Global Navigation

Erstmals seit über 180 Jahren mehr Männer als Frauen

Über Jahrzehnte hinweg wohnten in der Stadt Zürich mehr Frauen als Männer. Nun hat sich dieses Verhältnis umgekehrt: Zum ersten Mal seit über 180 Jahren leben mehr Männer als Frauen in der Stadt. Woher rührte die langjährige Überzahl des weiblichen Geschlechts? Und was hat dazu geführt, dass die Männer nun plötzlich in der Mehrheit sind? Der aktuelle Wandel gründet vor allem in der Stadtzürcher Migrationsgeschichte des letzten Jahrhunderts. (18. Oktober 2018 – Klemens Rosin, Judith Riegelnig)

Frauenmehrheit schwindet seit den 1980er-Jahren

Seit September 2018 leben mehr Männer als Frauen in der Stadt Zürich. Das war letztmals bei der Bevölkerungszählung im Jahr 1836 der Fall (Grafik 1). Im letzten Jahrhundert wohnten stets deutlich mehr Einwohnerinnen als Einwohner in Zürich: Von 1931 bis 1989 wurden jedes Jahr mindestens 20 000 mehr Frauen als Männer gezählt; von 1949 bis 1959 betrug die Differenz sogar über 30 000 Personen. Die grösste Unterzahl männlicher Einwohner wurde 1953 beobachtet: Damals wohnten 33 442 mehr Frauen als Männer in der Stadt. Seit den 1980er-Jahren nahm der zahlenmässige Unterschied zwischen den Geschlechtern kontinuierlich ab. Im Jahr 2000 betrug er 12 000 Personen, im Jahr 2010 sogar nur noch 4000 Personen. Per Ende September 2018 zählt die Stadt Zürich knapp hundert mehr Männer als Frauen.

Grafik 1: Wohnbevölkerung der Stadt Zürich nach Geschlecht (erste Eingemeindung 1893, zweite Eingemeindung 1934)

Geringer Einfluss von Geburten und Todesfällen auf den Geschlechteranteil

Was aber führte dazu, dass sich der Geschlechteranteil seit den 1980er-Jahren veränderte? Grundsätzlich kommen vier demografische Prozesse in Frage: Geburten, Todesfälle, Zuzüge und Wegzüge. Zuerst werden die sogenannten natürlichen Bewegungen, die Geburten und Todesfälle, untersucht.

Wurden in den letzten Jahren mehr männliche als weibliche Babys geboren? Dem ist nicht so: Von den Neugeborenen mit Wohnsitz in der Stadt Zürich waren in den letzten 25 Jahren 48 Prozent Mädchen; es wurden also praktisch gleich viele Knaben wie Mädchen geboren. Der Mädchenanteil ist von Natur aus leicht geringer, da die Sterblichkeit männlicher Babys etwas höher liegt. Auch beim Geschlechterverhältnis von Kleinkindern lassen sich keine Trendänderungen feststellen: Die Geschlechteranteile bei den 0- bis 4-Jährigen sind in der Stadt Zürich über lange Zeitperioden annähernd konstant; der Mädchenanteil beträgt im Mittel 49 Prozent (Jahre 1894 bis 2017).

Im Mittel leben Frauen länger als Männer. Das erklärt, weshalb bei ähnlichen Geburtenzahlen und keiner Migration die Wohnbevölkerung mehr Frauen als Männer umfassen würde. Sind Trendwechsel in der Lebenserwartung verantwortlich für die sich seit den 1980er-Jahren verändernden Geschlechteranteile in der Stadt Zürich? Aktuell beträgt in Zürich die mittlere Lebenserwartung bei Geburt 85,3 Jahre bei Frauen und 80,5 Jahre bei Männern. Seit 1994 ist die Lebenserwartung bei Männern jedoch stärker gestiegen als bei Frauen (+ 6,3 vs. 4,4 Jahre). Was bedeutet die Veränderung der Lebenserwartung bezüglich Anzahl Frauen und Männer? Erklärt sie einen substanziellen Teil der Abnahme der Personendifferenz nach Geschlecht von knapp 20 000 anfangs der 1990er-Jahre auf fast null Ende 2017? Für diese Analyse wird die Sterberate konstant gehalten: Mit der Sterberate des Jahres 2017 wird berechnet, wie viele Menschen mit geringerer heutiger Sterberate gestorben wären. Gemäss dieser Abschätzung wären mit konstanter heutiger Sterberate in den letzten 24 Jahren 6500 Frauen und 6500 Männer weniger gestorben. Dass die Lebenserwartung in den letzten Jahrzehnten bei Männern stärker gestiegen ist als bei Frauen, wirkt sich folglich nur geringfügig auf den Geschlechteranteil aus. Fazit: Sowohl die Geburten als auch die Todesfälle erklären nicht, warum in den letzten vier Jahrzehnten die Personendifferenz nach Geschlecht von etwa 30 000 auf null gesunken ist.

Einfluss der Migration auf die Geschlechteranteile – jedoch kein «Google-Effekt»

Haben sich die Geschlechteranteile zugunsten der Männer verändert, weil in den letzten Jahren besonders viele Männer nach Zürich gezogen sind, eine Stadt mithin, die auch als Technologiestandort (ETH, Google usw.) gilt? In den 2010er-Jahren sind im Mittel 22 400 Männer pro Jahr zu- und 20 700 weggezogen. Das entspricht einem Wanderungssaldo von plus 1700 Männern (Grafik 2). Bei den Frauen war dieser in den 2010er-Jahren im Durchschnitt ungefähr gleich gross wie bei den Männern. Die Migrationsbewegungen der letzten acht Jahre tragen offensichtlich wenig zur anteilmässigen Zunahme der Männer in der Stadt Zürich bei. Es gab keinen erhöhten Zuzug von Männern an den Technologiestandort Zürich – und damit auch keinen «Google-Effekt».

In den Jahrzehnten zuvor sind jedoch deutliche Unterschiede in den Wanderungsbewegungen nach Geschlecht festzustellen: In den 1980er- bis 2000er-Jahren war der Wanderungssaldo bei Männern stets klar höher als bei Frauen. Anders in den 1930er- bis 1950er-Jahren: In dieser Zeit übertraf der Wanderungssaldo der Frauen jenen der Männer beträchtlich. Die Zu- und Wegzüge dieser Zeitperiode führten zu einer Erhöhung des Frauenanteils an der Stadtzürcher Wohnbevölkerung. Auch in den 1910er-Jahren führten die Wanderungsbewegungen dazu, dass anteilmässig mehr Frauen als Männer in Zürich wohnten.

Grafik 2: Wanderungssaldo (Zuzug minus Wegzug, Mittel pro Jahr)

Je nach Generation unterschiedliche Geschlechteranteile

Je nach Zeitperiode waren die Wanderungsbewegungen in die oder aus der Stadt Zürich durch unterschiedliche Geschlechteranteile geprägt. Das Ergebnis zeigt sich auch in der Verteilung der Wohnbevölkerung nach Geschlecht und Alter (Grafik 3). Im Jahr 1900 waren die Einwohnerinnen in den meisten Altersklassen nur leicht stärker vertreten als die Einwohner. Einzig bei den 20- bis 24-Jährigen befanden sich die Frauen klar in der Überzahl. Zwanzig Jahre später sind die Frauen bei einigen Altersklassen deutlich stärker vertreten als die Männer; praktisch über den gesamten Altersbereich von 15 bis 44 Jahren. Im Jahr 1941 zeigt sich ein ähnliches Muster wie 1920; die Frauenanteile haben sich jedoch weiter erhöht. 1960 zeigt sich ein verändertes Bild: Bei den 20- bis 29-Jährigen übersteigt die Zahl der Männer jene der Frauen; in diesem Altersbereich waren zuvor stets die Frauen stärker vertreten. Diese sind jedoch inzwischen gealtert; entsprechend dominieren vor allem bei den 30-Jährigen und Älteren die Frauen. Dieses Muster ist 1980 noch ausgeprägter: Bis zu den 39-Jährigen dominieren anzahlmässig die Männer, in allen höheren Altersgruppen die Frauen. Im Jahr 2000 wird vor allem die Generation ab 60 von Frauen dominiert; bei den 25- bis 40-Jährigen sind die Männer in der Überzahl. Im Jahr 2017 erreichen die Jahrgänge mit hoher Frauenvertretung Altersbereiche von 75 Jahren und mehr; dementsprechend findet ein Wegsterben der frauenstarken Generation statt. Eine Altersklasse mit hohem Männeranteil rückt nach, und so nimmt der Frauenanteil an der Stadtzürcher Wohnbevölkerung ab und beträgt seit September 2018 weniger als fünfzig Prozent.

Grafik 3: Wohnbevölkerung nach Altersklasse und Geschlecht

Zusammenfassung und Ausblick

Per Ende September 2018 wohnen in der Stadt Zürich zum ersten Mal seit über 180 Jahren wieder mehr Männer als Frauen. Dieser Wandel hat kaum mit Geburten und Veränderungen der Lebenserwartung zu tun, sondern vielmehr mit Wanderungsbewegungen: Über die Jahre hinweg sind unterschiedlich viele Frauen und Männer in die Stadt Zürich zu- oder aus der Stadt weggezogen. Als Folge weisen gewisse Generationen einen hohen Frauen-, andere einen hohen Männeranteil auf. Aktuell sind bei den 75-Jährigen und Älteren die Frauen, bei der nachfolgenden Generation die Männer stark vertreten. Die Generation mit hohen Frauenanteilen erreicht inzwischen ein Alter mit hoher Sterblichkeit; die jüngere Generation mit überproportional vielen Männern rückt nach; entsprechend nimmt der Männeranteil kontinuierlich zu. In der Publikation «Der neuen Männerüberzahl auf der Spur: Analysen nach Herkunft» wird unter anderem auf die Geschlechterunterschiede bei verschiedenen Nationalitätengruppen der Stadtzürcher Wohnbevölkerung eingegangen; dies lässt besser verstehen, weshalb in einzelnen Altersgruppen das eine oder das andere Geschlecht stärker vertreten ist.

Mehr zum Thema

Weitere Informationen