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«Alleine denken ist kriminell»

Kunst in ökonomischer Sphäre

Das Werkjahr für Bildende Kunst der Stadt Zürich 2016 ging an RELAX (chiarenza & hauser & co). RELAX könnte man als eine Art künstlerisches Chamäleon bezeichnen. Wie RELAX arbeitet und sich als Gruppe definiert, erklären Marie-Antoinette Chiarenza und Daniel Hauser im Gespräch mit Barbara Basting.

BB: RELAX hatte nie eine grössere Ausstellung in Zürich, aber Eure Werke sind hier immer wieder in verschiedenen Gruppenausstellungen zu sehen gewesen. Jüngst etwa ein Doppel-Selbstporträt von Euch in der Ausstellung der «Manifesta» im Zürcher Löwenbräu-Areal 2016. Man sieht Euch auf dem Foto als etwas erschöpftes, leicht abgerissenes, verdrecktes Paar, das auf einer Industriebrache vor einer undefinierbaren Halle posiert. Was hat es mit dem Bild auf sich?

Selbstporträt: «Die Künstlerinnen kurz vor dem Höhepunkt ihrer Karriere», 2008.
Selbstporträt: «Die Künstlerinnen kurz vor dem Höhepunkt ihrer Karriere», 2008.

D.H./MA.C.: Zu dem Foto gehört auch ein Titel: «Die Künstlerinnen kurz vor dem Höhepunkt ihrer Karriere». Das Werk ist 2008 entstanden. Eine Pointe ist, dass man sich mit fortschreitender Zeit fragen kann, ob die porträtierte Künstlerin und der Künstler, als die wir hier posieren, inzwischen diesen Höhepunkt erreicht oder sogar schon wieder überschritten haben. Ursprünglich ist diese Arbeit für die Ausstellung «Shifting Identities» im Zürcher Kunsthaus 2008 entstanden. Wir haben das Thema damals auf die Frage nach der gleitenden, verrutschenden, ungesicherten, unsicheren, unklaren künstlerischen Identität bezogen, die uns eigentlich immer schon beschäftigt hat. So sieht man zum Beispiel auf dem Foto nicht, ob die gezeigte Szenerie irgendwo in einer industriellen Randzone einen Aufbruch oder einen Abbruch darstellt. Wir inszenieren uns spielerisch und stellen dabei nicht nur die Frage in den Raum, wer wir sind, sondern auch was wir da eigentlich tun. Warum sind wir verschmutzt? Warum stehen wir, was interessanterweise meist übersehen wird, barfuss auf dem Erdboden? Handelt es sich um einen Abenteuerspielplatz, auf dem wir Bodenhaftung suchen? Arbeiten wir, oder posieren wir, oder arbeiten wir, indem wir posieren? Gehen wir überhaupt einer Beschäftigung nach? Diese Fragen führen ins Zentrum der Rolle als Künstlerin und Künstler in der Gegenwartskunst.

Das Künstler-Selbstporträt ist eine historische Gattung mit einer langen Geschichte. Wie situiert Ihr dieses Porträt innerhalb dieser Geschichte?

Kunstschaffende sind ständig konfrontiert mit der Frage nach ihrer Authentizität und Identität. Wer ist der Künstler oder die Künstlerin, welche Nationalität hat er/sie, welches Geschlecht, und natürlich in unserem Fall: wie funktioniert diese Künstlerinnengruppe. Sind die beiden im Alltag ein Paar? Wer von ihnen macht was? Uns geht es ganz entschieden darum, uns diesem starken Bedürfnis gerade auch der Kunstwelt nach solchen Festschreibungen und Schubladen und Etiketten zu entziehen. Die Nicht-Identität und das Unreine sind uns sehr wichtig. Und Selbstporträts erlauben Selbstironie.

Das führt mich zu der Frage der Zusammenarbeit, zumal die Gruppe RELAX in den über dreissig Jahren ihres Bestehens in verschiedenen Konstellationen aufgetreten ist. Was waren die Anfänge – und wie muss man sich die Zusammenarbeit von RELAX heute konkret vorstellen?

Zuerst sind wir als Duo Chiarenza & Hauser aufgetreten, in den Neunzigerjahren war während vier Jahren der Urbanist und Künstler Daniel Croptier dabei, und heute nennen wir uns RELAX (chiarenza & hauser & co). Wir haben uns Anfang der Achtzigerjahre kennengelernt, im Rahmen einer grossen Besetzung einer leeren Fabrik in der Rue Léon Giraud in Paris-Nord, zwischen Barbès und La Villette. Wir waren aber noch kein Duo. Daniel arbeitete in einer Gruppe, ich war Mitglied einer anderen Gruppe. Unsere erste Zusammenarbeit war dann der Versuch, die Besetzung zu legalisieren, wofür wir sowohl mit den Stadtbehörden wie mit dem Kulturministerium verhandelt haben.

Früher Slogan: «Alleine denken ist kriminell», seit 1991.
Früher Slogan: «Alleine denken ist kriminell», seit 1991.

Die weitere Zusammenarbeit hat sich dann aus unseren Diskussionen ergeben, nicht zuletzt aus der jeweiligen Situation heraus. «Alleine denken ist kriminell» wurde sehr schnell zu einem unserer Slogans. Die erste Monografie von 1994 hat gleich diesen Titel getragen. Und Mottos wie «Bezahlt sein, um nichts zu tun» und «Ich bin eine Frau, warum Sie nicht?» tragen uns seither unvermindert weiter. Wichtig sind für uns über die Jahre hinweg unsere je eigenen Skizzenbücher geblieben, in welchen wir viele der Ideen sammeln, auf die wir dann zu gegebener Zeit zurückgreifen können. Wichtig sind auch unsere kontinuierlichen Gespräche, mit denen wir dann einzelne Themen entwickeln, wieder aufgreifen, fortspinnen, in verschiedenen Kontexten situieren. Da wir sehr kontextbezogen arbeiten, ist das ein zentraler Aspekt. Grundsätzlich basiert unsere Zusammenarbeit auf einem über viele Jahre hinweg entstandenen Vertrauen.

RELAX: «You pay but you don't agree with the price», 1994/2002.

An der Expo02 verteilt und damit zum Nachdenken über Wert und Preis angestiftet: Becher mit der Aufschrift «You pay but you don't agree with the price». 

In den Arbeiten von RELAX spielt nicht nur die künstlerische Identität eine Rolle, sondern auch die Frage nach dem Wert des Kunstwerkes, aber auch ganz generell dem Charakter der künstlerischen Arbeit in einer durchökonomisierten Gesellschaft. Ein Werk von RELAX zu dem Thema ist mir in besonders guter Erinnerung. Es war 2006 im Rahmen einer Einzelausstellung von RELAX im Centre Pasquart in Biel zu sehen: In einer sehr langen Vitrine lagen Kassenzettel. Wenn man genauer drauf schaute, sah man, dass sie mit den diversen Reisen und Projekten von RELAX zu tun hatten und als Belege für die Steuererklärung aufgeklebt waren. Man bekam einen ziemlich genauen Einblick in die Buchhaltung von RELAX. Zusätzlich gab es ein Video, in dem das Aufkleben gezeigt wurde; der Soundtrack waren die geschäftigen Raschelgeräusche, die dabei entstanden. Wie ist diese Arbeit entstanden?

Wir wollten keine Retrospektive machen, also eine Ansammlung dessen, was wir bisher alles so getan hatten. Die Frage war, wie wir etwas zeigen konnten, was mit unseren Betätigungen zu tun hat, ohne es direkt in einer klassischen Form von Werken auszustellen. Ein Schlüssel zu der Arbeit ist der Soundtrack: Das Rascheln macht das Belegsammeln wahrnehmbar als fortwährendes Nebengeräusch von allem, was wir tun.

RELAX: «Die Belege, les quittances, the receipts», 1984–2004.

Quittungen als Begleit- und Beweisstücke künstlerischer Existenz. 

Die Belege – so heisst die Arbeit übrigens – sind wichtig als Begleit- und Beweisstück für unsere künstlerische Existenz. Dies zunächst einmal in einem ganz handfesten Sinn. Den Beruf der Künstlerin und des Künstlers gab es bis in die Neunzierjahre in der Schweiz nicht, jedenfalls nicht im offiziellen Berufsverzeichnis anerkannter Berufe, und folglich auch nicht in der Wahrnehmung der Steuerbehörden. Vor allem dann, wenn man wie wir eher konzeptuell arbeitete, also nicht klassisch zum Beispiel Bilder oder Skulpturen schuf, die dann gegen Rechnung verkauft werden können, war es schwierig, dem Steueramt Nachweise für die künstlerische Tätigkeit zu liefern. Kataloge von Ausstellungen wurden beispielsweise nicht akzeptiert. Am ehesten galt es noch als Nachweis, wenn man bei einer der damaligen Gestaltungsschulen als Lehrerin angestellt war, aber auch hier begann die Professionalisierung mit der Gründung eigentlicher Kunstklassen erst in den Neunzigerjahren. Unsere Installation mit den Belegen muss man auch in diesem Kontext sehen. Sie stellt Fragen nach der Anerkennung künstlerischer Tätigkeit in der Gesellschaft. Wer ist eine Künstlerin oder ein Künstler, was ist Kunst? Und natürlich die Kernfrage, die wir immer wieder stellen: Wer zahlt? «WHO PAYS?», eine Neonarbeit, die wir 2006 realisiert haben, gibt denn auch den Titel ab zur aktuellen Ausstellung im Kunstmuseum Liechtenstein, in welcher wir zusätzlich zwei grössere Installationen zeigen. 

Titel der aktuellen Ausstellung in Liechtenstein: «WHO PAYS?», Neonarbeit von 2006.
Titel der aktuellen Ausstellung in Liechtenstein: «WHO PAYS?», Neonarbeit von 2006.

Die katalogartige Publikation zu Eurem Werk aus dem Jahr 2006 trägt auch einen Titel, den man mit Geld assoziieren kann und wohl auch soll: «We save what you give». Das Werkjahr Bildende Kunst, das Ihr nun zugesprochen bekommen habt, ist mit einer Geldsumme verbunden. Muss man Eure Aussage wörtlich nehmen, werdet Ihr das Geld sparen? Verratet Ihr, was Ihr damit vorhabt?

On dépense tout. Wir geben alles aus.

RELAX: What is wealth, 2010, Videoinstallation im Cornerhouse Manchester, UK.

Besucherinnen und Besucher im Cage-Room an der Eröffnung der Ausstellung «What is wealth» im Cornerhouse Manchester, UK, 2010. 

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