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Grabungstagebuch: Fehlende Müllabfuhr bei den Pfahlbauern

Niels Bleicher

Dr. Niels Bleicher ist wissenschaftlicher Leiter der Ausgrabung Parkhaus Opéra. Der Archäologe und Dendrochronologe arbeitet im Amt für Städtebau.

Zu den eindrücklichsten Phänomenen von Seeufergrabungen gehören die dunklen Siedlungsschichten im hellen Seesediment. Lange hat man sich gefragt, was diese «Kulturschichten» eigentlich sind. Die Grundmasse besteht aus Pflanzenfasern, Holzspänen, Rindenfragmenten, Zweigstückchen und Holzkohle. Darin liegen Funde und Lehm, der von Wänden und Böden der Hausruinen stammt.

Erhalten haben sich die Schichten, weil sie unter dem Seepegel liegen und nie genügend Sauerstoff hinzukam, damit Pilze sie hätten abbauen können. In diesen Schichten stecken so viele Informationen, dass man unsere Grabung mit Pompeji verglichen hat, jener römischen Stadt, die von Vulkanasche in einem alltäglichen Moment gleichsam eingefroren wurde.

Wenn ich an die urgeschichtlichen Kulturschichten denke, kommt mir aber eher Neapel in den Sinn, denn zu einem grossen Teil muss man ihre Entstehung der fehlenden Müllabfuhr in den Siedlungen zuschreiben. So finden wir ganze Abfallhaufen mitten im Dorf. Darin Schlachtabfälle, kaputte Werkzeuge oder Holzkohle. Diese stammt übrigens nicht unbedingt von abgebrannten Häusern, sondern von ordnungsliebenden Bewohnern, die ihren Herd gesäubert und die Asche einfach in die Gasse geworfen haben.

Man könnte also sagen, dass wir Archäologen im Müll unserer Vorfahren graben. Denn weil sie uns nichts Schriftliches hinterlassen haben (und erst recht keine Einkaufslisten), gibt es einfach keine besseren Informationen über ihren Alltag. Neben dem Speiseplan rekonstruieren wir so beispielsweise auch gleich die anfallenden Arbeiten im Jahresverlauf.

Leider wurden die Kulturschichten vieler Dörfer im Laufe der Zeit teils erodiert, teils durcheinandergespült, weil der See mit seinem damals schwankenden Seepegel oft ein gewissenhafter Entsorger war. Dann finden wir nur noch verschwemmte Reste, in denen schwere Funde wie Mühlsteine noch an Ort und Stelle liegen, während leichte wie Fischernetze verlagert sind oder völlig fehlen. Auch eine Art Mülltrennung – nur macht sie uns die Arbeit etwas mühsamer.

(Tages-Anzeiger, 28. Juni 2010)

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