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Online Handel: Herausforderung für den stationären Handel und die Stadtentwicklung

Simon Keller 20. September 2017

Wie entwickeln sich der stationäre und der Online Handel?

Der stationäre Handel (2016: 93,9 Mrd.) generiert in der Schweiz rund zwölfmal so viel Umsatz wie der Online Handel (2016: 7,8 Mrd.), jedoch schrumpft ersterer (2016: -1.7%) seit mehreren Jahren, während letzterer (2016: +8.3%) kontinuierlich wächst. Dabei reicht der Warenanteil, der online eingekauft (2016) wird, von knapp 2% bei den Lebensmitteln bis 23% bei der Heimelektronik. Im internationalen Vergleich weist die Schweiz eine ähnlich tiefe Marktdurchdringung des Online Handels auf wie Schweden, Frankreich oder die Niederlande. Dies mag erstaunen, da der prozentuale Anteil an Personen, die online einkaufen, in der Schweiz (2010: 57%) höher ist als in der EU (2011: 47%). Gleichwohl erwirtschaften die fünf grössten Online Händler (2016: 2,3 Mrd. CHF) in der Schweiz bereits heute mehr Umsatz als die fünf grössten Einkaufszentren (2015: 2.1 Mrd. CHF). Fachleute sind sich einig, dass der Online Handel weiter wachsen wird, jedoch gehen die Meinungen auseinander, wie rasch und stark dies der Fall sein wird. Ebenso wird von einem weiteren Rückgang des stationären Handels ausgegangen. Fredy Hasenmeile, Analyst bei der Credit Suisse, sieht rund ein Drittel der 50‘000 stationären Schweizer Läden bis 2028 gefährdet. Und bei den Shopping Centern prognostiziert Marcel Stoffel, Herausgeber des Shoppingcenter Marktreports, einen Leerstand von einem Viertel der Verkaufsflächen.

Welches sind Treiber des Online Handels auf der Nachfrageseite?

Zu den wichtigsten gesellschaftlichen Entwicklungen, welche den Online Handel begünstigen, zählen die Zunahme der Frauen-Erwerbstätigkeit (Schweiz 2010: 76.5%; 2014: 78.7%) und diejenige der Einpersonen-Haushalte (Schweiz rund ein Drittel, in den Städten rund die Hälfte). Bedeutsam sind weiter  der wachsende Anteil an «Digital Natives» sowie die grösser werdende Internet-Affinität der «Silver Ager», welche oft über gute finanzielle Ressourcen verfügen. Zudem profitiert der zeit- und ortsunabhängige Online Handel von der zunehmenden Verkehrsmobilität der Gesellschaft.

Handel im Wandel – Auswirkungen der Digitalisierung

Der Online-Handel wächst stetig, während der stationäre Handel an Umsatz einbüsst. Für die Stadt Zürich entstehen dadurch einerseits Herausforderungen in der Logistik, andererseits ist der stationäre Handel für die Belebung der Quartiere ein wichtiger Faktor. Wir haben mit Expertinnen und Experten diskutiert, was das genau für Zürich bedeutet.

Welches sind Herausforderungen und mögliche Hemmnisse des Online Handels?

Im Textilhandel macht sich ein «Zalando-Effekt» bemerkbar (Quelle: STEZ).

Was der Online Handel (noch) nicht anbieten kann, ist eine sinnliche Wahrnehmung der Produkte und damit die Emotionalität beim Kaufen. Das Anprobieren der Kleider und Schuhe ist heute online ebenso wenig möglich wie das Betasten und Riechen frischer Lebensmittel. Ob dies dem weiteren Wachstum des Online Handels Grenzen setzen wird, wird sich weisen. Dabei sei an den «Zalando-Effekt» erinnert, der gezeigt hat, dass bei Produkten wie Textilien, von denen vor wenigen Jahren noch niemand dachte, dass sie online bestellt werden, heute bereits rund jeder fünfte Einkauf online erfolgt.

Mit dem wachsenden Online Handel wird der Warenverkehr international wie lokal zunehmen. Die Konsumentinnen und Konsumenten fordern schnellere und individuell angepasste Warenlieferungen. Dies stellt eine grosse Herausforderung für die Logistik dar, vor allem für die so genannte «letzte Meile», die Feinverteilung bis zu den Konsumentinnen und Konsumenten. Ob neue Verkehrsmittel (z.B. selbstfahrende Fahrzeuge, Drohnen, sous-terrain-Transportmittel) oder andere Formen von Warenabholstationen (z.B. Pick-up, Quartier-Agentur) diesen zunehmenden Engpass entlasten werden, wird sich zeigen

Welche Folgen ergeben sich aus dem Online Handel?

Da der Online Handel keine Kosten für Laden-Miete und -Ausstattungen hat, kommen die Verkaufspreise im Detailhandel unter Druck. Es wird weniger Verkaufspersonal benötigt, dafür mehr (Fach-)Leute im ICT-Bereich sowie in der Logistik. Der Online Handel senkt zudem die Hürden für den Markteintritt, was die wachsende Anzahl neu gegründeter Unternehmen im Verhältnis zu den bestehenden zeigt. Zwischen Herstellern, IT-Firmen, Logistik-Unternehmen, Gross- und Detailhandel wird die strikte Arbeitstrennung zusehends verschwinden. Ein Produzent wird die Kundin («producer2consumer») direkt beliefern und ein Detaillist wird die Waren dank 3D-Drucker «on demand» selber produzieren und dem Kunden verkaufen. Die Vielfalt der Kundenanforderungen trifft auf ein Nebeneinander verschiedener Distributionsformen und Bezugswege.

Wie wird die Entwicklung weitergehen?

Sowohl der stationäre als auch der Online Handel werden sich weiter verändern und im «Cross-Channel-Retail» zusammenwachsen. Entlang der «Customer Journey» gibt es verschiedene Kundenkontaktpunkte, die sowohl virtuell als auch stationär sein werden. Deshalb etablieren reine Onlne Händler punktuell stationäre Läden, wie dies z.B. Amazon durch den Zukauf der Lebensmittelkette «Whole Foods» getan hat.

Beim «Cross-Channel-Retail» ist eine zweiseitige Kommunikation mit den immer besser informierten Kundinnen und Kunden zentral. Ihnen werden aufgrund der erfassten persönlichen Daten immer mehr personalisierte und zeit-räumlich angepasste Angebote unterbreitet. Dies bedingt Investitionen in die Digitalisierung im Detailhandel von CHF 4 Mrd. in den nächsten 5 Jahren, wie Deloitte prognostiziert.

Was bedeutet dies für den Stadtraum?

Ohne Logistik gibt es weder den stationären noch den Online Handel. Sie prägt den Stadtraum durch ihre Emissionen und ihren Platzbedarf. Längere Öffnungszeiten beim stationären Handel und kürzere Lieferzeiten beim Online Handel führen zu mehr Logistik. Diese stellt das räumliche Nadelöhr für das Wachstum des gesamten Handels dar. Teils werden grosse Hoffnungen in neue Logistik-Konzepte (selbstfahrende Fahrzeuge, Drohnen, Abholstationen u.a.) gesetzt, welche diese Problematik entschärfen sollen. Man darf gespannt sein, ob sich solche durchsetzen werden.

Nebst der Frage des Warenverkehrs ist die Anzahl, Verteilung und Grösse der Detailhandelsgeschäfte für den Stadtraum von grosser Bedeutung. Dabei gehen die Meinungen auseinander, ob die beschriebenen Entwicklungen im Detailhandel zu grösseren oder zu kleineren und spezialisierten Geschäften führen werden. Die Zukunft wird zeigen, ob es zu einer räumlichen Konzentration oder einer Dezentralisierung in oder ausserhalb der Stadt kommt. Mit diesen Entwicklungen eng verbunden sind die Qualität der Nahversorgung für die Bevölkerung und die Beschäftigten sowie die Attraktivität der Stadt als Shopping-Destination für Touristen.

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