Am 24. Mai 2025 war es so weit: Entlang der Seepromenade zwischen Bellevue und Zürichhorn stand der längste Tisch der Schweiz. Tausende Menschen sassen über eine Länge von 1,2 Kilometern Seite an Seite, genossen gemeinsam Picknickbags mit kalten und warmen Gerichten von 84 Betrieben aus allen Zürcher Stadtkreisen – und feierten den Auftakt des Jubiläums zum zehnjährigen Bestehen von «Food Zurich». Es war mehr als ein stimmungsvoller Anlass. Es war ein Symbol: für eine Stadt, die über den Genuss zusammenkommt. Und für ein Festival, das innerhalb eines Jahrzehnts zu einer Institution geworden ist.
«Es war von Anfang an unser Ziel, dass sich 'Food Zurich' in der Stadt verankert», sagt Anna Hofmann. Die Kommunikationsexpertin ist seit 2016 Vorstandsmitglied von «Food Zurich» und organisiert als interimistische Leiterin das Jubiläumsfestival. Sie erinnert sich an die Anfangsjahre: «Wir wollten schon damals einen langen Tisch am See machen – und bekamen die Antwort: «'Kommt in zehn Jahren wieder, wenn ihr etabliert seid.' Jetzt sind wir da.»
Mehr als Essen
Die Wurzeln des Festivals reichen ins Jahr 2012 zurück, als fünf Spitzenhotels die Eventreihe «il TAVOLO» ins Leben riefen. 2016 wurde daraus «Food Zurich», getragen von einem Verein, der Akteur*innen aus Kulinarik, Gastronomie und Hotellerie vernetzt. Seitdem hat sich die Veranstaltung vom kulinarischen Geheimtipp zum grössten Kulinarikfestival der Schweiz und zum drittgrössten Food Festival Europas – entwickelt. Fast 750 000 Besucher*innen zählte das Festival bisher, 3800 Mitwirkende haben an 1234 Veranstaltungen teilgenommen.
«Unser Ziel war nie, einfach nur gutes Essen zu servieren», sagt Anna Hofmann. «Es ging uns immer um mehr: um Geschichten, Haltungen, Identität.» Die 44-jährige Zürcherin ist Mitgründerin von «Cuisine sans frontières» und «Slow Food Youth». Sie bringt nicht nur Organisationstalent, sondern auch eine tiefe Leidenschaft fürs Kochen mit.
Ihr Signature Dish? «Wenn Sie meine beiden Kinder fragen: Pizza.» Sie selbst mag am liebsten vegetarische Gerichte mit einer säuerlichen Note. Ihr aktueller Favorit? Risoni, eine reiskornförmige Pasta, mit Spargeln, Zitrone, Bröseln und viel frischen Kräutern. Aber eigentlich gehe es ihr beim Kochen nicht nur ums Rezept, betont sie: Es gehe auch um die Ambiance, um die Präsentation und vor allem ums Zusammensein. «Es geht um den Austausch – auch mit Menschen, die anderer Meinung sind. Kurz: Essen ist sozialer Kitt.»
Eine Plattform für die kulinarische Stadtentwicklung
«Food Zurich» ist weit mehr als ein Street Food Festival, wie es inzwischen in vielen Stadtquartieren anzutreffen ist. Es ist eine kuratierte Plattform und ein Schaufenster der gastronomischen Vielfalt Zürichs.
Rund 120 Veranstaltungen finden dieses Jahr an sechzig verschiedenen Orten statt: Von exklusiven Menüs über inspirierende Kochworkshops bis hin zu Food-Touren und Degustationen – für jeden Geschmack ist etwas dabei. Zum Beispiel: «Schweizer Fischgenuss», «Essbare Wildpflanzen in Zürich», «Ein Kunstwerk auf dem Teller: Foodstyling & Fotografie», «Konzert der Sinne: eine essbare Partitur» oder «Natural Wine Tasting».
Das Festivalzentrum an der Europaallee dient als Drehscheibe, Lounge und Workshop-Raum. «Unser Ziel ist es, die Vielfalt der Stadt abzubilden. Wir wollen nicht missionieren, sondern möglich machen», sagt Anna Hofmann. Besonders wichtig sei die dezentrale Struktur: «Wir wollen die Menschen in die Betriebe bringen – dorthin, wo Gastronomie entsteht.»
Was zeichnet Zürcher Gastronomie aus? «Ihre enorme Vielfalt», sagt sie. «Es gibt immer mehr und immer spezifischere Angebote: Küche aus fast allen Ländern und Kulturräumen, mit unterschiedlichen Wertvorstellungen – von pflanzlich über ayurvedisch bis zum Nose-to-Tail-Ansatz. Hier findet sich für jeden Geschmack das Passende – und das ziemlich punktgenau.»
Auch die Bandbreite der Organisationsformen hat sich stark weiterentwickelt: «Neben klassischen Full-Service-Restaurants und Take-Aways gibt es heute auch Foodtrucks, Pop-up-Restaurants sowie zunehmend private Supper Clubs und Ghost Kitchens». Während in Supper Clubs ein begeisterter Hobbykoch Freunde und Fremde zum Essen zu sich nach Hause einlädt, sind Ghost Kitchens neuartige Restaurants, die das Essen ausschliesslich liefern oder zur Abholung anbieten.
Kulinarik als Standortfaktor
Längst hat sich «Food Zurich» auch über die Stadtgrenzen hinaus einen Namen gemacht. Besucher*innen reisen aus dem In- und Ausland an – sogar aus den USA gibt es Ticketreservationen. Und die Tourismusbranche hat das Potenzial des Festivals für das Standortmarketing erkannt.
Auch bei der Stadt Zürich kommt diese Entwicklung gut an – denn sie unterstützt das Festival organisatorisch und finanziell. «Die Stadt setzt sich im Rahmen ihrer Strategie Zürich 2040 für eine nachhaltige, prosperierende Wirtschaft ein. Ernährung ist dabei ein relevanter Faktor», sagt Anna Schindler, Direktorin der Stadtentwicklung Zürich. «‘Food Zurich‘ vereint alle Aspekte: Wirtschaft, Versorgung, Soziales, Gesellschaft, Lebensfreude. Darüber hinaus ist der Erfolg des Festivals auch ein Symbol für Zürichs Aufstieg zu einem internationalen Gastro-Hotspot.»
Aus Sicht der Stadt besonders erfreulich ist, dass neben Gastrobetrieben auch die urbane Produktion Teil des Festivals ist. Produzent*innen öffnen ihre Werkstätten, zeigen, wie Bier gebraut, Schokolade gegossen oder Biber gebacken werden – und verkaufen ihre Produkte am Slow Food Market in der Europaallee. «Je diverser unsere Wirtschaft, desto stabiler ist sie», sagt Anna Schindler. «Deshalb wollen wir die urbane Produktion in Zürich stärken – gerade auch im Bereich der Nahrungsmittel».
Die Gastronomie setzt rund 40 Prozent aller in der Stadt Zürich konsumierten Lebensmittel ab – und hat damit grossen Einfluss auf Klima und Umwelt. Eine nachhaltige Küche kann einen wichtigen Beitrag zum Klimaziel Netto-Null 2040 leisten. Deshalb gehören Nachhaltigkeit und Food-Waste zu den zentralen Themen des Festivals. Seit den Anfängen setzt «Food Zurich» auf saisonale, regionale Produkte, kluge Abfallkonzepte und Bildungsangebote.
Stadtrat Andreas Hauri bringt es im Grusswort zum Jubiläum auf den Punkt: «Nachhaltige Ernährung bedeutet nicht Verzicht, sondern bewusster Genuss. Food Zurich zeigt eindrucksvoll, dass Nachhaltigkeit auch bei einem Genuss-Festival möglich ist.»
Ein Tisch für jeden Stadtkreis
Nach dem Jubiläumsjahr steht für Anna Hofmann und ihr Team eine Auslegeordnung an: Was hat sich bewährt? Was kann weiterentwickelt werden? Sicher ist: Die dezentralen Events bleiben das Herz des Festivals. Und Hofmanns Vision? «Ich liebe die Idee des langen Tisches. Warum nicht nächstes Jahr statt einem langen zwölf kürzere? In jedem Stadtquartier einer. Essen als soziales Ereignis, über die ganze Stadt verteilt.»
Das würde gut zum Festival passen. Denn so, wie sich Zürich verändert hat, hat sich auch seine Kulinarik gewandelt. «Food Zurich» ist zum Spiegel dieser Entwicklung geworden. Oder, wie Anna Hofmann sagt: «Food bedeutet Zusammenleben. Und genau das fördert dieses Festival in bester Weise.»