
63 Meter ragt das «Lochergut» in den Zürcher Himmel – ein «Wohngebirge», das Geschichte schrieb. Was in den 1960er-Jahren als umstrittenes Experiment begann, ist heute eine gefragte Adresse im Kreis 4. Was sie besonders macht? Eine Idee, die bis heute trägt: viele Menschen auf engem Raum, vielfältige Nutzungen unter einem Dach, kurze Wege zu allem, was das Leben braucht. Seit über fünf Jahrzehnten funktioniert hier das Zusammenleben von Jung und Alt, Familien und Singles, Menschen aus aller Welt – nicht immer reibungslos, aber in einer lebendigen, tragfähigen Gemeinschaft.
Die Wohnsiedlung steht auf dem ehemaligen Werkhof der Baufirma Locher & Cie., die 1917 nach Leimbach zog. 1959 – in einer Zeit akuter Wohnungsnot – schrieb die Stadt auf dem «wertvollen Bauareal an städtebaulich wichtiger Lage» einen Architekturwettbewerb für eine «städtische Wohnkolonie» (Geschäftsbericht 1958) aus.
Gewinner des Wettbewerbs war der Architekt Karl Flatz. Mit niedrigen Bauten schloss er an die bestehende Quartierstruktur an, während ein bis zu 22-geschossiges Hochhaus einen markanten Abschluss am Seebahngraben bildet. Ursprünglich waren sogar 28 Stockwerke und 461 Wohnungen vorgesehen, doch der Regierungsrat des Kantons Zürich bewilligte lediglich eine gemässigte Variante.
Die Wohnungen sind zweckmässig und hell gestaltet: Die Wohn- und Essbereiche durchqueren die Hochhausscheibe von Ost nach West und lassen Licht von beiden Seiten herein. Laubenbalkone bieten zugleich Privatsphäre und dienen der Erschliessung. In den oberen Etagen öffnet sich ein weiter Blick über das Limmattal bis zu den Alpen – Sonnenaufgang und Sonnenuntergang inklusive.
345 Wohnungen bieten Raum für verschiedene Haushaltgrössen: von kompakten 1-Zimmer-Apartments mit 27 Quadratmetern bis zu grosszügigen 4,5-Zimmer-Wohnungen mit 102 Quadratmetern. Vor dem Erstbezug im Jahr 1966 konnten drei möblierte Maisonette-Wohnungen besichtigt werden, «um Interessenten Anregungen für eine zweckmässige Möblierung zu vermitteln», wie es im Geschäftsbericht 1966 heisst. «Diese Wohnungsausstellung war sehr gut besucht.»
Im Hochhaus sind die Wohnungen auf besondere Weise zugänglich: Jeweils drei Stockwerke teilen sich einen Laubengang – einen offenen Gang entlang der Gebäudeseite. An den beiden Enden des Gangs liegen die Eingänge zu je einer Wohnung auf derselben Etage. Die vier mittleren Türen führen abwechselnd eine Etage höher oder tiefer und erschliessen dort jeweils zwei weitere Wohnungen.
Während die Wohnungen stets beliebt waren und weggingen wie frische Weggli, mieden Fussgänger die dunkle Ladenpassage mehr und mehr. Im Jahr 2002 beschloss die Stadt einen umfassenden Umbau der Geschäftsflächen. Im Wettbewerbsverfahren setzte sich der Entwurf von pool Architekten durch.
Kern des Umbaus war eine clevere Rochade: Der Supermarkt wanderte ins Innere, die vormals dunklen Läden erhielten neue Schaufensterfronten zur Badenerstrasse. Heute umfasst das Zentrum zehn Ladenlokale – darunter das Grand Café Lochergut, eine Apotheke und ein Blumenladen. Das Obergeschoss bietet moderne Büroflächen.
Seit der Verkehrsberuhigung hat sich der Ort besonders abends zu einem Treffpunkt entwickelt. Dann wird das Dach des Ladenzentrums zur Lichtskulptur: Zehn leuchtende Kuben des Künstlers Olaf Nicolai verändern stetig ihre Farben – gelegentlich erscheint der Schriftzug «Lochergut».
Auf dem Dach des Ladenzentrums befindet sich ein Treffpunkt für die Mieterschaft: eine grosse Terrasse mit Holzbänken, schattenspendenden Bäumen, einem Pingpongtisch, Spieltischen für Dame und Schach, einem Planschbecken und einem Spielplatz, den Kinder mitgestaltet haben. Auch ein Kindergarten und ein Kinderhort sind hier untergebracht.
Jung und Alt leben hier auf engem Raum zusammen – rund 600 Menschen unter einem Dach. Wie in jeder grossen Hausgemeinschaft kommt es dabei zu Spannungen. Die städtische Bewirtschaftung und der angegliederte Sozialdienst unterstützen bei Konflikten und fördern ein respektvolles und konstruktives Miteinander.
Die Überbauung liegt mitten im lebhaften Kreis 4 – nur einen Katzensprung vom Ausgehviertel rund um die Langstrasse entfernt, und noch näher am angesagten Idaplatz. Die Tramhaltestelle Lochergut – bis 1968 noch «Sihlfeldstrasse» genannt – liegt direkt vor der Haustür. Der Bahnhof Hardbrücke mit S-Bahn-Verbindungen über die Stadtgrenze hinaus ist schnell erreichbar, ebenso der Hauptbahnhof. Schulen vom Kindergarten bis zur Sekundarstufe sind gut zu Fuss zugänglich. Einkaufsmöglichkeiten gibt es zahlreiche: vom Quartierlädeli bis zum Supermarkt.
Die Wohnsiedlung wurde als Gegenentwurf zur locker bebauten Gartenstadt der Nachkriegszeit geplant und setzt stattdessen auf eine dichtere Bauweise und die sorgfältige Nutzung des verfügbaren Raums. Das «Lochergut» steht für ressourcenschonendes Zusammenleben und gilt heute als Beispiel nachhaltiger Stadtentwicklung. 1989 wurden Gebäudehülle und Fenster energetisch saniert. Derzeit noch mit Gas beheizt, ist 2027 der Anschluss an die Fernwärme vorgesehen.
- Baujahr 1963–1966
- Architektur Karl Flatz
- Künstlerische Gestaltung Olaf Nicolai (Schriftzug «Lochergut.», 2006/2016)
- Instandsetzungen Aussenhülle, Fenster, Küchen (1989); Ladenzentrum mit Bürogeschoss (2006), Projekt: pool Architekten; Tiefgarage (2007)
- Raumprogramm 345 Wohnungen, 1 Kindergarten, 1 Tageshort, [bddpc1] Ladenzentrum mit Bürogeschoss (Geschäftsflächen von 43–1965 m²), ZüriWC, Tiefgarage für 297 Autos, 13 Autoboxen, 26 Mofaplätze, 16 Motorradplätze, 23 Abstellplätze im Freien, Zivilschutzanlage
- Mietzinse Kostenmiete (freitragend und subventioniert)
- Adresse Seebahnstrasse 171–177, 181, 185, Badenerstrasse 230, Sihlfeldstrasse 80, 86 und 88, Erismannstrasse 61, Karl-Bürkli-Strasse 5–11, 8004 Zürich
- Es sind keine Behindertentoiletten verfügbar.