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And the Winner is...

Ein kleiner Einblick in die Jurierung eines Kunst-und-Bau-Wettbewerbs

Illustration zum Projekt «Endless Rainbow». von Raphael Hefti:

Kunst und Bau bildet seit über 110 Jahren einen wichtigen Bestandteil der städtischen Bautradition. Das Amt für Hochbauten wahrt dieses Erbe sorgfältig und schreibt es qualifiziert fort. Ein wesentlicher Erfolgsfaktor liegt in der professionellen Vergabe von künstlerischen Aufträgen. Je nach Gestaltungsspielraum und Budget werden dafür verschiedene Verfahren gewählt, zudem ist die Submissionsverordnung zu beachten. Etwa die Hälfte von jährlich acht bis zehn Verfahren wird als Studienauftrag auf Einladung durchgeführt – dabei werden mehrere Künstlerinnen und Künstler gebeten, ein Kunstprojekt für ein bestimmtes Gebäude auszuarbeiten und einzureichen. Leitung und Vorsitz der Verfahren obliegen der Fachstelle Kunst und Bau. Am Beispiel der Jurierung des kürzlich durchgeführten Studienauftrags für die Schulanlage Schauenberg wird hier dargestellt, wie es zur Auswahl des inhaltlich und kontextuell überzeugendsten Vorschlags gekommen ist.

Die 45-jährige Schulanlage Schauenberg in Affoltern ist in einem schlechten Zustand und überdies zu klein. Deshalb wird sie durch einen Neubau ersetzt. Für ein Kunst-und-Bau-Projekt wurden sechs Kunstschaffende zu einem Studienauftrag eingeladen. Nachdem eine Künstlerin auf die Teilnahme verzichtet hatte, fand am 7. März 2017 die Jurierung von fünf Eingaben statt. Im neunköpfigen Auswahlgremium waren Eigentümerinnen, Architekten und Nutzende sowie zwei externe Kunstsachverständige vertreten. Die Eingaben wurden am Vormittag von den Kunstschaffenden persönlich vorgestellt und am Nachmittag eingehend diskutiert.

Die Projekte

Skizze der selbst gestalteten Elemente für die Fassade.
Beni Bischof bringt Farbe und Humor in die Fassade ein.

Beni Bischof will 220 Klinkersteine in den Fassaden der Schulanlage austauschen und sie durch selbst gestaltete, in Polyurethan-Giessharz gegossene Elemente ersetzen. Masken, Spielfiguren oder Animationen aus Computerspielen dienen als Inspirationsquelle für die eigentümlichen Gesichter auf den farbigen Steinen. Von weitem scheinen die neuen Bausteine als farbige Punkte im Raster der Fassade auf, von nahem entfalten sie ihr wahres Aussehen und machen neugierig: Wer sind diese kuriosen Gesellen, und wie kommen sie hierher? Die Platzierung ist locker gestreut, in der Nähe der Wege werden die Gesichter häufiger auftauchen.

Eine Mehrheit der Jury zeigt sich angetan und amüsiert von der verspielten Idee. Auf den Fassaden mit ihrer fein austarierten Materialität von Klinker und Naturbeton mit knallbunten Kunststoffobjekten einzugreifen, erscheint wenig passend und letztlich zu stark gegen die Intention des Baus gewendet. Im Gremium regen sich ausserdem Zweifel, ob die Arbeit sich nicht schon sehr bald abnützen würde. Und ob sich der Künstler mit den Schauenberg-Klinkern nicht zu weit in die Gestaltungssphäre der Schulkinder selbst vorwagt.

Skizze eines Wegnetzes
Marie Velardi entwirft mit Namen ein Netz von Wegen.

Marie Velardis Projekt «Lebenswege» sieht vor, Jahr für Jahr die Vornamen aller Kinder, die in die Schule Schauenberg eintreten, auf den Wegen und Mauern des Geländes einzuschreiben. In einheitlicher, verbundener Schrift, deren Farbe jedes Jahr ändert, entwickelt sich ein Liniengeflecht über die ganze Anlage. Jedes Kind erhält so seine ganz persönliche Inschrift, die in Verbindung tritt mit denen der Mitschülerinnen und Mitschüler aus der eigenen Klasse, mit vorherigen und nachfolgenden Klassenzügen. Das Projekt richtet sich zuerst an die Schülerinnen und Schüler, doch auch für deren Familien sowie die Lehrerschaft und die Bewohnerinnen und Bewohner des Quartiers entsteht ein bedeutungsvolles Wegenetz, das zwischen dem realen Schulweg und der Idee des «Lebenswegs» ein Vielzahl von Bildern wachruft.

Die grosszügige und sozial einschliessende Geste der Arbeit wird reihum anerkannt, doch leider birgt die dauerhafte Niederschrift aller Namen auch Risiken. So kann die Zuordnung nach Schuljahrgängen auch negativ verstanden werden, und einzelne Namen könnten einfach verunstaltet und für Mobbing missbraucht werden – mittlerweile auch an Primarschulen ein verbreitetes Problem. Schliesslich erscheint die Umsetzung der Inschriften auf dem Boden nicht gelöst, so würde sich das Bild von mäandrierenden Namenszügen erst im Laufe mehrerer Jahre ergeben.

In einem ersten Durchgang entscheidet die Jury, die Projekte von Beni Bischof und Marie Velardi nicht weiter zu verfolgen.

In der engeren Wahl

Skizze mit Flugskelett an der Unterseite des Innenhofdachs.
Christina Hemauer und Roman Keller entwickeln eine Raststätte für Wanderfalter.

Christina Hemauer und Roman Keller greifen mit «De Migratione» das Thema der Biodiversität auf. Durch die gezielte Anpassung der Bepflanzung von Schulareal und Dächern wird die Anlage zu einem Wanderfalterrastplatz. Damit soll den Insekten die Wanderung zwischen Waid- und Käferberg und Katzensee erleichtert werden. Als visuelles Zeichen für diesen Eingriff wird das halbe Flugskelett eines Wanderfalters als Messingintarsie in die Unterseite des Innenhofdachs eingelegt. In der Schulbibliothek wird eine spezielle Schmetterlingsabteilung eingerichtet, alle Schülerinnen und Schüler erhalten zudem ein Zeichnungsbuch, in dem sie ihre Falter- und andere Naturbeobachtungen aufzeichnen können. Eine Wanderfalter-Tagung wird das Thema schliesslich aus wissenschaftlicher Warte bearbeiten und in stufengerechten Angeboten vermitteln.

Der Vorschlag ist zeitgemäss und bietet vielfältige Anknüpfungspunkte in verschiedenen «Flughöhen». Doch während die inhaltliche Herleitung überzeugt und das Thema der Forschung zwischen Laien und Experten viel künstlerisches Potenzial birgt, sieht die Jury in der konkreten Ausgestaltung der Elemente verschiedene Schwächen. Die Messingintarsie wird sehr unterschiedlich bewertet. Das Zeichenbuch erscheint in seiner Offenheit als zu vages Angebot, und die Idee einer wissenschaftlichen Tagung mit Bezug zum Wanderfalter wird als zu spezifisch erachtet.

Skizze mit leuchtendem Schiff auf Innenhofdach.
Edit Oderbolz zaubert ein glitzerndes Schiff herbei.

Auf der Kante einer der Öffnungen der Hofüberdachung platziert Edit Oderbolz die «Möve», ein kleines Segelboot aus glänzendem Aluguss. Selbstverständlich, fast etwas übermütig, thront das Boot über der Schule und leitet den Blick in die Höhe. Die silberne Oberfläche nimmt das Licht auf und glitzert, schimmert oder widerspiegelt den Wolkenhimmel. Die «Möve» spielt mit Bildern unseres kollektiven Gedächtnisses und lädt zu verschiedensten Assoziationen ein.

Die präzise skulpturale Setzung und das surreale Element, das aus der Verschiebung des Bedeutungszusammenhangs resultiert, werden durchgängig anerkannt. In der genaueren Betrachtung findet der von der Künstlerin bewusst gewählte Widerspruch, ein Schiff zu platzieren, wo weit und breit kein Wasser zu entdecken ist, aber wenig Verständnis. Ausserdem stellen sich weitere Fragen, zum Beispiel, wieweit das Objekt im Licht seine Anmutung wechseln wird, oder ob es nicht eher als relativ dunkel und undefiniert im Gegenlicht erscheint. Kommt dazu, dass das Bild des Schiffs nicht nur positive Assoziationen auslöst, sondern angesichts der Fluchtrouten über das Mittelmeer gegenwärtig auch beängstigende Facetten beinhaltet.

Skizze mit lebendig bespielten Innenhof mit Farben des Regenbogens.
Raphael Hefti bespielt den Innenhof mit den lebendigen Farben des Regenbogens.

Raphael Hefti stellt das Sonnenlicht ins Zentrum seines Entwurfs «Endless Rainbow». Das Licht wird von Dispersionsprismen auf dem Dach des zentralen Hofs eingefangen und durch die drei Öffnungen reflektiert, so dass sich Farbspektren («Regenbogen») auf den Mauern des leicht abgedunkelten Hofs abzeichnen, die je nach Lichteinfall und Sonnenstand variieren. Die physikalischen Eigenschaften des Sonnenlichts werden damit visuell erfahrbar. Ein Regenbogen wandert sachte vom Boden zu einer Wand, während gegenüber ein neuer entsteht. Die Prismen selbst formen eine Linie aus kleinen, durchsichtigen Festkörpern entlang der Öffnungen im Dach.

Das Schulhaus Schauenberg bietet sich aufgrund seiner exponierten Lage für die Intervention an. Die Jury würdigt den Ansatz von Raphael Hefti, mit «Endless Rainbow» eine komplexe und faszinierende physikalische Erscheinung ins Zentrum seiner künstlerischen Intervention zu setzen. Während seine Visualisierungen eher zu viele Lichtspiele auf den Hofwänden versprechen, als sich wohl tatsächlich einstellen werden, ist es ihm in seiner Präsentation gelungen, die Jury für die Projektidee einzunehmen. Gerade auch die Feinheit und Flüchtigkeit der Lichterscheinungen und ihr Überraschungsmoment werden als eine Qualität anerkannt.

In der weiteren, intensiv geführten Diskussion kommt die Jury überein, sich vom Projekt von Christina Hemauer/Roman Keller zu verabschieden. In einer letzten Runde, in der die Projekte von Edit Oderbolz und Raphael Hefti lange gleichauf liegen, entscheidet das Gremium schliesslich, Raphael Hefti mit der Weiterbearbeitung seines Projekts «Endless Rainbow» zu beauftragen.

Sorgfältige Auseinandersetzung mit der Örtlichkeit

Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass alle Projekteingaben auf der eingehenden Analyse unterschiedlicher Aspekte der Schulanlage Schauenberg basieren und sich durch eine sorgfältige Auseinandersetzung mit der Aufgabenstellung auszeichnen. Das Gremium wählte mit «Endless Rainbow» von Raphael Hefti diejenige Projektidee aus, die den zentralen Hof der Anlage subtil um ein poetisches Moment ergänzt. Die überraschend aufscheinenden Lichteffekte – die auch einmal über längere Zeit ausbleiben können – versprechen langfristige Resonanz bei den Nutzenden. Das Werk, das mit der Lichtbrechung von einem wissenschaftlichen Tatbestand ausgeht und daraus eine flüchtige visuelle Intervention entwickelt, eröffnet auf seiner symbolischen wie auf seiner physikalischen Ebene vielfältige Bezugspunkte. Die Jury dankt den Teilnehmenden für die seriöse Bearbeitung der Aufgabe und für ihr grosses Engagement.

Text: Hubert Bächler

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