Gabi, du bist Bereichsleiterin Eltern- und Erwachsenenbildung an der Viventa und leitest bereits 20 Jahre PEKiP®- und andere Elternbildungskurse. Was schätzt du besonders an deiner Arbeit in den PEKiP®-Kursen?
Dass ich Eltern in der sensiblen Phase des Mutter- und Vaterwerdens und beim Neuaufstellen des Familiensystems begleiten darf. Weil die Babys mit im Kurs sind, kann ich die entwicklungspsychologische Theorie anhand vieler praktischer Beispiele erklären – so wird das theoretische Wissen mit Leben gefüllt.
Kannst du uns ein Beispiel dafür geben?
Wenn ich sage, Kinder machen nie etwas ohne Grund, kann ich ein Baby zeigen, das auf dem Rücken liegt, mit einem angewinkelten und einem ausgestreckten Arm. Babys machen das, weil sie so die ausgestreckte Hand sehen können. Sobald sie den Kopf in die andere Richtung drehen, streckt sich der andere Arm aus, damit sie wiederum ihre Hand sehen können. In der nächsten Entwicklungsphase brauchen sie diese Bewegung nicht mehr zu machen, weil sie die Hände vors Gesicht nehmen und sie auch zum Mund führen können. Der «Fechterstellung-Reflex» löst sich dann auf, weil er nicht mehr benötigt wird. Es ist ein wahnsinnig schlaues Programm, nach dem sich Babys entwickeln.
Was für eine Philosophie steckt eigentlich hinter dem Prager-Eltern-Kind-Programm (PEKiP®)?
Das Programm stammt von Jaroslav Koch, einem Prager Kinderarzt. Er fand in Säuglingsheimen heraus, dass sich Babys besser entwickeln, wenn man regelmässig bewegungsfördernde Aktivitäten mit ihnen macht. Deutsche Pädagoginnen haben aufgrund seiner Erkenntnisse Bewegungsanregungen für Babys entwickelt, die nun unter dem standardisierten Prager-Eltern-Kind-Programm angeboten werden.
Was bringen die PEKiP®-Kurse den Eltern und ihren Babys?
Die Eltern müssen 90 Minuten nichts erledigen, keine Wäsche machen, nicht kochen, keine E-Mail beantworten. Sie sind auf einer Beziehungsinsel mit ihrem Baby und können diese gemeinsame Zeit geniessen – davon profitieren Eltern und Kinder. Was die Eltern aus dem Kurs mitnehmen, ist so unterschiedlich wie die Beweggründe für ihre Teilnahme. Wenn ein Vater andere Eltern mit Babys kennenlernen möchte, besucht er unseren Kurs. Dann merkt er, dass er auch viele neue Informationen erhält, obwohl er schon etliche Ratgeber und viele Podcasts gehört hat. Eine Mutter ist vielleicht unsicher, weiss nicht, wie sie sich mit ihrem Baby verbinden kann. Im PEKiP-Kurs gewinnt sie Vertrauen in sich und ihr Kind. Sie versteht die Signale ihres Babys besser und weiss, was es braucht. So erhalte ich nach dem Kurs oftmals die Rückmeldung: «Ich habe mich und mein Kind besser kennengelernt.»
Was bringen die Kurse den Babys?
Die Babys haben Kontakt zu Gleichaltrigen. Wenn sie zwei- oder dreijährige Geschwister haben, ist das wie Kino. Sie können nicht mithalten, da sie von der Entwicklung her an einem ganz anderen Ort stehen. Gleichaltrige können sie beobachten, sie werden inspiriert, ermuntert und ahmen nach, was sie beobachtet haben. Alle profitieren voneinander und davon, in einem warmen Raum zu sein, nur die Windel zu tragen und die Welt zu entdecken. Babys sind generell sehr bewegungsfreudig.
Dein schönstes Erlebnis in all deinen Jahren als PEKiP-Kursleiterin?
Zwei Dinge freuen mich immer wieder: Wenn ich im Kurs sehe, dass Eltern ein stärkendes und beruhigendes Gefühl entwickeln, Vertrauen in sich und ihr Kind gewinnen und nicht mehr so nach aussen gerichtet sind. Ich sehe die Beziehung, die sich vertieft. Oft treffe ich Eltern Jahre später auf der Strasse und sie sagen mir: «Ich habe nicht gedacht, wie nachhaltig der Kurs ist.» Vieles im Kurs gilt nicht nur für das Babyalter, sondern auch später und grundsätzlich für Kinder und Eltern.
Braucht es diese frühe Förderung überhaupt?
Viele Eltern wissen schon sehr viel. Remo Largo liegt auf ihrem Nachttisch und 1000 andere Bücher. Was wir bieten, ist: Orientierung in der Informationsflut. Besinnung darauf, welche Informationen die Eltern von ihrem Kind erhalten. Innere Orientierung zu finden, ist sehr wichtig für Familien als erste soziale Einheit. Frühe Förderung stärkt und begleitet Eltern auch in der Beziehung zu ihrem Kind. Diese sichere Bindung ermöglicht es Babys, vertrauensvoll die Welt zu entdecken und bildet Resilienz. Diese sichere Bindung, der Austausch in der Gruppe, das entwicklungsgerechte Spielmaterial sowie die vorbereitete Umgebung sind die wesentlichen Elemente von PEKiP®. Durch die Niederschwelligkeit erreichen wir ganz unterschiedliche Familien und das Angebot kann sein riesiges Potenzial entfalten.
Es gibt sehr viele Angebote für Babys wie Krabbelgruppen, was zeichnet PEKiP®-Kurse an der Viventa aus?
Der Vorteil ist, dass bei uns eine stabile Gruppe von Eltern-Kind-Paaren über einen längeren Zeitraum zusammenkommen. Das fördert den vertrauensvollen Austausch unter den Eltern und lässt diese wertvollen Kontakte auch lange über die Kurszeit hinaus Bestand haben. Es wird auch mehr angeleitet als in anderen Angeboten. Zudem werden die Kurse von in Elementarpädagogik ausgebildeten und äusserst erfahrenen Expertinnen geleitet.
Du gibst bei uns auch die Kurse «Coaching – Erziehungskompetenz erweitern!» oder «Erziehen ohne laut zu werden» und hältst Vorträge in Kitas und Schulen. Welche Erziehungsthemen brennen den Eltern am meisten unter den Nägeln?
Das ist natürlich abhängig vom Alter der Kinder. Bei Babys und Kleinkindern beschäftigt die Eltern am meisten die Rhythmisierung vom Tag, die Autonomiephase und das Grenzen setzen. Die Frage «Wer ist hier der Chef?» zieht sich allerdings durch bis zur Pubertät.
Wie schafft man es, als Eltern die Balance zu halten und nicht zu lasch, aber auch nicht zu überbehütend oder zu streng zu sein?
Es ist ein Zusammenspiel von Bindung und Exploration; Wie viel lässt man die Kinder selbst machen, wie stark ist man noch da für sie – ein ständiger Balanceakt. Es geht darum, die eigenen Bedürfnisse und die Bedürfnisse des Kindes wahrzunehmen. Wo geht es um Vertrauen und wo um Verantwortung? Es ist ganz normal, dass man manchmal zu viel macht und manchmal zu wenig. Der Begriff «Good enough Parenting» ist mir wichtig, dass es für ein Kind ausreichend ist, wenn seine Eltern zwar nicht perfekt, aber liebevoll und zuverlässig sind.
Wie werden Kinder stark und resilient?
Indem sie eine sichere Bindung und zuverlässige Bezugspersonen haben, indem man ihnen etwas zutraut und sie Dinge selbst machen lässt – ohne sie dabei allein zu lassen. Wichtig ist zudem, dass sie einen guten Umgang mit Gefühlen wie Frust, Wut und Enttäuschung finden dürfen. Indem sie Selbstwirksamkeit erleben dürfen, und wir ihnen ein Modell sein können in Sachen Dankbarkeit. Wir sind auch ein wichtiges Modell für unsere Kinder, indem wir uns gut schauen und Verantwortung für uns übernehmen.
Du bist selbst Mutter von zwei erwachsenen Kindern. Wie hat dir deine Ausbildung und dein Fachwissen geholfen bei ihrer Erziehung?
Als ursprüngliche Fachfrau Betreuung hatte ich überhaupt keine Sorgen in Bezug auf die körperliche Pflege meiner Kinder. Baden, Nägel schneiden oder Brei zubereiten, waren leicht für mich. Mein Fachwissen hat mir aber nicht viel geholfen, wenn es um die Beziehung ging. Wenn ich arbeite, habe ich professionelle Distanz, mit meinen Kindern habe ich unprofessionelle Nähe. Und wenn man dann in manchen Momenten denkt, jetzt habe ich versagt, ist es härter, weil man doch eigentlich die theoretischen Modelle kennt.
Gabi, ganz herzlichen Dank für das Gespräch.
1. Geben Sie Ihrem Kind Sicherheit
Kreis der Sicherheit: Egal ob Ihr Kind wenige Monate alt ist oder bereits ein Teenager, etwas bleibt sich immer gleich: Die Eltern sind der sichere Hafen, von dem aus die Kinder die Welt entdecken. Der Kreis der Sicherheit bedeutet, dass die Eltern ihre Hände geöffnet haben, damit die Kinder sich auf ihre Entdeckungstouren begeben können. Die Eltern freuen sich gemeinsam mit ihrem Kind über die neuen Erfahrungen und die erfolgreichen Unternehmungen, die es auf seinem selbstständigen Weg macht. Wenn das Kind müde wird, erschöpft oder überfordert ist, dann sind die Hände immer noch offen und präsent, um das Kind wieder in Empfang zu nehmen und ihm die Sicherheit, die Unterstützung und den Trost zu geben, den es braucht.
2. Knüpfen Sie Kontakte und kreieren Sie ein Netzwerk
It takes a village to raise a child: Eine Familie zu haben, Kinder zu erziehen ist so schön wie anstrengend. Eltern sollten das nicht ganz alleine machen müssen. Die erweiterte Familie kann auch eine Wunsch- und Wahlfamilie sein. Knüpfen Sie Kontakte zu anderen Familien (zum Beispiel in einem der vielen Elternbildungskurse der Fachschule Viventa) und kreieren Sie so ein Netzwerk der praktischen und emotionalen Unterstützung. Wenn das nicht möglich ist oder nicht ausreicht, dann zögern Sie, nicht fachliche Hilfe zu suchen. Der online «Wegweiser» der Stadt Zürich bietet einen guten Überblick über die vielfältigen Möglichkeiten.
3. Übernehmen Sie Verantwortung
Wer ist hier der Chef/die Chefin? Es ist wichtig, dass Eltern klar ist, wer in der Verantwortung ist und wer erwachsen ist. Der partnerschaftliche Ansatz überfordert Kinder und lässt sie in ihrem natürlichen Bedürfnis nach Orientierung und Sicherheit allein.
4. Sie müssen nicht perfekt sein
Good enough parents: Gut genug reicht. Kinder brauchen gute, zuverlässige, nahbare, authentische und feinfühlige Eltern. Perfekt müssen Mütter und Väter nicht sein. Das entlastet Eltern und Kinder gleichermassen. Wenn Eltern an sich den Anspruch haben, perfekt sein zu müssen, übernehmen die Kinder diesen Glaubenssatz und internalisieren «ich muss auch perfekt sein, Fehler zu machen ist nicht in Ordnung.»
5. Leben Sie Ihre Werte vor
Lernen am Modell: Die Werte, die den Eltern wichtig sind und wie sie diese im Alltag umsetzen, werden von den Kindern ganz genau beobachtet und übernommen. Was ich mir als Vater/Mutter von meinem Kind wünsche, sollte ich dementsprechend auch vorleben. Oder wie es Karl Valentin gesagt hat «Kinder kann man nicht erziehen, sie machen einem eh alles nach.»