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Grabungstagebuch: Überraschungen aus Holz

Niels Bleicher

Dr. Niels Bleicher ist wissenschaftlicher Leiter der Ausgrabung Parkhaus Opéra. Der Archäologe und Dendrochronologe arbeitet im Amt für Städtebau.

Nicht Schmuck, nicht Knochen sind für mich die wertvollsten Funde der Grabung Parkhaus Opéra, sondern – zum Erstaunen vieler – Holz. Bis heute haben wir über 8000 Holzproben geborgen. Nach rund 5000 Jahren sehen unsere archäologischen Hölzer zwar nicht mehr ganz frisch aus: Sie haben etwa die Konsistenz von wassergetränktem Hartschaumstoff.

Aber dennoch ist durch Sauerstoffmangel im Seeufersediment noch die ganze anatomische Struktur des Holzes erhalten, und die ist auch nach so vielen Jahren noch ein hervorragender Datenträger. Was immer dem Baum widerfährt – seien es Wetter, Schädlinge oder menschliches Wirtschaften –, speichert er in seinem Gewebe. Die Abfolge von schmalen und breiten Jahrringen ist schliesslich derart charakteristisch, dass man durch einen Musterabgleich mit Jahrringserien bekannten Alters datieren kann. Aufs Jahr, manchmal auf Monate genau!

Die Methode heisst Dendrochronologie, und sie wird auch in vielen anderen Wissenschaften angewandt, zum Beispiel in der Klimaforschung. Durch die Dendrochronologie hat die Pfahlbau-Archäologie die höchste Datierungspräzision. Damit kann man wunderbar die Kollegen neidisch machen, die auf trockenen und daher holzfreien Böden ausgraben müssen.

Tatsächlich verdanken wir die Tatsache, dass wir in Mitteleuropa heute abgesicherte Eckdaten für die vorgeschichtlichen Epochen haben, grossenteils der schweizerisch-südwestdeutschen Pfahlbauarchäologie. Während andere Datierungsmethoden manchmal Fehler bis zu mehreren Hundert Jahren beinhalten, ermöglichten es die Jahrringdaten, diese Fehler zu korrigieren. Für die Grabung Opéra haben wir inzwischen Schlagdaten von 3063, 2885 und 2776 v. Chr. nachgewiesen.

Aber die archäologische Dendrochronologie kann noch viel mehr. Da Bäume eben Informationen über ihre Umgebung speichern, kann man mit Jahrringen beispielsweise rekonstruieren, was für ein Wald damals in Zürich wuchs und wie die Menschen darin wirtschafteten. Denn das gab es bereits: eine durchdachte steinzeitliche Waldwirtschaft. Hätten Sies gedacht?

(Tages-Anzeiger, 13. September 2010)

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