Auf dem Münsterhof sitzt eine Dame unter dem Sonnenschirm eines Cafés, das es nicht gibt. Und sinniert in fliessendem Griechisch, Deutsch und Englisch darüber, wem Zürich gehört. Denen, die schon immer hier waren? Ihr, die vor 25 Jahren zugezogen ist? Den Tourist*innen? Oder gehört Zürich allen? «Denn sind wir nicht alle auf der Durchreise?» fragt sie das Publikum. Es sitzt am äussersten Rand des Platzes im Schatten des Fraumünsters – die Hitze hat es dorthin getrieben.
Die Performance ist Teil des Festivals, das am letzten Juni-Wochenende zum vierten und letzten Mal durchgeführt wurde. Veranstaltet wurde es vom gleichnamigen Verein, der von der Stadtentwicklung Stadt Zürich für dieses Projekt unterstützt wurde.
Zusammenbringen, wer sonst nicht zusammenkommt
Es ist eine grosse Aufgabe, um die sich Festivalleiterin Gunda Zeeb und ihr Team vor acht Jahren beworben haben: Sie sollten nichts weniger als gegen Diskriminierung und Ausgrenzung vorgehen. Dass die Aufgabe gestellt wurde, geht auf die Volksinitiative «Für ein weltoffenes Zürich – Kulturaustausch statt Fremdenfeindlichkeit!» zurück, welche die Juso 2014 eingereicht hatte. Der Zürcher Stadtrat wollte aber kein zentrales Kulturzentrum für den interkulturellen Austausch schaffen und schlug stattdessen vor, alle zwei Jahre interkulturelle Programmwochen durchzuführen.
Mittlerweile haben Gunda Zeeb und ihr Team das Festival «About Us!», wie sie die Programmwochen nennen, vier Mal durchgeführt und sind dafür in sechs Aussenquartiere gegangen. Wer, wenn nicht sie, kann sagen, was gegen Fremdenfeindlichkeit wirkt?
Gunda Zeeb überlegt nicht lange: «Wir wollen Menschen zusammenbringen, die sonst nie zusammenkommen würden. Menschen unterschiedlichster Herkunft», sagt sie, während Arbeiter auf dem Münsterhof die Bühne für das Festival zusammenhämmern. Denn nur wenn sich Menschen begegneten, könnten sie überprüfen, ob ihre Vorurteile oder Verallgemeinerungen zutreffen würden – und sie beseitigen.
Kriege werfen ihre Schatten auch auf Zürich
Dieser Ansatz hat funktioniert, sagt sie. Zumindest wenn sie und ihr Team die Leute dazu brachten, sich zu begegnen. Das war nicht immer einfach. Seit die Russen 2022 in die Ukraine eingefallen sind, wollen Ukrainer*innen nicht mehr viel mit Russ*innen zu tun haben, und seit Herbst 2023 gehen auch Palästinenser*innen und Israel*innen auf Distanz zueinander. Das sei oft nicht persönlich gemeint, sagt Gunda Zeeb. Aber wenn sie hier mit Angehörigen kriegsführender Länder gesehen würden, könnte es ihre Familie in der Heimat zu spüren bekommen. «Die kriegerischen Auseinandersetzungen in der ganzen Welt spiegeln sich auch in unserer Gesellschaft.»
Aber selbst Menschen zusammenzubringen, welche keine belastete Beziehung zueinander haben, war nicht immer einfach. Das Festival fand hauptsächlich in den Aussenquartieren statt – dort, wo das kulturelle Angebot klein ist und tendenziell mehr Bewohner*innen aus dem Ausland zugezogen sind. Wie, so fragten sich Gunda Zeeb und ihr Team, erreichen sie die Leute dort? Wie bringen sie sie dazu, mit anderen eine Theateraufführung vorzubereiten oder ihren Garten für einen gemeinsamen Kaffee zu öffnen? Und wie können sich die Quartierbewohner*innen miteinander verständigen, wenn fast jede*r eine andere Muttersprache spricht? Ihre ersten Anlaufstellen waren die Quartiervereine. Aber der Vorstand bestand oft aus Alteingesessenen und nicht immer war ausreichend Interesse für die neu Zugezogenen vorhanden.
Wenn Menschen bereit sind, zusammenzukommen und aufeinanderzutreffen, so ist die Idee von «About Us!», dann sollen sie nicht auf verletzende Begegnungen zurückschauen, sondern zusammen nach vorne blicken. Sie sollen nicht auspacken, was sie in ihrem Rucksack mit sich tragen, sondern zusammen etwas Neues schaffen. Wie die Performerin auf dem Münsterplatz.
So ist in den letzten Jahren eine Tanzperformance mitten in der Tram-Endschlaufe in Wollishofen entstanden oder ein Konzert für Gehörlose in Oerlikon, das mittels Gebärdensprache übersetzt wurde. In Affoltern deckten lokale Vereine ihre Spezialitäten auf, so dass sich die multikulturelle Vielfalt des Quartiers auf den Tischen spiegelte. Und im Kreis vier bot ein Reisebüro Trips in die Aussenquartiere an.
Die vereinende Kraft der Kunst
«Ich glaube daran, dass Kunst helfen kann, Fronten aufzubrechen und Vorurteile zu überwinden», sagt Gunda Zeeb. So war es naheliegend, dass sie, die Tanz- und Theaterexpertin mit einem Master in Kulturmanagement, die Menschen über die Kunst zusammenbringen will. Gunda Zeeb kam 2006 als Dramaturgin ans Theaterhaus Gessnerallee, 2013 übernahm sie die Leitung des Wildwuchs Festivals in Basel, das Menschen sichtbar macht, die oft übersehen werden – Menschen mit Beeinträchtigungen, Migrant*innen, Ältere. 2018 gründete sie mit dem damaligen Co-Leiter Sam Mosimann den Verein «About Us!» für die Durchführung des Festivals.
Welche Bilanz zieht Gunda Zeeb nach vier Austragungen? Messen lässt sich nicht, was «About Us!» bewirkt hat – die Begegnungen liessen sich nicht zählen, Tickets wurden keine verkauft, die Eintritte waren kostenlos. Es lässt sich auch nicht sagen, ob auch jene Einwohner*innen erreicht wurden, die der Migration skeptisch gegenüberstehen.
Eine Endstation nicht nur zum Aussteigen
Statt von Zahlen erzählt Gunda Zeeb deshalb von Beobachtungen und Rückmeldungen. Von Affoltern, wo die Bevölkerung den neuen Jonas-Furrer-Park erst aktiv nutzte, nachdem eine Performance-Gruppe den ersten Schritt gemacht hatte. Von Künstler*innen unterschiedlicher Herkunft, die sich durch das Festival kennenlernten und später zusammenarbeiteten. Oder von Wollishofen, wo sich die Bevölkerung freute, dass die Tram-Endstation belebt wurde und für einmal nicht nur zum Aussteigen diente.
Auch bei der Stadt zieht man eine positive Bilanz. Christof Meier, Leiter der Fachstelle Diversität, Integration, Antirassismus der Stadtentwicklung Zürich, misst den Erfolg an den Zielen, welche das Parlament vorgegeben hat. Die interkulturellen Programmwochen sollen Zürichs Vielfalt zeigen, den interkulturellen Austausch in den Quartieren fördern, das Zusammenleben stärken. «Das hat «About Us!» erfolgreich umgesetzt», sagt er.
Bereits läuft die Ausschreibung für die nächsten interkulturellen Programmwochen – der bestehende Auftrag kann nicht weiter verlängert werden. Die Menschen über die Kunst zusammenzuführen, wie es «About Us!» getan habe, habe dem Zeitgeist der letzten Jahre entsprochen, sagt Christof Meier. Dieser Ansatz könne aufgenommen werden, es dürfe künftig aber auch etwas ganz anderes sein.
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