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Publikation

Juni 2022

Persönlich-Kolumne: Mehr Würde

Publikation Tagblatt der Stadt Zürich
Raphael Golta, Vorsteher Sozialdepartement
Raphael Golta, Vorsteher Sozialdepartement
Juni 2022

Persönlich-Kolumne: Mehr Würde

Publikation Tagblatt der Stadt Zürich

Die Solidarität der Zürcherinnen und Zürcher mit den geflüchteten Menschen aus der Ukraine ist bemerkenswert. Rund 2'000 von ihnen leben derzeit mitten unter uns in privaten Unterbringungen in unserer Stadt und teilen unseren Alltag. Dieser Alltag birgt für die Menschen, die ihre Heimat verlassen mussten, neben vielen anderen Herausforderungen auch in finanzieller Hinsicht grosse Hürden. Denn Geflüchtete mit Schutzstatus S erhalten gleich wie vorläufig aufgenommene Menschen, zum Beispiel aus Afghanistan, Unterstützung zu Ansätzen unterhalb der bereits bescheidenen regulären Sozialhilfe. Und mit diesen Mitteln sind nicht nur keine grossen finanziellen Sprünge möglich – vielmehr reicht das Geld oftmals kaum für die absolut notwendigsten Dinge des täglichen Bedarfs.

Dass die finanzielle Unterstützung für diese Menschen auf der Flucht so gering ausfällt, ist politisch gewollt. Die niedrigen Ansätze sollen den Betroffenen wohl klarmachen, dass wir ihre Zukunft eher im Herkunftsland als bei uns sehen. Dass die Frage von Rückkehr oder Verbleib aber vielmehr von den Lebensbedingungen in der Heimat als den tiefen finanziellen Ansätzen hierzulande abhängt, wird dabei gerne ausgeblendet. Fakt ist, dass die überwiegende Zahl der vorläufig Aufgenommenen für länger oder für immer hierbleiben wird. Eine möglichst schnelle und erfolgreiche Integration wäre also in unserem wie auch im Interesse der Geflüchteten selbst. Aber wie soll diese Integration gelingen, wenn im Alltag ein grosser Teil der Energie für das finanzielle Überleben aufgebracht werden muss und wenn jede noch so kleine unerwartete Ausgabe zu grossen Sorgen und Nöten führt?

Damit Menschen auf der Flucht – ob aus der Ukraine oder aus anderen Ländern – wirklich Teil unserer Gesellschaft werden können, müssen wir sie so unterstützen, dass sie ein Leben in Würde führen können. Dann bleiben Ressourcen, um teilzuhaben an diesem Leben fern der Heimat. Und damit erste Schritte in Richtung finanzielle Selbständigkeit gehen zu können. 

Raphael Golta,
Vorsteher Sozialdepartement