Um den wertvollen Baumbestand zu sichern, führt die Stadt Zürich stadtweit geltende Vorschriften für den Baumerhalt ein. Der Praxisleitfaden Baumerhalt erläutert wichtige Begriffe und Formulierungen aus den neuen Bestimmungen und zeigt deren Vollzug auf.
Ein Baum ist eine zweikeimblättrige, verholzte Pflanze, die aus einer Wurzel, einem oder mehreren daraus emporsteigenden, hochgewachsenen Stämmen und einer belaubten oder benadelten Krone besteht. Stamm, Äste und Zweige verlängern sich jedes Jahr, verholzen dabei und nehmen kontinuierlich an Umfang zu.
Keine Bäume im Sinne der Baumerhaltungsbestimmung sind Palmen (einkeimblättrig, kein sekundäres Dickenwachstum), an Gerüsten oder Wänden gezogene Gehölze wie Spaliere oder als Hecken gepflegte bzw. geschnittene Gehölzstrukturen.
Mehrstämmige Bäume weisen mehrere Stämme auf, die aus einem einzigen Wurzelstock wachsen oder am Stammfuss zusammengewachsen sind. Auch Bäume, bei denen sich der Stamm kurz über dem Boden in mehrere Stämme verzweigt, gelten als mehrstämmige Bäume. Bei Stämmen, die am Boden einen Abstand voneinander aufweisen, kann von mehreren einstämmigen Bäumen ausgegangen werden.
Der Stammumfang wird 100 cm über dem gewachsenen Boden (am tiefsten Punkt und in Wuchsrichtung des Stammes) gemessen. Bei mehrstämmigen Bäumen werden nur die zwei dicksten Stämme gemessen. Bei Verzweigungen oder anderen Verdickungen des Stammes unmittelbar im Messbereich wird an einer Stelle ober- oder unterhalb gemessen, wo die Verzweigungen oder Verdickungen den Stammumfang nicht mehr beeinflussen. Bei Verzweigungen unterhalb der Messstelle wird der Baum als mehrstämmiger Baum behandelt.
Zum Kronenbereich zählen Stamm und Äste des Baumes. Eine Fällbewilligung ist erforderlich:
- für einmalige Kappungen oder wiederholte Eingriffe im Kronenbereich, die die Leistungsfähigkeit und die natürliche Gestalt des Baumes so stark reduzieren, dass er seine Funktionen nicht mehr ausreichend erfüllen kann;
- für Eingriffe in den Kronenbereich, die zur Instabilität der Baumkrone oder zu einer Beeinträchtigung der Standfestigkeit des Baumes führen.
Als Wurzelbereich wird in der Regel die projizierte Kronenfläche des Baumes plus zwei Meter betrachtet. Eine Fällbewilligung ist erforderlich für Eingriffe in den Wurzelbereich,
- die die Standfestigkeit des Baumes beeinträchtigen und/oder für den Baum lebenswichtige Wurzeln zerstören, z.B. durch Aushub von Gräben oder durch Abgrabung des Geländes im Wurzelbereich;
- die die für den Baum lebenswichtigen Wurzeln (auch Feinwurzeln) schädigen, z.B. durch den flächigen und maschinellen Abtrag der obersten Vegetationsschicht, durch das Befahren des Wurzelbereichs mit schweren Maschinen, durch das Lagern von schweren Materialien unter der Baumkrone sowie deren Zu- und Abtransport.
Eine Fällbewilligung kann erteilt werden, wenn ein der Baumerhaltung entgegenstehendes Interesse überwiegt. Art. 4e Abs. 1 BZO führt beispielhaft mögliche Fälle auf:
- die physiologische Altersgrenze des Baumes gemäss Art und Standort ist erreicht;
- wegen einer Pflegemassnahme zugunsten eines wertvollen Gesamtbaumbestandes muss der Baum entfernt werden;
- die Sicherheit von Menschen oder Sachen ist durch den Baum gefährdet;
- die ordentliche Grundstücksnutzung wird durch den Baum übermässig erschwert.
Diese Aufzählung ist nicht abschliessend. Im Rahmen der Interessenabwägung können auch weitere Gründe, wie z.B. invasive Neophyten gemäss Freisetzungsverordnung, berücksichtigt werden, die für die Fällung eines Baums sprechen.
Die Möglichkeit der Ersatzpflanzung wird bei der Interessenabwägung nicht berücksichtigt. Sie ist vielmehr die Folge der bewilligten Baumfällung. Dabei ist zu beachten, dass die Erhaltung von Bäumen dem Ersatz grundsätzlich vorzuziehen ist, da Bäume in der Regel ihre volle Grösse und Leistungsfähigkeit erst nach mehreren Jahrzehnten erreichen.
Ob die Fällung eines Baumes zugunsten der ordentlichen Grundstücksnutzung bewilligt werden kann, wird für die jeweilige spezifische Situation gestützt auf eine Interessenabwägung beurteilt.
Berücksichtigt werden die mit dem Baumerhalt verfolgten öffentlichen Interessen (z.B. Bedeutung des Baums für das Siedlungsbild und/oder den ökologischen Ausgleich, Wirksamkeit des Baums für die Hitzeminderung). Bei deren Gewichtung werden die Baumart, das Alter, die Grösse und die Entwicklungsaussichten des Baumes einbezogen.
Als privates Interesse fällt das Interesse an einer möglichst uneingeschränkten Grundstücksnutzung und dabei insbesondere an der Ausschöpfung der zulässigen baulichen Ausnützung ins Gewicht. Führt der Baumerhalt zu einer übermässigen Erschwernis in der Grundstücksnutzung, ist die Bewilligung der Baumfällung gerechtfertigt.
Der Nachweis einer übermässigen Erschwernis der ordentlichen Grundstücksnutzung ist durch die Bauherrschaft zu erbringen (Dokumentation, Pläne etc.). Zu diesem Nachweis gehört auch die Prüfung von Varianten, die die Erhaltung des Baums oder Baumbestands ermöglichen.
Diese Prüfung beinhaltet insbesondere die Fragen:
- Kann die Anordnung und Gestaltung der Bauten und Anlagen im Sinne des Baumerhalts verändert werden?
- Kann die Erschliessung im Sinne des Baumerhalts anders erfolgen?
- Können die Werkleitungen im Sinne des Baumerhalts verlegt werden?
- Kann die Baustelleninstallation und -logistik im Sinne des Baumerhalts anders eingerichtet werden?
Als nicht übermässige Erschwernis gelten in der Regel beispielsweise folgende Situationen:
- Einschränkungen der möglichen Begrünung aufgrund der durch den Baum geprägten Standortbedingungen, z.B. Rasen im Schatten des Baumes kann sich nicht etablieren;
- Reinigungsaufwand für das Entfernen von Blütenblättern, Laub, Zweigen usw.;
- Verdecken der Aussicht durch den Baum.
Sowohl bei der Beseitigung eines Baums aufgrund einer Fällbewilligung als auch beim natürlichen Abgang, wird eine angemessene Ersatzpflanzung verlangt.
Eine angemessene Ersatzpflanzung bedeutet,
- dass Art, Grösse und Anzahl der neu gepflanzten Bäume den gegebenen Platzverhältnissen, dem Quartierbild und der Nutzung entsprechen;
- dass die Bäume zukünftig eine möglichst gleichwertige oder bessere Wirkung für die Hitzeminderung (Schatten, Kühlung), den ökologischen Ausgleich (Arten mit hohem Biodiversitätswert, einheimische Arten) und die Aufwertung des Siedlungsbilds entfalten können;
- eine möglichst vielfältige Baumartenwahl, welche eine grosse Widerstandsfähigkeit (Hitze, Trockenheit, Sturm, Schadorganismen usw.) aufweist;
- dass die Bäume die Einordnung der Bauten und deren Umgebung ins umliegende Quartier unterstützen.
Im Rahmen einer Fällbewilligung werden einzelfallweise die Rahmenbedingungen für die Ersatzpflanzung geprüft. Ein geeigneter Baumstandort weist genügend Wurzelraum und ausreichend Raum für die Versickerung von Regenwasser auf (§ 238a Abs. 3 PBG).
Die Ersatzpflanzung soll Ersatz leisten für den beseitigten bzw. abgegangenen Baum. Eine Ersatzpflanzung muss dabei nicht zwingend mit derselben Zahl an Bäumen oder derselben Baumart erfolgen. Unter Umständen ist sogar dieselbe Baumart auszuschliessen, z.B. wenn es sich um einen invasiven Neophyten handelt. Mit der Anordnung der Ersatzpflanzung können Vorgaben bezüglich der Anzahl und der Wahl der Baumart gemacht werden.
In besonderen Fällen können auch andere räumlich wirksame Bepflanzungen (grosse Sträucher, Hecken) als Ersatz für Bäume in Betracht gezogen werden.
Als «natürlicher Abgang» gilt:
- das Absterben des Baumes wegen des altersbedingten Verlusts der Vitalität oder durch den Befall von Schadorganismen oder als Folge von Hitze- und Trockenperioden;
- die Zerstörung des Baumes (Entwurzeln, Kronen- oder Stammbruch) durch Elementarereignisse wie z.B. Sturm oder Schneedruck;
- die Beschädigung von Bäumen (z.B. ein Starkast- oder Stämmlingsabbruch) durch Elementarereignisse wie z.B. Sturm oder Schneedruck, die als Spätfolge zum Abgang des Baums führt.
Alle sehr starken, nicht menschgemachten Schädigungen, die zur Instabilität der Bäume, zu einer Zerstörung ihrer natürlichen Gestalt oder zu einem späteren Absterben führen, gelten damit als natürlicher Abgang, der grundsätzlich eine Ersatzpflicht auslöst.
Die Erteilung der Fällbewilligung entbindet nicht davon, materielles Recht einzuhalten. Insbesondere darf in der Brutzeit das Brutgeschäft von Vögeln nicht gestört werden (vgl. Art. 17 Bundesgesetz über die Jagd und den Schutz wildlebender Säugetiere und Vögel1).