jemandem aus dem TOZ zu sitzen, von ihm oder ihr zu lernen und diese Art des Musizierens zu erleben, ist möglicherweise eine lebensverändernde Erfahrung. Das ist der Grundgedanke dieser Zusammenarbeit: Junge Menschen lernen und profitieren von erfahrenen Musiker*innen.

Wie unterscheidet sich die Arbeit mit einem Jugendorchester von der Arbeit mit professionellen Orchestern?
Das sind zwei verschiedene Dinge: Ein professionelles Orchester ist ein hocheffizienter und energiegeladener Apparat, der die volle Verantwortung für seine Qualität trägt. Die Orchester-Mitglieder werden durch sehr komplizierte, schwierige Probespiele ausgewählt; sie sind wirklich die Besten der Besten. Ein Jugendorchester hingegen steht am Anfang des musikalischen Wegs. Es bedeutet auch eine Menge Spass und hat eine soziale Bedeutung: Man lernt dabei andere junge Menschen kennen, die zu Freunden fürs Leben werden. Zusammen ein Instrument zu spielen ist mehr als nur zusammen «abzuhängen», es ist eine verbindende Erfahrung über Musik. Und selbst wenn man kein Berufsmusiker und keine Berufsmusikerin wird, wird man sich immer an das Erlebnis erinnern, im Jugendorchester dabei gewesen zu sein und diese wunderbare Musik von Grieg und Dvořák gespielt zu haben.
Welche Bedeutung messen Sie der Förderung junger Talente im Bereich der klassischen Musik bei?
Junge Talente sind unsere Zukunft, und es gibt nichts Wichtigeres, als nach vorne zu schauen und unsere zukünftigen Musiker*innen, unser zukünftiges Publikum und unsere Supporter zu fördern. Noch wichtiger ist, dass es uns Menschen einfach guttut, sich mit etwas so Wunderbarem wie Musik zu beschäftigen. Unabhängig davon, was aus diesen jungen Menschen wird, ob sie Berufsmusiker*innen werden oder einen anderen Weg einschlagen: Sie sind angesteckt worden von dieser Liebe zur Musik, von dieser Freude am gemeinsamen Musizieren.

Welche Tipps haben Sie für junge Musiker, um ihre Leidenschaft für klassische Musik zu vertiefen und ihre Fähigkeiten weiterzuentwickeln?
Einfach zuhören, üben und geniessen. Das Wichtigste ist, dass man Freude an der Musik hat. Musik machen kann anstrengend und harte Arbeit sein, und wie in jedem anderen Bereich auch kann die Konkurrenz manchmal ziemlich stark werden. Aber das Wichtigste ist, dass man die Freude an der Musik und die Liebe zur Musik nicht verliert. Denn warum machen wir überhaupt Musik? Weil Musik uns bereichert – und weil sie uns letztlich zu besseren Menschen macht.
Klassische Musik erfordert allerdings sehr viel Arbeit, viel Hingabe.
Ausser dem Ballett gibt es keine andere Kunstform, bei der man sich schon in jungen Jahren so sehr engagieren muss wie bei der klassischen Musik. Es gibt grosse Schriftsteller*innen, Bildhauer*innen und Maler*innen, aber niemand arbeitet so hart wie jemand, der ein professioneller Geiger oder eine professionelle Geigerin wird. Musiker*innen sind Künstler*innen, aber auch eine Art Athlet*innen. Als Musiker*in muss man in einer unglaublich guten geistigen und körperlichen Verfassung sein, um seine Fähigkeiten ständig weiterentwickeln zu können.
Wie sehen Sie die Zukunft des klassischen Musikgeschäfts?
Es wird immer klassische Musik, Konzerte und Aufführungen geben – davon bin ich überzeugt. Es hängt nun davon ab, wie wir uns als Gesellschaft entwickeln. Ich hoffe, wir sind klug genug und fangen nicht damit an, die falschen Götter zu verehren. Denn wenn wir die Technologie über die Menschlichkeit stellen, laufen wir Gefahr, Musik und Kunst in eine Nische zu drängen. Wenn wir aber zur Vernunft kommen und erkennen, dass die Technologie nicht dazu da ist, uns zu ersetzen, sondern uns dabei zu unterstützen, menschlicher zu sein und Zeit für die wirklich wichtigen Dinge zu haben – nämlich Kunst, Bildung und Musik –, dann haben wir die richtige Wahl getroffen. Ich habe das Gefühl, dass es genug Menschen gibt, die verstehen, wie wichtig der schöpferische Akt, wie wichtig Kreativität, ist. Ich glaube fest daran: Kunst wird es immer geben, und Musik wird es immer geben.

Zum Konzert: Das von Paavo Järvi dirigierte Konzert mit dem JSOZ findet am Samstag, 14. Juni um 20.30 Uhr auf dem Münsterhof in Zürich statt. Auf dem Programm stehen Edvard Griegs «Peer-Gynt»-Suite und Antonín Dvořáks Sinfonie «Aus der neuen Welt». Der Eintritt ist frei.
Weitere Informationen: «tonhalleAIR» mit Jugend Sinfonieorchester Zürich (JSOZ) | Musikschule Konservatorium Zürich
Weitere Informationen zum JSOZ: Jugend Sinfonieorchester Zürich (JSOZ) | Musikschule Konservatorium Zürich
Zur Person
Paavo Järvi, 1962 in Tallinn geboren, ist seit der Saison 2019/2020 der Music Director der Tonhalle Zürich. In Estland, das damals noch zur Sowjetunion gehörte, studierte er Perkussion und Dirigieren und spielte in einer beliebten Rockgruppe. 1980 wanderte seine Familie in die USA aus, wo Paavo Järvi sein Studium bei Leonard Bernstein fortsetzte. 2001 wurde er Chefdirigent in Cincinnati. Auf die USA folgten Deutschland, Frankreich und Japan als weitere wichtige internationale Stationen. Seiner Heimat Estland ist Paavo Järvi fest verbunden: Mit seinem Vater Neeme Järvi, ebenfalls ein erfolgreicher Dirigent, gründete er 2011 das Musikfestival von Pärnu sowie die Järvi-Akademie. In Zürich hat Paavo Järvi die Conductors’ Academy mit ins Leben gerufen. Als Gastdirigent arbeitet er mit Orchestern wie den Berliner Philharmonikern, dem Philharmonie Orchestra London sowie dem New York Philharmonic.
