Am 2. Juli ist der Anpfiff zur ersten Frauen-EM in der Schweiz. Geht für Sie ein Traum in Erfüllung?
Absolut. Es wird ein riesiges Fussballfest in der ganzen Schweiz. Dass schon die meisten Spiele ausverkauft sind, freut mich ganz besonders. Denn wir mussten jahrzehntelang mit Vorurteilen kämpfen und uns anhören: Frauenfussball interessiert doch keinen, er ist nicht spannend, die Qualität ist schlecht. Nun zeigt sich: Er interessiert sehr viele und wir steuern geradewegs auf einen Rekord an Zuschauer*innen zu! Endlich bekommt der Frauenfussball die Aufmerksamkeit, die er verdient.
Sie gehören zu den elf prominenten EM-Botschafterinnen der Host City Zürich. Was sind die EM-Highlights in der Stadt Zürich?
Das grösste Highlight findet natürlich auf dem Rasen statt. Mit England, Frankreich, Deutschland und Holland werden in Zürich die besten Teams Europas zu sehen sein. Schön finde ich auch, dass die Fan-Zone inklusive Public Viewing an der Europaallee sein wird. So können die Menschen im Herzen der Stadt gemeinsam dieses Fussballfest feiern.
Darüber hinaus hat die Stadt Zürich ein vielfältiges Rahmenprogramm geplant. Darunter auch «Her Game Culture» mit 45 Kulturprojekten an der Schnittstelle zum Fussball.
Diese Verbindung finde ich grossartig. Fussball ist auch Teil der Kultur, und so erreicht man mehr Menschen als nur die «Afficionados». Mir gefällt auch das «Red Goals»-Kunstprojekt: riesige rote Leuchttore, die in Zürich im öffentlichen Raum installiert werden und als Symbol der EM darauf aufmerksam machen. Ganz besonders am Herzen liegt mir das Projekt «ZüriKick», das sich an Mädchen wendet. Die Stadt Zürich bietet Schülerinnen kostenlose Kurse im schulnahen Umfeld. Dies ist eine Initiative, die hoffentlich einen nachhaltigen Effekt hat für den lokalen Frauenfussball.
Sie setzen sich seit vielen Jahren für den Frauenfussball ein. Ist diese EM auch ein Meilenstein der Gleichberichtigung?
Es ist eine riesige Chance. Aber ein Meilenstein wird das Turnier nur, wenn es nicht zum PR-Event verkommt, sondern eine nachhaltige Wirkung hat. Wenn klar wird, dass wir den Schwung mitnehmen und die Vereine, der Verband und die Medien es auch wirklich ernst nehmen mit der Förderung des Frauenfussballs. Wir haben noch immer eine riesige Lücke was Ressourcen, Sichtbarkeit, Teilhabe und Löhne betrifft.
Wo sehen Sie die grösste Baustelle?
Beim Mitspracherecht von Frauen in Entscheidungspositionen. Sowohl in den Vereinen als auch in den Verbänden bestimmen fast ausschliesslich Männer. Es braucht dort mehr Frauen, damit der Frauenfussball gleichberechtigt mitgedacht wird bei der Planung und Ressourcenverteilung.
Ist Fussball also tatsächlich ein Abbild der Gesellschaft, wie es heisst?
Ich denke schon. Im Fussball wie in der Gesellschaft haben nicht alle Menschen dieselben Möglichkeiten zur Mitwirkung und Teilhabe. Dies ist bedingt durch Geschlecht, sozialen Hintergrund und tatsächlicher oder zugeschriebener Herkunft. Die Basis ist durchmischt und divers, bei der Mitbestimmung und der Priorisierung der Anliegen aber sieht es anders aus. Das zeigt sich etwa, wenn es heisst: Frauen haben nichts auf dem Fussballplatz zu suchen oder wenn, dann nur auf dem Nebenplatz. Fussball ist also durchaus politisch.
Sie sind seit Februar Projektleiterin bei der Fachstelle Diversität, Integration, Antirassismus der Stadtentwicklung Zürich. Welche Rolle spielt der Rassismus im Frauenfussball?
Er ist weniger verbreitet als bei den Männern, aber es gibt auch hier rassistische Vorfälle. Erst kürzlich sorgte in England der Fall der jamaikanischen Manchester-City-Stürmerin «Bunny» Shaw für Schlagzeilen, nachdem sie von Fans rassistisch attackiert wurde. Rassismus ist ein strukturelles Problem, und so ist auch der Frauenfussball kein geschützter Raum, auch wenn viele in der Frauenfussball-Community sensibilisierter sind. Deshalb ist es wichtig, Antirassismus als Daueraufgabe zu behandeln und Antidiskriminierung im Allgemeinen stetig zu priorisieren. Ich sehe die Chance, dass wir es besser machen können.
Wie kann das gelingen?
Indem wir den Frauenfussball weiterhin anders denken und integrativ gestalten. Indem wir uns auch künftig klar positionieren und klarmachen, dass Diskriminierung nicht toleriert wird. Bei uns herrscht traditionell ein inklusiver Geist, eine grosse Offenheit und Solidarität und es gibt viele ermutigende Projekte gegen Sexismus, Homophobie, aber auch gegen Rassismus. Diese sollen mit der laufenden Professionalisierung weiterhin realisiert und vorangetrieben werden.
Es spielen immer mehr Mädchen und Frauen mit Migrationshintergrund Fussball – das widerspiegelt sich auch im Nationalteam. Wie wichtig ist Fussball für die Integration?
Sehr wichtig. Fussball ist eine der beliebtesten Sportarten und Nebenbeschäftigung von vielen – er führt unterschiedlichste Menschen zusammen. Wir lachen zusammen, lernen und träumen. Das verbindet, macht Spass und führt zu Respekt und Zusammenhalt. Es schafft Räume, in denen Mädchen und Frauen Selbstvertrauen, Teamgeist und Freundschaften aufbauen können.

Zurück zur EM: Wo werden Sie die Spiele verfolgen?
Ich werde mehrere Spiele in verschiedenen Stadien besuchen. Darunter auch das Eröffnungsspiel Schweiz gegen Norwegen in Basel. Die restlichen Spiele schau ich daheim im TV oder zusammen mit Freund*innen im Public Viewing. Ich möchte so viel wie möglich von diesem grossartigen Fest aufsaugen.
Was trauen Sie den Schweizerinnen zu?
Sehr viel. Das Team hat den letzten zwei Jahren einen grossen Umbruch erlebt und es sind einige talentierte Spielerinnen dazugestossen. Der Mix aus Routine und Talent stimmt. Dazu haben wir mit Pia Sundhage eine unglaublich erfahrene Trainerin. Und wir haben Heimvorteil. Deshalb bin ich überzeugt: Die Schweizerinnen werden uns viel Freude machen.
Jedes Turnier ist auch eine Bühne für Individualistinnen. Wen gilt es besonders zu beachten?
Natürlich die Weltfussballerin Aitana Bonmati aus Spanien. Aber es gibt auch spannende Talente, deren Stern aufgehen könnte: Etwa Jess Park aus England, die Spanierin Salma Paralluelo oder die Französin Sandy Baltimore. Auch die Schweiz hat mit der erst 18-jährigen Sidney Schertenleib vom FC Barcelona ein Riesentalent.
Und wer wird Europameisterin?
Die meistgenannten Favoritinnen sind die Titelverteidigerinnen aus Spanien. Aber ich tippe auf England. Sie verfügen über einen enorm starken Kader und scheinen mir titelhungrig. Aber wer weiss: Vielleicht sorgen ja die Schweizerinnen noch für eine Überraschung.
Sarah Akanji engagiert sich seit vielen Jahren in Vereinen und Politik für den Frauenfussball. 2016 gründete sie das erste Frauenteam des FC Winterthur und ist Host des Podcasts «Steilpass». Von 2019 bis 2023 war sie Mitglied des Zürcher Kantonsrats. Heute ist sie Projektleiterin bei der Fachstelle Diversität, Integration, Antirassismus der Stadtentwicklung Zürich. (mk)