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Aktientheater, Stadttheater, Opernhaus Zürich

Zum Bestand Stadtarchiv Zürich VII.12.

Artikel von Halina Pichit, Stadtarchiv Zürich

Mit Zuschrift vom 20. August 1943 ersuchte die Theater AG den Stadtrat von Zürich um die Erlaubnis, das Archiv des Stadttheaters bis 1900 im Stadtarchiv Zürich deponieren. Der Stadtrat beschloss auf Antrag des Stadtpräsidenten, dem Ersuchen zu entsprechen. Damit wurde das Zürcher Stadttheaterarchiv dem Stadtarchiv, wo «bereits eine ansehnliche Zahl von Vereins- und Gesellschaftsarchiven» untergebracht war, übergeben (Stadtratsprotokoll Nr. 1494 vom 27. August 1943). Während gut fünfzig Jahren hat das Stadtarchiv Zürich periodisch die neu abgelieferten Materialien archiviert und verzeichnet. Mit dem Vertrag vom 29. Juli 2010 wurden die Archive des Aktientheaters und des Stadttheaters bzw. des Opernhauses Zürich von 1834 bis 31. Juli 1995 dem Stadtarchiv Zürich als Schenkung übergeben. – Von der Spielzeit 1995/96 an archiviert das Staatsarchiv des Kantons Zürich die Akten der Opernhaus Zürich AG. Mit der Annahme des Opernhausgesetzes vom 25. September 1994 hatte der Kanton die finanzielle Unterstützung des Opernhauses übernommen.

Der Bestand Stadtarchiv Zürich VII.12.  Aktientheater, Stadttheater, Opernhaus umfasst rund 200 Laufmeter, 1639 Archivschachteln und 38 grossformatige Mappen. Angesichts der inhaltlichen Vielfältigkeit des Bestandes besteht das Inventar aus vier detaillierten Verzeichnissen:

VII.12.A.             Aktientheater 1834 bis 1890 (35 Seiten)

VII.12.B.             Stadttheater 1891 bis 1964 / Opernhaus 1964 bis 1995 (635 Seiten)

VII.12.B.:27.       Plakate in Grossformat (34 Seiten)

VII.12.B.:28.2.    Pläne in Grossformat (31 Seiten)

Diese Verzeichnisse sind über Internet einsehbar; sie stehen im Lesesaal des Stadtarchivs auch in Form von zwei Bänden zur Verfügung.

Das Archivgut besteht aus Protokollen, Akten, Kritiken, Bildern, Plänen und Drucksachen; es dokumentiert über die Geschichte der heutigen Zürcher Oper hinaus auch jene des Zürcher Schauspielhauses von 1901 bis 1938 und des Tonhalle-Orchesters bis 1984.

Umgekehrt bieten die im Stadtarchiv Zürich aufbewahrten Archive der Neuen Schauspiel AG bzw. der Schauspielhaus Zürich AG (Stadtarchiv Zürich VII.200.) und der Tonhalle-Gesellschaft Zürich (Stadtarchiv Zürich VII.151.) Ergänzungen zur Geschichte des Zürcher Musiktheaters.

Das Archiv des Stadttheaters und Opernhauses spiegelt das breite Spektrum von Aktivitäten dieses äusserst vielseitigen Theaters. Inhaltliche Überschneidungen der Akten sind nichts Unübliches, und zwar auf mehreren Feldern. Grund dafür sind die nicht klar definierten oder sich überschneidenden Kompetenzen, welche im Lauf der Zeit auf andere Gremien übertragen wurden. Korrespondenz und Akten wurden durch die zuständigen Mitarbeiter/innen ursprünglich in Ordnern – meist nur grob chronologisch – abgelegt und bisweilen von einzelnen Stellen parallel geführt. Damit die Zusammenhänge transparent bleiben, wurden die Inhalte der einzelnen Ordner übernommen und im Detail erfasst.

Stadttheater Zürich um 1895
Stadttheater Zürich um 1895 © Baugeschichtliches Archiv

«Das Stadttheater ist tot – es lebe das Opernhaus!»

Welch turbulente Geschichte des Zürcher Musiktheaters muss das Archiv des Opernhauses verbergen! Aktientheater? Theater AG? Stadttheater? Opernhaus? Wie verwirrend all diese Namen! Indes handelt es sich um ein und dasselbe Theater, die erste ständige Bühne in Zürich, die seit 1834 besteht – unser heutiges Opernhaus.

Die letzte Umbenennung des Stadttheaters in «Opernhaus Zürich» erfolgte im Jahr 1964. Diese Namensänderung ist Prof. Dr. Hermann Juch zu verdanken, dem Künstlerischen Direktor des Opernhauses 1964 – 1975. «Das Stadttheater ist kein Dreispartenbetrieb, und es sollte daher – zur Unterscheidung vom Schauspielhaus – schon in der Namengebung die von ihm vertretene Kunstgattung aufweisen. Das Stadttheater sei ein reines Opernhaus. Es sollte daher heissen ‚Opernhaus‘ oder ‚Zürcher Oper‘; ein solcher Name würde die Verhältnisse klar und eindeutig darstellen»[1], argumentierte Hermann Juch noch vor seiner Anstellung während der Sitzung des Verwaltungsrates am 31. Januar 1963. Seine Meinung durfte nicht ignoriert werden. Längst gehörte Hermann Juch zu den besten Theaterintendanten in Europa. Da er die Wiener Volksoper von 1946 bis 1955 und die Deutsche Oper am Rhein in Düsseldorf ab 1955 mit grösstem Erfolg führte, gab sich der Verwaltungsrat alle Mühe, ihn für das Stadttheater Zürich zu gewinnen.

Die Gespräche zwischen Hermann Juch und dem Verwaltungsrat beginnen um die Jahreswende 1962/63. Die Verhandlungen sind hart. Neben den wichtigen Themen wie Dienstvertrag, Budget, Orchestervergrösserung oder Raumbeschaffung wird der Vorschlag der Namensänderung des Stadttheaters in jeder Sitzung besprochen. Hermann Juch bleibt bei seiner Forderung unnachgiebig – der Name muss geändert werden! «Direktor Juch hat sich immer gefragt, warum Zürich nicht eine erstklassige Oper habe. Es habe doch auch ein erstklassiges Schauspiel, wie der Ruf des Zürcher Schauspielhauses beweise. Zürichs Oper sollte führend unter den Schweizer Theatern sein»[2], berichtet das Protokoll der Sitzung des Verwaltungsrates vom 31. Januar 1963. Was für eine verwegene Idee! Verwaltungsrat Fritz Nehrwein weist darauf hin, «dass der Name 'Stadttheater' beim Volke sich grosser Beliebtheit erfreue.»[3] Und Verwaltungsrat Julius Schläpfer «konnte sich nicht recht vorstellen, dass man sagt: ‚Ich gang is Operehus‘»[4]. Für die andern klingt es zu «germanisch».[5] Hermann Juch gibt nicht auf. «Der ‚Stapi‘ [Emil Landolt] hat mich gefragt, ob die Umbenennung eine Bedingung für mein Kommen sei, und ich habe leichthin Ja gesagt.»[6] Die Verhandlungen drohen tatsächlich durch ein «Nein» zu scheitern. Zu guter Letzt – freilich nicht ohne Vorbehalte und mit einer gehörigen Portion Skepsis – kommt der Verwaltungsrat in der Sitzung vom 31. Januar 1963 dem Begehren des zukünftigen Künstlerischen Direktors Hermann Juch nach. Auch Fritz Nehrwein stimmt schliesslich der Umbenennung zu: «Unklug wäre es, Direktor Juch wegen der von ihm gewollten Namensänderung springen zu lassen»[7]. Nach dem Beschluss des Verwaltungsrates stand für den neuen Intendanten nichts mehr im Weg, aus dem Zürcher Provinz-Musiktheater ein Theater von Weltgrösse zu machen – «ein grossstädtisches Theater entsprechend seinem Ruf als Weltstadt»,[8] wie Hermann Juch zu sagen pflegte.


[1] VII.12.B.11.7.6. Protokoll der 8. Sitzung des Verwaltungsrates vom 31. Januar 1963
[2] wie Anm. 1, S. 4
[3] wie Anm. 1, S. 11
[4] wie Anm. 1, S. 11
[5] Interview mit Hermann Juch in: Neue Zürcher Zeitung, 16. Sept. 1991, Sonderbeilage
[6] wie Anm. 5
[7] wie Anm. 1, S. 12
[8] Ebd.

Bild Prof. Dr. Hermann Juch
VII.433. Susan Schimert-Ramme. Fotoarchiv

Prof. Dr. Hermann Juch geb. 19. Sept. 1908 in Innsbruck, gest. 12. Juli 1995 in Jona bei Rapperswil, österreichischer Jurist, Sänger und Operndirektor. Von 1946 bis 1955 leitete H. Juch die Wiener Staatsoper, 1955 wurde er Generalintendant der Deutschen Oper am Rhein. 1964 bis 1975 Intendant des Opernhauses Zürich.

"Ich möchte an die glückliche Konstellation erinnern, dass in jenen Jahren sowohl mit den Zürcher Behörden als aus mit dem Verwaltungsrat ein völlig harmonisches Einvernehmen herrschte. Es war damals nichts verpolitisiert, meine Gesprächspartner waren Leute, die etwas von der Sache verstanden und begeistert mitgingen oder aber sich überzeugen liessen. Es hat nie Konflikte gegeben. Dieses Einvernehmen war der Beweis dafür, dass die Stabilisierung gelungen war. Das zweite, ebenso positive Faktum war das ausgezeichnete Klima im Haus selber und die bestens abgestimmte Zusammenarbeit mit meinen engsten Mitarbeitern. Ich habe mich immer als Familienvater gefühlt, nicht als Direktor, der Rollen verteilt und die Stücke ansetzt, und die Künstler und andern Mitarbeiter haben sich hier daheim gefühlt." Interview mit Hermann Juch in: Neue Zürcher Zeitung, 16. Sept. 1991, Nr. 214, Spezialbeilage: 1891 – Opernhaus Zürich – 1991

Auch die Tramhaltestelle beim Opernhaus heisst heute «Opernhaus».
Auch die Tramhaltestelle beim Opernhaus heisst heute «Opernhaus».

Die Nachricht über die Umbenennung des Stadttheaters sorgte in der Schweizer Presse für Aufsehen: «Das Stadttheater ist tot – es lebe das Opernhaus!»,[1] «Schweizer Bühnen lüften den Vorhang»,[2] «Eine neue Ära steht bevor. Die Vorzeichen scheinen günstig. Die Spannung ist gross»,[3] lauteten die Schlagzeilen. Buchstäblich voller Neugier und mit grossen Erwartungen wurde die Neuigkeit mit Spannung verfolgt. «Also 'Opernhaus' – die Zürcher werden sich daran gewöhnen müssen, auch wenn sie vorerst der Zunge einen zünftigen Schupf geben müssen. [...] Nehmen wir diesen neuen Namen als gutes Omen!»[4] Die neue Ära bedeutete eine künstlerische Wende und eine definitive Abgrenzung vom Sprechtheater – keine Assoziation mehr mit dem «erstklassigen Schauspiel»[5], jede Verwechslung sollte eliminiert werden.

Der neue Name spiegelte ein neues künstlerisches Programm wider: wenig Operettenaufführungen, mehr grosse Oper, bekannte Dirigenten und Sänger/innen, ein aufgewertetes Ballett. «Das Ballett, das nicht nur Anhängsel der Oper bleiben soll, ist beträchtlich vergrössert worden.»[6] In der Tat. Die grösste Werke von Richard Wagner, Richard Strauss, Giuseppe Verdi, Giacomo Puccini, Carl Maria von Weber, Georges Bizet gingen über die Bühne, die Inszenierungen des neuen Leiters des Zürcher Balletts, des international bekannten Choreographen und Ballettmeisters Nikolas Beriozoff, fanden im Publikum Resonanz. Hermann Juch arbeitete nach dem «bei seinem Direktionsantritt umrissenen Arbeitsprinzip: ‚Das Alte erhalten und neu beleben, dem Neuen Gehör zu verschaffen und Raum zu gewinnen ist stets vornehmste Aufgabe eines Kunstinstitutes gewesen. In diesem Sinne wird das Opernhaus Zürich arbeiten, um durch seinen ständig wachsenden Ruf weiter zu wirken am Werk des Geistes und beizutragen zur Erholung und Entspannung seines Publikums. Die Pflege von Oper, klassischer Operette und Ballett in ihrer gesamten künstlerischen Aussage soll uns diesem Ziel näherbringen.‘»[7] Ab 1964 wurde die Zürcher Oper immer mehr zum Welttheater, ihr Name gewann an Bedeutung. Und heute? Das Opernhaus Zürich «kann heute als Erfolgsstory bezeichnet werden. Dieser Erfolg ist den Bürgern von Kanton und Stadt Zürich zu verdanken»,[8] ergänzt der Dramaturg Konrad Kuhn in Festschrift zum 175-jährigen Jubiläum der «Theater-Aktiengesellschaft» Zürich.

6. Dezember 2010 / Halina Pichit

[1] Tages-Anzeiger, 15. August 1964
[2] Basler Nachrichten, 19. Aug. 1964
[3] Neues Zürcher Zeitung, 17. Aug. 1964
[4] Ebd.
[5] VII.12.B.11.7.6. Protokoll der 8. Sitzung des Verwaltungsrates vom 31. Januar 1963
[6] Ebd.
[7] Manfred Schnabel: Rückblick auf die Spielzeit 1964/65; Opernhaus, Jahrbuch 1965/66, S. 10.
[8] Konrad Kuhn: Ein Theater der Bürger. Chronik 1834 – 2009 in: Festschrift zum 175-jährigen Jubiläum der 'Theater-Actiengesellschaft'

Opernhaus Zürich um 1984 © Baugeschichtliches Archiv
Opernhaus Zürich um 1984 © Baugeschichtliches Archiv

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