
Die spezifische Architektur des fünfgeschossigen Verwaltungszentrums Eggbühl erinnert Vreni Spieser an ein Containerschiff. Mit zwei künstlerischen Eingriffen wendet sie das Haus in ein Schiff und wieder zurück. An ausgewählten Orten sind auf Wänden, in Nischen und Ecken Fotografien von einer mehrwöchigen Schiffsreise der Künstlerin als Fototapete montiert und geben so Einblicke in ein oder Ausblicke von einem Containerschiff auf hoher See frei. Mehrschichtig, weiss glänzend gestrichene Wände, Geländer und Brüstungen tauchen als schiffstypische Versatzstücke im Gebäude auf. Ohne klar erkennbares System, aber gerade so oft, dass die Imagination eines ganzen Schiffes über die Wahrnehmung der Teile gelingt, ziehen sich diese beiden Elemente von den Untergeschossen über den Garten bis zur Dachterrasse. Auf einer fiktionalen Ebene übernimmt diese Kippdynamik eine kleine Treppe, die während der Sanierung des Gebäudes entfernt wurde und über die man von der einen Welt in die andere gelangt. Denn die Treppe taucht immer wieder in einem Fortsetzungsroman auf, der Geschichten vom Haus und Schiff erzählt und in einer Reihe von Heftnummern an die Mitarbeitenden und Besuchenden des Verwaltungszentrums Eggbühl geht.
Vreni Spieser überblendet mit verschiedenen künstlerischen Eingriffen die Identität des Hauses mit derjenigen eines Schiffes. Vom Untergeschoss bis zur Dachterrasse blitzt das Schiff im Haus auf: immer dort, wo neben glänzend weiss gestrichenen Flächen grossformatige Fototapeten angebracht sind, die Blicke in das Schiffsinnere oder vom Deck des Hochseeriesen auf das weite Meer freigeben. Ein Fortsetzungsroman in zehn Folgen spielt im Haus und Schiff und spinnt das Spiel weiter. In einer Wechselausstellung werden zwischen 2021 und 2023 verschiedene Objekte gezeigt, die unterschiedliche Themen im Kontext des Bereisens der Weltmeere verhandeln: Warentransport und Handel, Geschichte und Politik, Piraterie und Ausbeutung, Romantik, Sehnsucht, Abenteuer und Freiheit.
Sibylle Omlin: In Deiner Arbeit «GLITCH Das Haus Ein Schiff» für das Verwaltungszentrum Eggbühl in Zürich-Seebach ist eine Schiffsreise nach Argentinien der zentrale Ausgangspunkt. Wie kam es zu dieser Idee?
Vreni Spieser: Das Schiffsbild ist bei der Begehung des Gebäudes aufgetaucht. Die langen, engen Gänge im Innenraum haben dieses Bild provoziert. Die Gänge wiederholen sich von Stockwerk zu Stockwerk. Man verliert die Orientierung. Das erinnerte mich an das Gefühl auf dem Containerschiff auf meiner langen vierwöchigen Schiffsreise über den Atlantik, die ich im Herbst 2011 von Le Havre via Westafrika nach Zárate bei Buenos Aires unternommen hatte. Die Ausdehnung des Gebäudes im Quartier, die Materialität und die paar Fenster in Bullaugen-Form erinnern an ein grosses Schiff.
Du hast Fotos, die Du auf der Reise gemacht hast, in den Gängen, Eingangszonen, Sitzungszimmern und Kaffeetheken des Gebäudes eingepasst. Wie bist Du da vorgegangen?
Ich habe mich für eine Fototapete entschieden, weil sie eine direkte Umsetzung der vergangenen Realität erlaubt. Die Bilder fügen sich in die Architektur ein, teilweise übernehmen sie sogar strukturelle Elemente wie Geländer oder reagieren auf die Farbgebung. Mit der Fototapete tut sich auch ein Fenster in eine andere Welt auf. Eine Fototapete ist immer eine Illusion, wie die Panaromatapeten im 18. und 19. Jahrhundert. Die Fototapete ist eine Weiterentwicklung davon.
Auch die Farbe Weiss spielt eine wichtige Rolle in dem Bürogebäude. Welche Funktion hat das Weiss?
Die Fotowände sind mit weiss bemalten Säulen oder Wandelementen kombiniert. Die speckig glänzende Lackfarbe Weiss hat einen realen Bezug zur Schiffswelt, weil die Schiffswände meist in diesem Weiss gestrichen sind. Das Geländer der Dachterrasse vor der Cafeteria, die Säulen im Innenraum und die Lampen im Garten tragen diesen weissen Lack. Eine konzeptuelle Entscheidung, die sehr wichtig ist, weil das Weiss alles ästhetisch und strukturell zusammenhält.
In Deiner Arbeit kommt auch ein Groschenroman in zehn Folgen vor. Figuren und Geschichten zum Arbeitsumfeld des Eggbühls werden vom Autor Sascha J. Dorn erfunden…
Der Groschenroman bildet den Link zwischen den Mitarbeiter*innen des Verwaltungsgebäudes und den Menschen, die entweder die Pilzkontrolle, das Betreibungsamt oder die Schulzahnklinik im Haus aufsuchen. Der Roman wird vom hausinternen Weibel in allen Abteilungen verteilt.
Zudem hat der Roman einen realen Aufhänger im Gebäude: Eine Treppe im Haupteingangsbereich ist beim Umbau verschwunden. Sie wurde zubetoniert. Diese Treppe brachte mich erst auf die Idee, eine Fortsetzungsgeschichte schreiben zu lassen. Ja, die Arbeit fasst verschiedene Wahrnehmungsidentitäten zwischen Haus und Schiff im Verwaltungsgebäude Eggbühl zusammen: Der weisse Lack betont die Materialität des Schiffskörpers, die Fototapeten sind illusionistische Fenster und der Groschenroman ist reiner Imaginationsraum.
- Kunst Vreni Spieser (*1963), Zürich
«GLITCH Das Haus Ein Schiff», 2020
Fototapeten, Weissmalerei, Fortsetzungsroman (10 Ausgaben), Wechselausstellung
Foto: Till Forrer, Zürich - Projektleitung Kristin Bauer
- Bauherrschaft Stadt Zürich
- Eigentümervertretung Immobilien Stadt Zürich
- Bauherrenvertretung Amt für Hochbauten
- Bauzeit 2019–2020