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Ländliche Bauten

Bauernhäuser in der Grossstadt Zürich? Ja, es gibt sie. Als Teil der ehemaligen Bauerndörfer und Streusiedlungen rund um die Stadt Zürich sind die ländlichen Bauten wichtige Zeugen der landwirtschaftlichen Vergangenheit und Forschungsobjekte zur Entwicklung des ländlichen Siedlungs- und Hausbaus.

Giebelfassade der Scheune
Scheunenfassade des Knechtehauses bei der Mühle Hirslanden. Das Knechtehaus wurde 2005 in einen Quartiertreff umgebaut. (Foto Amt für Hochbauten)

Bauernhäuser und Scheunen, die bis auf den heutigen Tag inmitten der städtischen Bebauung Bestand haben, leisten einen wichtigen Beitrag zur Identität der Aussenquartiere Zürichs. Fast alle ländlichen Bauten aus den in der Stadt aufgegangenen ehemaligen Dörfern, die noch erhalten sind, stehen im Inventar der kunst- und kulturhistorischen Schutzobjekte. Bei diesen Bauten handelt es sich nicht um Beispiele der etablierten Kultur, denen ein hoher kunsthistorischer Zeugenwert zuzusprechen ist, sondern um Erzeugnisse einer alltäglichen Bautätigkeit, bei denen vor allem deren Zeugenschaft für eine bestimmte soziale, wirtschaftliche und politische Epoche in Betracht fällt.

Landwirtschaft und Stadtgeschichte

Schwamendingen, um 1850 ein von Baumgärten und Äckern umgebenes Bauerndorf. (Wildkarte 1850)
Schwamendingen, um 1850 ein von Baumgärten und Äckern umgebenes Bauerndorf. (Wildkarte 1850)
Schwamendingen, um 1850 ein von Baumgärten und Äckern umgebenes Bauerndorf. (Wildkarte 1850)

Bis vor 200 Jahren waren 97.5% des heutigen Stadtgebietes Dorf- und Landwirtschaftsgebiet. Es gab Haufendörfer wie Wiedikon, Strassendörfer wie Oberstrass und Streusiedlungen wie Hottingen. Erst nach dem Ende des Ançien Régime und vor allem mit der ersten liberalen Kantonsverfassung von 1831 begann der Prozess der Verstädterung in den so genannten Ausgemeinden. Stadt und Dörfer fingen an zusammen zu wachsen zu einem flächendeckenden Siedlungsteppich. Dieser war 150 Jahre später Wirklichkeit geworden.

Mit den Eingemeindungen von 1893 und 1934 wurde das ehemals ländliche Hinterland rund um Zürich Teil des Stadtgebietes. Die ländlichen Gebäude geben Hinweise auf die einstige landwirtschaftliche Siedlungsstruktur und Wirtschaft und sie erzählen von den enormen Veränderungen durch den Prozess der Verstädterung.
 

Vielfalt erforschen und dokumentieren

Rautistrasse 150, Bauernhaus mit Seidenzwirnerei. (1965, Foto BAZ)
Rautistrasse 150, Bauernhaus mit Seidenzwirnerei. (1965, Foto BAZ)
Rautistrasse 150, Bauernhaus mit Seidenzwirnerei. (1965, Foto BAZ)

Die Erforschung und Dokumentation des ländlichen baulichen Erbes auf Stadtgebiet erfolgt durch die Archäologie. Neben dem Erarbeiten von eigentlichen Hausmonografien mit Bau- und Besitzergeschichte wird das Augenmerk auch auf übergeordnete Fragestellungen gerichtet. Das Arbeitsfeld reicht von bautypologischen Studien bis zu Darstellungen der Siedlungsentwicklung in den ehemaligen Dörfern.

Scheunen, Ställe, Speicher, Waschhäuser, Trottgebäude, Wagen- und Holzschöpfe bilden zusammen mit den eigentlichen Bauernhäusern – meist Mehrzweckgebäude mit Wohn- und Scheunenteil – die historischen Siedlungskerne. Die Bausubstanz geht teilweise bis ins späte Mittelalter zurück. Während sich in der Stadt der mehrgeschossige Steinbau mit Ziegeldach durchsetzte, wurde auf dem Land noch Jahrhunderte später fast ausschliesslich in Holz gebaut. Zweigeschossige Ständerbauten mit Bohlen- oder auch nur Bretterwänden machten in den ehemaligen Dörfern um Zürich den Hauptbestandteil der Bauten aus. Gedeckt waren sie mit Legeschindeln oder Stroh, Ziegeldächer kamen hier erst im 16. Jahrhundert auf.
 

Haustypologien

Berghaldenstrasse 76, Scheune mit liegendem Dachstuhl von 1715. (Foto AfS/Archäologie)
Berghaldenstrasse 76, Scheune mit liegendem Dachstuhl von 1715. (Foto AfS/Archäologie)
Berghaldenstrasse 76, Scheune mit liegendem Dachstuhl von 1715. (Foto AfS/Archäologie)

Ständerbau ist freilich nicht gleich Ständerbau. Die Bauernhausforschung erarbeitete in den letzten Jahrzehnten eine differenzierte Typologie von Grundriss, Konstruktion und Dach. Die Gebäude lassen sich Gruppen zuordnen, die sich auch zeitlich unterscheiden. Es werden Baukonzepte, Normierungen, aber auch Erneuerungen im ländlichen Hausbau erkennbar: Der Hochstud wird zum Mehrreihenständerbau weiterentwickelt, Flachgiebeldächer werden durch Steildächer ersetzt, liegende Dachstühle finden gegenüber den stehenden den Vorzug, die Fachwerkbautechnik hält Einzug.

Vieles ist bekannt, doch noch immer lassen sich neue Hypothesen und Fragestellungen formulieren. So wird seit einigen Jahren vermutet, dass der Mehrreihenständerbau mit steilem Dach ein durch die Nähe zur Stadt initiiertes Ständerbaukonzept des 16. Jahrhunderts sein könnte. Auch die Entdeckung eines frühneuzeitlichen, geschossweise abgebundenen Ständerbaus im Weiler Friesenberg war überraschend. Diese Hausform gilt eigentlich als städtischer Holzbautyp. Nur eine Handvoll Beispiele sind bis anhin auf der Landschaft bekannt, umso wichtiger wird diese Entdeckung für die Hausforschung sein.
 

Siedlungsentwicklung am Beispiel des Kreuzplatzes

Hottingen, eine Streusiedlung am Hang des Adlisberges, hatte einst zwei Siedlungszentren am Baschligplatz und am Kreuzplatz, die sich durch eine etwas dichtere Bebauung oder durch ihre Lage an wichtigen Strassenzügen auszeichneten. Am Kreuzplatz konnten 2002 im Vorfeld der Neuüberbauung umfassende Gebäudeuntersuchungen am alten Baubestand durchgeführt werden.

Die detaillierte Bewohner- und Baugeschichte einer ganzen Häusergruppe lenkt den Blick auf die rasante Entwicklung dieses stadtnahen Quartiers im 19. Jahrhundert. Die Niederlassungs- und Gewerbefreiheit – ein Resultat der Neuerungen der Helvetik (1798–1803) und der Machtübernahme der Liberalen (1831) – liess in kurzer Zeit den Baubestand explodieren. Handwerker und Taglöhner arbeiteten und wohnten hier in einer Dichte, die heute kaum mehr nachzuvollziehen ist.

Zeitschnitt 1700

Das älteste Gebäude auf dem Untersuchungsareal war ein gemauerter Speicher (rot vorne). Er wurde im 16. oder frühen 17. Jahrhundert in ein Bohlenständergebäude integriert. Hierbei könnte es sich um ein bäuerliches Wohnhaus mit Stallscheune gehandelt haben. Ein weiteres Gebäude ist an der Klosbachstrasse überliefert (rot hinten). An- und Aufbauten im 17. Jahrhundert erweitern den Bohlenständerbau und schaffen zusätzlichen Wohn- und Arbeitsraum (gelb).

Zeitschnitt 1800

Weitere Vergrösserungen des bestehenden Gebäudekomplexes im Vordergrund. Der Hof an der Klosbachstrasse wird neu erbaut. Ein repräsentatives Wohnhaus entsteht in dessen unmittelbarer Nachbarschaft. Eine Feldscheune und eine Nagelschmiede ergänzen das schon beträchtlich angewachsene Gebäudeensemble.

Zeitschnitt 1900

Das Gebäudevolumen ist im 19. Jahrhundert um mehr als 100% gewachsen, das meiste davon in den Jahrzehnten um die Jahrhundertmitte. Die Ausbaukadenz erreicht bei manchen Gebäuden Schritte im Fünfjahresrhythmus. Gebäude werden aufgestockt, Mansardengeschosse, Dach- und Kehlgeschosse ausgebaut, Zwerchhäuser, Quergiebel und Lukarnen erstellt, um auch den letzten Winkel der Gebäude auszunutzen.

Zeitschnitt 2000

Der Ausbau geht auf bescheidenerem Niveau weiter. Neubauten entstehen im hinteren Hofbereich. Zuletzt wird ein Garagengebäude mit Werkstatt anstelle des einstigen Bauernhauses an der Klosbachstrasse erstellt.

(Grafiken AfS/Archäologie/Urs Jäggin)

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