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Erweiterung Kunsthaus Zürich 2015/2016

Während eines Jahres führte die Stadtarchäologie in der Baugrube für den Erweiterungsbau des Kunsthauses Zürich eine aussergewöhnlich grosse Ausgrabung durch – mit überraschenden Ergebnissen und unter internationaler Beobachtung.

Baustelle Kunsthaus

2001 setzte die Diskussion über einen Erweiterungsbau für das Kunsthaus Zürich ein. Als idealer Standort kam rasch das Areal am Heimplatz ins Spiel, das gegenüber dem Stammhaus liegt. Diese Randzone des Alten Zürich war bis anhin für die Archäologie eher ein «weisser Fleck». Die Vorabklärungen änderten dieses Bild. 

Vor der Ausgrabung

2002 wurden im Auftrag des Stadtpräsidenten die archäologischen Vorabklärungen aufgenommen. Die Aufmerksamkeit galt zunächst den Resten der Schanzenanlage, der grossen Stadtbefestigung aus dem 17. Jahrhundert. Sie ist heute weitgehend aus dem Stadtbild verschwunden; Verlauf und Gestalt lassen sich anhand von Plan-, Bild- und Schriftquellen aber recht gut rekonstruieren. Früh zeichnete sich ab, dass unter den Erdanschüttungen im Bauperimeter die Mauern, Gräben und Geländeoberflächen gut konserviert sein könnten.

Ein weiteres Thema ging über das archäologische Interesse hinaus und berührte ethische Aspekte: Die Frage nach dem jüdischen Friedhof des mittelalterlichen Zürich. Die Option, dass die Baugrube den Friedhof tangieren könnte, führte zu einer engen Zusammenarbeit mit den jüdischen Gemeinden Zürichs. 

Rämibastion (heute Alte Kantonsschule) und Hottingersteg auf einer Sepia von Emil Schulthess, 1835. (Kunsthaus Zürich, Repro BAZ)
Projektplan von 1640 zum Schanzenbau mit «Judengässlin» und «Wolffbach». Rot: Baugrube Erweiterung Kunsthaus. (Plan AfS BAZ/Stadtarchäologie)
Vor Baubeginn: Die Turnhallen und Baracken am Heimplatz im Jahr 2015. (Foto AfS)

Eine archäologische Grossgrabung

Nach dem «Ja» der Stadtzürcher Stimmbevölkerung zur Kunsthaus-Erweiterung (2012) begannen im November 2015 die Bauarbeiten und gleichzeitig die archäologische Untersuchung. Die bis zu 23-köpfige Equipe der Stadtarchäologie war für fast ein Jahr vor Ort. Die Ausgrabung ermöglichte auf einer fast 4000 Quadratmeter grossen, durch eine Bohrpfahlwand gesicherten Fläche einen bis zu 17 Meter tief reichenden Einblick in den Untergrund Zürichs – für die Archäologie ein nicht alltäglicher Umstand. Das immense Volumen erforderte eine enge Zusammenarbeit mit der Baufirma, mit der die Aushubarbeiten zu koordinieren waren. Das Team der Stadtarchäologie dokumentierte die angetroffenen Befunde mit knapp 300 Plänen, beschrieb rund 1500 Schichten und Strukturen und barg über 14'680 Fundobjekte.

Der Zeitrafferfilm dokumentiert die Baustelle zwischen Oktober 2015 und Januar 2020, mit Fokus auf die parallel laufenden Ausgrabungsarbeiten (2015/2016).

Ein Friedhof in der Baugrube?

Ausgrabungen Kunsthaus.
Besichtigung durch Vertreter der jüdischen Gemeinden Zürichs. (Foto AfS)

Der mittelalterliche jüdische Friedhof von Zürich, 1381 erwähnt, lässt sich nur ungefähr im Areal zwischen Florhöfen, Heimplatz und Rämistrasse lokalisieren. Es wäre möglich gewesen, dass die Baugrube für die Kunsthauserweiterung den Friedhof tangieren würde. Die ewige Grabesruhe, die das Judentum für seine Verstorbenen vorsieht, wäre dadurch gestört worden. Die Stadt wollte einen der jüdischen Tradition entsprechenden Umgang mit den potenziell auffindbaren Grabstätten sicherstellen und pflegte dazu ab 2006 engen Kontakt mit Vertretern der jüdischen Gemeinden Zürichs. Es galt, eine religiös akzeptierte Vorgehensweise verfügbar zu haben, sollten tatsächlich Gräber zum Vorschein kommen. Die behutsame Suche nach der alten Friedhofoberfläche unter den meterhohen Erdmassen der Stadtbefestigung des 17. Jahrhunderts hatte bei der Ausgrabung oberste Priorität. Im Sinne einer transparent gemachten Arbeitsweise der Archäologie begleiteten jüdische Vertreter die laufenden Arbeiten eng. Auch hochrangige Vertreter*innen der internationalen Diplomatie liessen sich vor Ort die archäologischen Methoden erläutern. Gräber wurden letztlich nicht gefunden.

Zeugen der Stadtgeschichte

Ausgrabung Kunsthaus
Schichtprofil in sechs Metern Tiefe mit sich dunkel abzeichnendem Ackerboden aus der Jungsteinzeit. (Foto AfS)

Die unter dem Erweiterungsbau des Kunsthauses vorgefundenen und dokumentierten Zeugnisse reichen bis ans Ende der Eiszeit vor 19'000 Jahren zurück. Die Moräne des Linthgletschers bildete den anstehenden Boden. Darüber lagerte der Wolfbach über Jahrtausende meterhohe Sedimente ab. Überraschend war der Nachweis von landwirtschaftlichen Anbauflächen der prähistorischen Bevölkerung.

Ausgrabung Kunsthaus
Das Judengässli bei der Freilegung. Seitliche Entwässerungsgräben mit Resten der Zaunpfähle. (Foto AfS)

Für die Zeit vom 14. bis zum 17. Jahrhundert konnten Reste einer Landwirtschafts- und Gewerbezone gefasst werden, die ausserhalb der Stadtmauer lag. Das in dieser Zeit begangene «Judengässli» kam genau an der Stelle zum Vorschein, an dem es zuvor mithilfe historischer Pläne hatte lokalisiert werden können. In der Nähe fanden sich – in aussergewöhnlicher Menge – verschiedene Metallobjekte. Fraglich bleibt, auf welche Weise sie in den Boden gelangt sind.

Ausgrabung Kunsthaus
Einfluss Wolfbachkanal und Überfangbecken im vormaligen Befestigungsgraben. (Foto AfS)

Das Gelände wurde im 17. Jahrhundert durch den Bau der barocken Stadtbefestigung stark verändert. An dieser Stelle stand das alte Stadttor «Hottingerpörtli» mit zwei Wachhäuschen. Nach dem Abbruch der Schanzen in den 1830er Jahren wurde im ehemaligen Grabenbereich das ovale Wolfbachbassin errichtet. Es lag unter rund acht Meter mächtigen Aufschüttungen, die ab 1880 den Baugrund für die beiden Turnhallen der Alten Kantonsschule bildeten. Sie säumten den Heimplatz bis ins Jahr 2015.

Impressionen

(alle Fotos AfS)

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