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Beats aus dem Bundesasylzentrum: Mehr als nur Musik

Eine Gitarre, ein paar Verstärker und ein Raum voller Geschichten: Im Bundesasylzentrum Glaubenberg bringt Musik Menschen zusammen und lässt Talente aufblühen. Was als zufällige Gitarrenstunde begann, wurde zu einem besonderen Musikprojekt – mit Songs über Abschied, Hoffnung und eine ungewisse Zukunft.

Cornelius_am_Schlagzeug

Ein eingängiger Hip-Hop Beat, darüber wird auf Französisch gerappt – in lettre à mon fils richtet sich der Vater an den Sohn. Er erzählt, warum er seine Heimat und Familie verlassen musste – und hofft auf ein Wiedersehen. Was für ungeübte Ohren nach erstaunlich professionell produzierter Musik klingt, ist nicht im Studio, sondern in den Räumlichkeiten des Bundesasylzentrums (BAZ) Glaubenberg entstanden. Produzent ist Betreuer Cornelius Heinzer. Im Rahmen des Beschäftigungsprogamms hat er den Song zusammen mit einem Asylsuchenden entwickelt, eingespielt, aufgenommen und gemischt.

Im Laufe der Zeit sind einige Instrumente zusammengekommen.

Angefangen habe alles durch Zufall, erzählt Cornelius. Er habe sich aus Spass eine Gitarre geschnappt, die in der Ecke stand und zu spielen begonnen. Da kam eine junge Frau auf ihn zu und fragte ihn, ob er ihr das Spielen beibringen könne. So habe er mit dem Unterricht begonnen. Damit sei er auf reges Interesse gestossen. Immer mehr Gesuchstellende kamen auf ihn zu, entweder um zu lernen oder mitzuspielen. «Teilweise hatte ich bis zu sechzehn Personen im Raum, die alle spielen wollten», erinnert sich Cornelius schmunzelnd. Auf Ricardo konnte er günstig weitere Instrumente ersteigern: Ein Schlagzeug, ein Bass und drei Verstärker sind im Laufe des Sommers dazugekommen. Die Zeit zum Spielen muss jedoch eingeplant werden. Tagsüber sind die Asylsuchenden beschäftigt. Sie übernehmen Arbeiten in- und ausserhalb des Zentrums oder lernen Deutsch. Ein- bis zweimal pro Woche treffen sie sich, meist abends, um zusammen Musik zu machen.

Musik als Ventil

Musik war immer Teil von Cornelius' Leben – kein Wunder, er stammt aus einer Musikerfamilie. Sein Vater war Komponist, seine Mutter Berufsmusikerin. Als Kind fühlte er sich der Klassik verpflichtet, das Waldhorn und das Klavier waren seine Instrumente. Eigentlich alles zu verkopft für seinen Geschmack – vor allem das Waldhorn. Musik sei da, um sich auszudrücken und Neues zu erschaffen. In seiner Jugend wandte er sich deshalb moderneren Musikformen zu und gründete eine Grunge- und Punkband. Er brachte sich selbst das Gitarren-, Bass- und Schlagzeugspielen bei. Für die Asylsuchenden ist das gemeinsame Musizieren ein Ventil, um Stress und Druck abzulassen. «Bei vielen Gesuchstellenden hier sind die Chancen eher klein, dass sie in der Schweiz bleiben dürfen», erklärt Cornelius. Die Musik helfe ihnen, für kurze Momente ihre Probleme zu vergessen.

Gegenseitiges Lernen

Schrittweise Lieder lernen: Notenblätter mit den Übungsbeats.

«Es gibt auch immer wieder Personen, die haben ein verborgenes Talent», erzählt Cornelius. Er erinnert sich an einen 14-jährigen Jugendlichen, der mit seinem Vater im Familienhaus auf dem Glaubenberg wohnte. Eines Abends sei er während einer Jamsession ins Zimmer spaziert und habe sich ans Schlagzeug gesetzt: «Er begann zu spielen, und zwar wie ein Metronom», erzählt Cornelius beeindruckt, «Ich habe ihm gesagt ‹You’ve got a certain talent, if you wanna learn I can teach you›.» Danach sei er jeden Abend vorbeigekommen. Auf dem Handy zeigte er Cornelius die Beats, die er spielen wollte. Zusammen erarbeiteten sie diese dann schrittweise und nahmen drei Lieder auf. Kurz nach der letzten Aufnahme trennten sich ihre Wege. Gemeinsam mit seinem Vater verliess der Jugendliche am Tag darauf die Schweiz, um sein Glück in einem anderen Land zu versuchen. Das ist Alltag in der Arbeit mit Asylsuchenden in Bundesasylzentren – trotzdem fallen die plötzlichen Abschiede schwer.

Doch nicht nur die Asylsuchenden lernen beim Musikprojekt Neues – auch Cornelius erweitert sein musikalisches Repertoire: «Ich lerne jedes Mal von ihnen. Sie zeigen mir etwas, und ich versuche es nachzuspielen.» Besonders faszinierend findet er die somalische Musik: «Sie ist schwierig zu spielen, weil sich die Instrumente an der Tonhöhe des Gesangs orientieren.» Um diesem Klang näherzukommen, möchte er eine Krar anschaffen – eine traditionelle Leier. Dann können die Gesuchsteller*innen selbst spielen und ein Stück Heimat teilen.

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