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Grabungstagebuch: Der älteste Zürcher

Niels Bleicher

Emanuela Jochum ist Ausgräberin und Teamleiterin bei der Grabung Parkhaus Opéra. Die Archäologin ist spezialisiert auf Tierknochen.

«Kommst du mal her, ich habe hier Knochen gefunden. Was ist das?», ruft mich mein Kollege eines Morgens. Auf den ersten Blick erkenne ich Teile eines Beckens und erkläre ihm, wie er vorsichtig weiterarbeiten kann, um die brüchigen Knochen frei zu präparieren. Als er mich einige Zeit später wieder ruft, hat er noch mehr Knochen freigelegt. «Jetzt kannst du mir sicher sagen, was ich da gefunden habe.»

Als ich mich über den Fund beuge, erwarte ich Knochen eines Jagd- oder Haustieres. Doch dann regt sich in mir ein Verdacht: Irgendwie sehen diese Knochen nicht tierisch aus. Was, wenn das jetzt menschliche Knochen sind? Jetzt bloss nichts falsch machen!

Fieberhaft gehe ich im Kopf die nächsten Schritte durch... Wir müssen die Anthropologin anrufen – sie muss da sein, wenn wir weitergraben. Sonst könnten viele Informationen schon bei der Bergung verloren gehen. Dann brauchen wir Mundschutz und Handschuhe, und nur die allernötigsten Personen dürfen in die Nähe der Knochen, sonst kontaminieren wir die Knochen, und DNS-Untersuchungen wären nicht mehr möglich. Was könnten wir alles herausfinden! Wie gross war diese Person? Welches Geschlecht hatte sie? Musste sie hungern? Woher stammte sie? Hatte sie Krankheiten – und wenn ja, welche? Was wäre ein menschliches Skelett für eine Sensation! Skelette sind in unserer Gegend und aus dieser Zeit eine Seltenheit.

«Und? Was meinst du?», reisst mich der Kollege aus den Gedanken. Ich vergewissere mich mit einem letzten Blick auf den Oberschenkelknochen, dass ich mich nicht irre, und nun ist es an ihm, aufgeregt zu sein.

(Tages-Anzeiger, 22. Juni 2010)

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