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Interview mit Navid Tschopp

Bei der fast fertig erstellten Wohnsiedlung Rautistrasse sticht etwas besonders ins Auge: Wo sind die Ecken der Häuser geblieben? Während die Architekten von UNDEND durch raffinierte Fensteröffnungen für Weitblick und Licht in den Wohnungen sorgen, werden die «verlorenen» Ecken vom Künstler Navid Tschopp rekonstruiert und zu einer wunderbaren Kunst-und-Bau-Intervention entwickelt. «Around the Corner» besteht aus neun Betonelementen, die durch individuelle Drehung und Positionierung wie Unikate wirken. Sie sind – trotz anderer Farbigkeit – durchaus als die Ecken der Wohnhäuser erkennbar. Mit Augenzwinkern nimmt Navid Tschopps Intervention auf den gern bemühten Einsatz von Kunst als Korrektiv des Baus Bezug.

Betonskulptur vor Wohnhaus

In ihrer skulpturalen Setzung gleichen die neun Betonelemente Findlingen in einem Landschaftsraum. Sie werden zu autonomen und dennoch ortsbezogenen Kunstwerken. Auf irritierende Weise changieren sie zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft – wie Relikte vergangener Zeiten, die Epochen überdauern werden.

Navid Tschopp, 1978 als Sohn eines iranischen Künstlers und einer Schweizerin in Mashhad, Iran, geboren und seit 1987 in der Schweiz lebend, hat schon mehrere Kunstwerke im öffentlichen Raum realisiert. Eines seiner bekanntesten ist der Schriftzug «RESISTANCE» auf dem berühmten «Nagelhaus» vor dem Hotel «RENAISSANCE». Im Gespräch gewährt der Künstler Einblick in seine Arbeitsweise und führt aus, welche Intention er mit Kunst im öffentlichen Raum verfolgt.

Navid Tschopp, viele Ihrer Werke setzen bei der Nutzung und den Funktionen des öffentlichen Raumes an – stimmt dieser Eindruck?

Mich interessiert der öffentliche Raum als Ort der zwischenmenschlichen Begegnung und als Projektionsfläche des Politischen. Der öffentliche Raum ist ja durchdrungen von Manifestationen aller Art: von Demonstrationen, Graffitis, Werbeanzeigen. Allerlei Meinungen tun sich dabei kund, vielfach sind diese politisch oder laden sich mit politischem Gehalt auf, sind Träger der herrschenden Ideologie und transportieren diese mit. Meine Arbeiten können als kritischer Kommentar von Entwicklungen im städtischen Raum und ihren sozialen Auswirkungen gelesen werden. Gleichzeitig ist es mir ein Anliegen, als Künstler, aber auch als Bürger, diesen urbanen Raum mitzugestalten.

Was unterscheidet in Ihren Augen den öffentlichen von einem musealen Raum?

Kunst im öffentlichen Stadtraum, insbesondere unbewilligte, setzt sich einer unmittelbaren Prüfung durch das Publikum aus. Gefällt sie nicht, wird sie sogleich übermalt, entsorgt oder schlicht ignoriert. Gefällt sie jedoch oder fügt sich gut in die Situation ein, kann sie Toleranzgrenzen erweitern und Alternativen im reglementierten Raum aufzeigen. Das Museum hingegen bietet einen geschützten Rahmen, das Publikum ist vorbereitet und das Kunstwerk wird von einem Sockel, Rahmen, Begleittext und allenfalls vom Eintrittspreis gestützt. Mit Interventionen im öffentlichen Raum bin ich als Künstler gefordert, wenn ich Aufmerksamkeit erzeugen möchte. Ich suche leichte Verschiebungen im gewohnten Gefüge des Alltags mit einem grossen Wiedererkennungseffekt – einfach, aber möglichst clever umgesetzt.

Was ist kennzeichnend für Ihre künstlerische Arbeit?

Da ich die Materialien, Medien oder den zeitlichen Ablauf einer Arbeit auf den Kontext oder einen Inhalt abstimme, unterscheiden sich meine Arbeiten, rein äusserlich betrachtet, sehr voneinander. Im Überblick aber tritt in aller Vielschichtigkeit eine eigene poetisch-politische Sprache hervor. Wer die an der Wand der Kehrichtverbrennungsanlage Josefstrasse haftenden Magnete einmal erkannt hat, wird sie wohl ebenso wenig vergessen wie den Schriftzug «RESISTANCE» am «Nagelhaus», der die Beschriftung des Hotels «RENAISSANCE» in ein Wortspiel verwickelt.

Mit «Around the Corner» in der Wohnsiedlung Rautistrasse haben Sie Ihre erste Kunst-und-Bau-Arbeit realisiert. Was hat Sie dabei beschäftigt?

Die geologische Situation des Ortes auf einer Seitenmoräne am Fuss des Uetlibergs und die besondere Architektur der Wohnsiedlung Rautistrasse haben mich inspiriert. Die von den Architekten ausgebrochenen Ecken der Häuser, die sich jetzt auf dem Boden wieder finden, sollen sich so gut in die Landschaft und Architektur einfügen, als ob sie schon immer da gewesen wären. Und die durch die Ecken entstandenen Nischen und Räume sollen selbstverständlich belebt und genutzt werden.

Skulpturen von Navid Tschopp

Das Thema der gebauten Struktur und Kunst interessiert mich ohnehin stark. Im Projekt «Layout», einer Kooperation mit drei indischen Künstlern, entsteht mit den Mitteln der Kunst eine ästhetische Konstruktion, die die gebaute Architektur im urbanen Raum und ihren Einfluss auf den Menschen reflektiert. Wir sind mit dem «Layout»-Projekt schon an zwei Museumsausstellungen in Neu Delhi, an der Kochi-Muziris-Biennale in Kochi (Kerala) und an der Colombo Art Biennale in Sri Lanka aufgetreten. Für nächsten Juni planen wir, ein «Layout»-Projekt in Zürich durchzuführen.

Sie haben eine Lehre als Hochbauzeichner absolviert, ein Studium der Architektur abgebrochen und sich dann der Kunst zugewandt – wieso doch lieber Kunst als Architektur?

Schon im Kindesalter war Kunst sehr wichtig für mich, auch dank der Förderung durch meinen Vater, der freischaffender Künstler und später Kunstprofessor an der Uni in Mashhad, Iran, war. Während des Studiums der Architektur habe ich gemerkt, dass ich mich in der Realität des Architektenberufes nicht so kreativ ausdrücken konnte, wie ich es wünschte. Aber auch als Künstler ist mir die Faszination für Architektur geblieben.

Interview: Claudia Pantellini

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