Für Menschen, die von Armut betroffen sind und/oder in prekären Verhältnissen leben, ist die Teilhabe am Sport nicht leicht. Von Armut betroffen oder armutsgefährdet zu sein, bedeutet, nicht oder nur knapp ausreichend finanzielle Mittel zu haben, um den Lebensalltag und die damit verbundenen Kosten decken zu können. Daher ist die Teilhabe an Sportangeboten nicht problemlos möglich.
Geld braucht es im Sport nicht nur für den Kauf von Sportkleidung, für die Vereins- und Mitgliedsbeiträge oder für die Anreise zum Trainingsort. Auch das gemeinsame Getränk in der Kneipe nach dem Training oder die Pizza nach dem Ligaspiel am Wochenende gehören zur Teilhabe und zum Miteinander im Sport. Und auch das kostet Geld.
Um Sport treiben zu können, brauchen Menschen ausserdem regelmässig freie Zeit. Für Menschen, die in prekären Verhältnissen leben, ist Zeit jedoch häufig knapp und/oder nur begrenzt planbar, z. B. weil sie alleinerziehend sind, andere Menschen zuhause pflegen, mehrere, oft schlecht bezahlte Jobs haben und zu sehr frühen oder späten Zeiten arbeiten. Sport ist Freizeit und Zeit für eine*n selbst. Diese muss einem Menschen zur Verfügung stehen und sie muss finanzierbar sein. Mit anderen Worten: Armut und prekäre Lebensverhältnisse sind mehr als nur ein «Geldproblem», wenngleich finanzielle Mittel eine wichtige Rolle spielen.
In der Gesellschaft findet sich häufig die Vorstellung, dass Armut und/oder das Leben in prekären Verhältnissen – zumindest zu einem gewissen Grad – selbstverschuldet ist. Es wird erwartet, dass von Armut betroffene Menschen ihre Lebenssituation erklären und rechtfertigen können. Nehmen armutsbetroffene und in prekären Verhältnissen lebende Menschen nicht am Sport teil, wird dies häufig als eine persönliche Entscheidung interpretiert. Joggen kostet ja nichts und für den Vereinsbeitrag kann ich sparen, wenn es mir wichtig ist. Solche und ähnliche stereotype Vorstellungen sind klassistisch, d. h. es handelt sich um abwertende Vorstellungen von Menschen, die nicht armutsbetroffen sind und einer höheren sozialen Klasse angehören. Klassistische Vorurteile blenden die Lebenssituationen der betroffenen Menschen aus. Sie führen zudem zu Scham und oft auch dazu, dass sich von Armut betroffene Menschen aus sozialen Kontexten zurückziehen. Armut ist kein individuelles, sondern ein strukturelles Problem und sie kann jeden Menschen treffen.
Menschen, die von Armut betroffen sind und/oder in prekären Verhältnissen leben, sind keine einheitliche Gruppe. Ihre individuellen Geschichten, Erfahrungen und Lebensbedingungen sind unterschiedlich und die Gründe, warum Menschen von Armut betroffen sind, hängen unmittelbar mit weiteren Diskriminierungserfahrungen zusammen. So zeigen Statistiken in der Schweiz, dass Menschen mit Behinderungen in höherem Masse von Armut betroffen sind als Menschen ohne Behinderungen. Ähnliches lässt sich für Menschen mit Migrations- oder Fluchtgeschichte festhalten. Wenn diese und vergleichbare Zusammenhänge bei der Planung und Gestaltung von Sportangeboten Berücksichtigung finden, kann Menschen die Teilhabe am Sport ermöglicht werden, die ihm bisher aufgrund ihrer Lebenslage ferngeblieben sind.

Im Sport engagierte Menschen, wie u. a. Kursleitende und Trainer*innen, können durch ihre Haltung und ihr Handeln dazu beitragen, Sportangebote armutssensibel zu gestalten.
Armut und eine prekäre Lebenslage sind nicht ohne weiteres sichtbar. Gehen Sie davon aus, dass es in jeder Sportgruppe Menschen gibt, die von Armut betroffen oder armutsgefährdet sind. Das betrifft insbesondere auch Kinder und Jugendliche im Sport, die in prekären Verhältnissen aufwachsen.
- Erweitern Sie gemeinsam mit Menschen in Ihren Sportvereinen/Sportorganisationen, Ihr Wissen über Armut im Sport und über Möglichkeiten, Ihre Sportangebote auch für Menschen mit wenig Geld zu öffnen.
- Überlegen Sie, welche Kosten mit der Sportart und/oder mit dem Sportangebot, das Sie leiten, verbunden sind (z. B. für Ausrüstung, Mitgliedsbeiträge, Anfahrtskosten, gemeinsame Unternehmungen im Verein).
- Überlegen Sie, wann und wo das Sportangebot und Training stattfindet und welche Regelmässigkeit der Teilnahme Sie erwarten.
Oft ist von Armut betroffenen Menschen die Teilhabe an Sportangeboten nicht möglich und/oder sie bleiben aus Scham und Angst dem Sport fern. Das betrifft Erwachsene, aber auch Kinder und Jugendliche aus armutsbetroffenen oder armutsgefährdeten Familien. Sportangebote können jedoch armutssensibel und niedrigschwellig gestaltet werden.
- Machen Sie in der Ankündigung Ihres Sportangebots und/oder auf Ihrer Vereinswebseite deutlich, dass alle Menschen willkommen sind, d. h. auch unabhängig von ihrem Geldbeutel. Kommunizieren Sie anfallende Kosten transparent und zeigen Sie gut sichtbar Möglichkeiten auf, dass und wie diese reduziert werden können (z. B. kostenloser Verleih von Sportausrüstung, Gratis- und Unterstützungsangebote)
- Überlegen Sie gemeinsam mit Menschen in Ihrer Organisation/Verein, wie ein gratis Sportangebot gestaltet werden kann. Nutzen Sie Möglichkeiten, finanzielle Unterstützung zum Beispiel bei einem kantonalen Sportamt oder einer Stiftung zu beantragen. Auf diese Weise entlasten Sie von Armut betroffene Menschen und ihre Familien. Wichtig ist jedoch: Es geht nicht darum «Sonderangebote» für armutsbetroffene oder armutsgefährdete Menschen zu planen. Es geht darum, Teilhabe zu ermöglichen.
- Die Auswahl der Trainings- und Veranstaltungsorte ist wichtig, damit für Menschen keine weiten Anfahrtswege entstehen und Menschen in ihrem gewohnten Wohnumfeld sportlich aktiv werden können. Inwiefern können Sie mit Ihrer Organisation/Sportverein ein Angebot in Wohngegenden ausbauen, in denen Sie bisher nicht aktiv sind?
Wer sportliche Aktivitäten anleitet, ist im Rahmen des Kurses/Trainings dafür verantwortlich, für alle Beteiligten einen sicheren, diskriminierungsfreien Raum zu gewährleisten. Die Art und Weise, wie Kursleitende und Trainer*innen auf Grenzüberschreitungen und verletzende Äusserungen reagieren, bestimmt die Atmosphäre und die geltenden Regeln des Miteinanders.
- Kommunizieren Sie deutlich, dass Sie von den Teilnehmenden gegenseitigen Respekt und Fairness erwarten (z.B. keine klassistischen, sexistischen, rassistischen, homo-, trans-, behindertenfeindlichen oder sonst diskriminierende Sprüche).
- Intervenieren Sie sofort, wenn eine teilnehmende Person verbal oder non-verbal diskriminiert, beleidigt, unfair behandelt oder abgewertet wird. Weisen Sie die diskriminierend handelnde Person ruhig auf ihr Fehlverhalten hin. Wählen Sie dabei eine klare, gewaltfreie Sprache.
- Es ist wichtig, Diskriminierung auch dann zu begegnen, wenn nicht direkt von der Diskriminierung betroffene Menschen vor Ort sind. Sprüche wie «Das war aber ein schwuler Pass», «Bist du behindert?» oder «Du wirfst wie ein Mädchen» sind auch dann diskriminierend, wenn kein schwuler Sportler, kein Mensch mit einer Behinderung oder Mädchen und Frauen anwesend sind.
- Reagieren Sie, je nach Situation, vor/mit der ganzen Gruppe oder suchen Sie klärende Einzelgespräche nach dem Kurs oder Training. Dokumentieren Sie den Vorfall und melden Sie ihn, sollte die diskriminierend handelnde Person ihr Verhalten nicht ändern.
- Bemühen Sie sich, in Konfliktsituationen zwischen Teilnehmenden offen und gerecht zu vermitteln und mögliche Sanktionen mit Augenmass zu treffen. Suchen Sie gemeinsam nach Lösungen, wie eine solche Situation in Zukunft vermieden werden kann. Dies stärkt längerfristig das gegenseitige Vertrauen.