Global Navigation

Vom Ich im Universum

Drei Lampenobjekte und zwei Wandgestaltungen von Stefan Burger werden im Schulhaus Kern nach dessen Instandsetzung ab 2017 für künstlerische Akzente sorgen. Der Künstler, 1977 in Müllheim/D geboren, lebt und arbeitet seit 1999 in Zürich. Das Studium der Fotografie ist Ausgangspunkt seiner künstlerischen Tätigkeit, die neben grossformatigen Fotografien auch 16 mm-Filme, Objekte, performative und installative Arbeiten umfasst. Sie zeichnen sich durch einen humorvollen und hintersinnigen Blick aus.

Wandgestaltung und Lampe: «Jeder Würfelwurf, jede Falte im Universum»

Stefan Burgers Projekt «Universum» für das Schulhaus Kern umkreist mit skulpturalen Mitteln und unter dem Einsatz von Sprachspielen die philosophische Frage, wie es um das Verhältnis von Mensch und Welt bestellt ist. Indem er dies im Kontext einer Bildungsinstitution tut, berührt er Fragen der Herstellung und der Aneignung von Wissen.

In der Schule wird Wissen idealerweise so vermittelt, dass sowohl subjektive und individuelle Zugänge berücksichtigt als auch objektive Perspektiven aufgezeigt werden. Gerade für die Mädchen und Jungen der Grundstufe ist die Erfahrung des Im-Mittelpunkt-Stehens zentral, aber auch das Erlebnis, sich als Teil eines grösseren Ganzen zu verstehen. Darauf nimmt das Zitat des amerikanischen Philosophen Thomas Nagel Bezug: «... das seltsame Bewusstsein, dass ich der Nabel des Universums sowohl bin als auch nicht bin ...».

Dieses Zitat bildet den Hintergrund und Boden von Burgers Projektidee für das Schulhaus Kern. Nach Nagels Dafürhalten kommen bei der Erklärung der Welt und der Entdeckung des Universums sowohl das Denken als auch die Vorstellungskraft und das Fühlen zum Einsatz. Der Welt kann man gleichzeitig gegenüberstehen und sie zu begreifen versuchen wie auch ein Teil von ihr sein. Es ist nicht nur erlaubt, sondern der Sache dienlich, einen objektiven Überblick zu gewinnen und eine subjektive Sicht der Dinge ins Spiel zu bringen.

Entdeckerlust wecken

Lampe mit Schriftzug:«Loch im Universum im Loch»
«Loch im Universum im Loch»

Vor der Folie dieses scheinbaren Paradoxes entwickelt Stefan Burger seine Interventionen: Drei Lampeninstallationen und zwei Wandgestaltungen sind im Eingangskorridor und auf dem Weg durchs Treppenhaus zu finden und appellieren an Vorstellungskraft und Entdeckerlust. Mit Witz und Poesie setzt Burger seine klug materialisierten Gedankenspiele an präzis gewählte Orte.

Ein Kronleuchter an der Decke im Eingangsbereich empfängt die Besucherinnen und Besucher mit dem in einem endlosen Rund zu lesenden Satz «Loch im Universum im Loch». Von aussen zeigt sich das Universum als geschlossenes Rund und in seiner ganzen Durchlässigkeit. Steht man aber im Innern der Installation, findet man sich in der Mitte des Universums und liest seitenverkehrt und rückwärts.

Reiseführer für eine Mondfahrt

Lampe «ich, du, er, sie, es/ Idese curis he»
«ich, du, er, sie, es/ Idese curis he»

«Ich, du, er, sie, es / Idese curis he» heisst ein weiteres Lampenobjekt, dem man im Treppenhaus begegnet. Die fünf Personalpronomen im Singular sind vertikal auf einem je eigenen Lampenschirm zu lesen. Setzt man in horizontaler Lesebewegung die Buchstaben zusammen, ergibt sich der Drei-Wort-Satz «idese curis he». Sucht man vielleicht zuerst einen Bezug zum Lateinischen und Englischen, landet man aber bald in einer Sprache der Fantasie. Wird diese vielleicht auf einem anderen Planeten des Universums gesprochen? Ein Reiseführer zum Mond findet sich jedenfalls in greifbarer Nähe. Wie ein aufgestreckter Finger hängt da ein weiteres Lampenelement.  Als Leuchtkörper in Übergrösse schwebt ein Exemplar aus «Nagels Enzyklopädie Reiseführer» im Treppenhaus der Schule. Diese umfangreiche Reisehandbuchreihe erschliesst die Welt seit den 1950er Jahren. Der Verleger Dr. Louis Nagel, der Medizin studierte und über Hegel promovierte, integrierte 1970 eine Spezialausgabe in seine Reihe: Der 175ster Band war dem Mond gewidmet.

 

Welt sehen – Welt ertasten

Lampe «Jeder Würfelwurf, jede Falte im Universum»
«Jeder Würfelwurf, jede Falte im Universum»

Noch kryptischer und surrealistischer wird es ein Stockwerk höher mit der dreiteiligen Arbeit «Jeder Würfelwurf, jede Falte im Universum». Diese Worte sind aus dem Schirm der dritten Lampe geschnitten und als Lichtschrift zu lesen. Auf dem Treppenhausgeländer halten die beiden Lampenfüsse buchstäblich auf Zehenspitzen das Objekt gerade so, oder gerade noch, ausbalanciert … und damit auch den Kontakt zur Erde. Hingegen scheint sich der Kopf des Gebildes in Gedanken mit dem Universum zu verbinden.

Die beiden mit Keramikplatten gestalteten Treppenhauswände scheinen ihre sowohl visuell als auch haptisch erfahrbare Materialität durch die illusionistische Gestaltung immer wieder aufzulösen. Geometrische, repetitive Muster kippen ins Dreidimensionale, öffnen so die materielle Geschlossenheit der Wand und führen sie ins Unendliche weiter. Was sich in der körperlichen Berührung fest anfühlt, wird in der visuellen Wahrnehmung durchlässig. Man kann gleichzeitig in die Unendlichkeit des eigenen Innenlebens eintauchen und sich in der Unendlichkeit und Grenzenlosigkeit des Universums verlieren. 

Denken in Bewegung 

Der Philosoph Thomas Nagel hat in den 1970er Jahren eine breite Debatte ausgelöst, indem er Grenzen der Erkenntnis der Naturwissenschaften dargelegt hat. Stefan Burger schleust mit seinem Projekt «Universum» die philosophische Kritik am bloss faktenbasierten Wissen der Naturwissenschaft in eine Bildungsinstitution ein und plädiert damit für ein Zusammenspiel subjektiver und objektiver Perspektiven, für das Einbeziehen von Gefühl und Erleben beim Wissenserwerb. Wie oft bei seinen Arbeiten fügen die Titel den Objekten eine weitere Ebene hinzu. Im Schulhaus Kern  wird in noch radikalerer Weise die gesamte Arbeit zum Sprach- bzw. Denkspiel. Wie auch die Wahl der Lampe eine äusserst clevere ist: Die Lichtmetapher und ihr Zusammenhang mit Vernunft und Erkenntnis wird hier ins Spiel gebracht und gleichzeitig ironisch gebrochen oder eben poetisch erweitert.

Das Schulhaus Kern bekommt mit der Kunst-und-Bau-Arbeit von Stefan Burger eine subtile, witzige Erweiterung. Sie verspricht für alle Besucherinnen und Besucher des Hauses auf lange Zeit zu wirken, denn die äussere Gestalt seiner Installationen bleibt zwar unverändert, das Potenzial für innere Bilder aber ist wohl unerschöpflich.

 

Text: Kristin Bauer

Weitere Informationen