2021 wurde das neue Gebäude für die Kriminalabteilung der Stadtpolizei Zürich fertiggestellt. Kurator Adam Szymczyk hat sieben Kunstschaffende eingeladen, sich mit der Architektur und dem institutionellen Kontext auseinanderzusetzen. Die Resultate waren in der Ausstellung «Other Voices, Other Rooms» zu sehen, die dem Kunstpublikum auch die einzigartige Gelegenheit bot, das neue Gebäude von innen zu sehen.
Das Gebäude der neuen Kriminalabteilung wirkt mit seinen Fensterbändern, die rund um die Fassaden laufen, durchlässig und transparent. Eintreten aber dürfen fast nur Mitarbeitende, Hilfesuchende und Beschuldigte, denn die Arbeit der Kriminalabteilung ist sehr sensibel. Wie könnte Kunst für diesen Ort aussehen? Wo könnte sie stattfinden? An wen könnte sie sich richten?
Für diese komplexe Aufgabe wurden Konzepte gesucht, weshalb sich der 2018 ausgeschriebene Kunst-und-Bau-Wettbewerb für einmal in erster Linie an Kurator*innen richtete. Adam Szymzcyk gewann den Wettbewerb mit seinem Projekt «Other Voices, Other Rooms. Eine Ausstellung als Erinnerung für eine Zukunft».

Szymczyks Vorschlag basiert auf einer präzisen Analyse des Ortes: Öffentlichkeit ist für Kunst eine conditio sine qua non, eine unabdingbare Voraussetzung; und die künstlerischen Werke sollen mit dem Ort und seiner Nutzung interagieren, dürfen aber weder stören noch sollten sie selbst durch den Ort und seine Bedingungen eingeschränkt werden.
Damit formuliert Szymczyk die neuralgischen Punkte von Kunst und Bau an sich, ihr Potenzial und ihre Herausforderung. Kunst-und-Bau-Werke treten aus dem Schutz der Unbestimmtheit und Kontextlosigkeit von Kunsträumen heraus und können in lebensweltlichen Zusammenhängen erfahrbar und wirksam werden – darin liegt ihr grosses Potenzial. Ihre ständige Herausforderung besteht hingegen darin, dass sie sich in bau- oder nutzungsbedingten Sachzwängen behaupten und mit einer potenziell eingeschränkten Sichtbarkeit und Zugänglichkeit umgehen müssen.
Um der Kunst maximale Freiheit und Öffentlichkeit zu ermöglichen, sieht das ebenso radikale wie simple Konzept von Szymczyk vor, den Ort der Kunst vom Handlungsraum der Polizei zu trennen. Bevor das Gebäude zum Haus der Polizei wird, wird es ein Haus der Kunst. Kunstschaffende entwickeln Werke in Auseinandersetzung mit dem Ort, seiner Bestimmung und seinen baulichen wie institutionellen Einrichtungen. Für die Dauer einer Ausstellung wird das Haus geöffnet. Der gesamte Prozess wird fotografisch dokumentiert und eine Reihe von Fotos bleibt dauerhaft im Gebäude.
Die Stimmen der Kunstschaffenden, ihre ortsspezifisch entwickelten Werke, eröffnen andere Räume, um über Polizeiarbeit und Justiz nachzudenken. Die Ausstellung der Werke macht sie für eine Öffentlichkeit zugänglich, die sie auch dann noch in der Erinnerung aktivieren kann, wenn das Haus für das allgemeine Publikum nicht mehr zugänglich ist. So bleiben sie auf eine gewisse Weise bestehen.
Melanie Hofmann schreibt die Vorgeschichte des Polizeigebäudes als ‹Haus der Kunst› buchstäblich in die Architektur ein. Hofmann hat den gesamten Prozess fotografisch festgehalten, vom Entstehen des Gebäudes und den Besuchen der Kunstschaffenden über die Realisation der Kunstwerke bis zum Aufbau und der Eröffnung der Ausstellung. Nun sind sechsundsiebzig Bilder im Siebdruckverfahren dauerhaft in die Beton- und Rohputzwände eingebracht.

Die Werke der sechs Kunstschaffenden kreisen im Grunde genommen alle um die Notwendigkeit und die Voraussetzungen einer rechtsstaatlichen Ordnung und um die Verantwortung, die eine in diesem Sinne eingesetzte Institution hat – mit all der ihr übertragenen Macht. Daniel Knorrs Arbeit entwirft die Utopie einer Welt im Lot, in der diese regulierenden Institutionen überflüssig wären. Hiwa K thematisiert die Auswirkungen eines Unrechtsregimes, dessen Machtapparat auf privates Leben, Bildungs- und Rechtsinstitutionen übergreift. Die Arbeiten von Zehra Doğan führen vor Augen, wie sich die Macht des überwachenden Staates auf den Körper auswirkt. David Harding und Ross Birrell stellen den Anspruch auf rechtliches Gehör als Grundlage der Rechtsstaatlichkeit ins Zentrum ihrer Arbeiten. Banu Cennetoğlu adressiert die mögliche gegenseitige Voreingenommenheit zwischen Kunst und Polizei und entwirft eine versöhnliche Geste an die jeweils andere Seite.
Die Fotoarbeit von Melanie Hofmann erhält die Denk- und Erfahrungsräume, die durch die Stimmen der Kunstschaffenden im Inneren der Kriminalabteilung geöffnet werden. Und der Ausstellungsbeitrag von David Harding trägt diese Stimmen gewissermassen auf die Schwelle von Institution und Stadtraum. Seine Textinstallation «Audiatur et altera pars» ist nun dauerhaft in den Betonboden vor dem Haupteingang eingelassen. Die römische Maxime – übersetzt in die vier Schweizer Landessprachen − verweist auf das gegenseitige Zuhören, auf das Sehen und Hören der anderen Seite als Prinzip der Verständigung und des Verständnisses, der Introspektion und Selbstreflexion von Individuen und Systemen und letztlich der Rechtsstaatlichkeit und Demokratie.
Zu diesem Projekt erscheint im Frühjahr 2025 eine Publikation mit den Ausstellungsbeiträgen der teilnehmenden Künstler*innen und Fotos jener Siebdrucke, die im Gebäude zu sehen sind.
Text: Kristin Bauer