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Kunst und Quartiere in dynamischem Wandel

Die Sommerausstellung «Neuer Norden Zürich»

Die Einhausung des Autobahnzubringers wird Schwamendingen stark verändern. Die Arbeitsgruppe Kunst im öffentlichen Raum (AG KiöR) bringt temporäre Kunst in Zürichs Norden und animiert zu Reflexion: Über Lebensqualität und Lebensformen, über den demografischen Wandel der Bevölkerung und gemeinschaftliche Aufgaben sowie über die Rolle, die Kunst in diesen Prozessen einnehmen kann. Christoph Doswald, Kurator der Ausstellung «Neuer Norden Zürich» und Vorsitzender der AG KiöR, sagt, wie Kunst und gesellschaftlicher Wandel zusammengedacht werden können.

Christoph Doswald, Vorsitzender Arbeitsgruppe KiöR und Kurator der Ausstellung. Foto: © Patrik Kummer.
Christoph Doswald, Vorsitzender Arbeitsgruppe KiöR und Kurator der Ausstellung. Foto: © Patrik Kummer.

Seit der Ausstellung «Art and the City» 2012 begleitet die Arbeitsgruppe Kunst im öffentlichen Raum (AG KiöR) die Entwicklung in Zürichs Aussenquartieren. Was ist anders in Zürich-Nord als in Zürich-West oder in Altstetten und Albisrieden, wo 2015 ebenfalls eine grosse Ausstellung stattfand?

Christoph Doswald: Auslöser der neuen Ausstellung ist das Projekt «Einhausung Schwamendingen». Rechts und links des Autobahnzubringers klaffen heute riesige Baulücken, Abrissprojekte sind in Gang. Ein Park von 1,1 Kilometern Länge und 30 Metern Breite wird auf dem Dach des künftig eingehausten Autobahnabschnitts entstehen. Das ist ein gigantischer städtebaulicher Eingriff, der die ganze Umgebung verändert. Schwamendingen, Oerlikon und Seebach waren traditionellerweise Arbeiterquartiere mit noch aktiven Landwirtschaftsbetrieben. Durch den Druck aus der City und durch die Bautätigkeit verändert sich die Zusammensetzung der Bevölkerung. Mehr Familien aus dem Mittelstand ziehen her. Die Quartiere haben grosse Qualitäten. Es gibt viele Grünflächen, viele Schulen und – abseits der Autobahn – wenig Verkehr. Ein Manko ist der Fluglärm. Einer der Aufträge, den wir als AG KiöR haben, lautet: Die Kunst im öffentlichen Raum begleitet die Entwicklung der Stadt. Dies nehmen wir alle drei Jahre zum Anlass, in andern Stadtkreisen einen Schwerpunkt zu setzen.

Baltensperger+Siepert, DIE GLOCKE, 2018, Hunziker-Areal, Zürich. © Baltensperger + Siepert / Stadt Zürich KiöR («Neuer Norden Zürich»). Unterstützt von: IGORA – Genossenschaft für Aluminium-Recycling und Baugenossenschaft mehr als wohnen, Zürich.
Veronika Spierenburg, DER LOOP. 2018, Skizze der Holzskulptur. Foto: © Veronika Spierenburg / Stadt Zürich KiöR.
Veronika Spierenburg, DER LOOP. 2018, Skizze der Holzskulptur. Foto: © Veronika Spierenburg / Stadt Zürich KiöR.

Worauf genau zielt denn nun die Ausstellung im «Neuen Norden?»

Mehrere Projekte greifen den Bereich Bauen und Ökonomie des Bauens auf. Zentrales Thema im Norden Zürichs ist das Prinzip der Genossenschaft. Die alten Siedlungen waren zum Teil recht uniform, mit viel Grünräumen und Gärten zur Selbstversorgung. Diese werden jetzt durch Ersatzneubauten mit etwas grösseren Wohnflächen ersetzt. Das Genossenschaftliche, die Allmenden, Teilhabe und Partizipation sind Stichworte, die in der erweiterten Kunst-und-Kultur-Debatte wichtig sind. Man will mit Kunst Gemeinschaftlichkeit erzeugen – solche Projekte sind ein Stück weit immer ein Testversuch mit offenem Ende. Das hat auch die innovative «Baugenossenschaft mehr als wohnen» auf dem Hunziker-Areal erfahren, als sie selber ein Kunstprojekt lanciert hat. Jetzt bringen wir hier ein Recycling-Projekt von Baltensperger+Siepert ein. Ziel ist es, die Bewohnerinnen und Bewohner zu motivieren, Aluminium zu sammeln. Daraus wird eine Glocke gegossen. Die 1,20 Meter hohe Glocke wird zum Symbol der gemeinschaftlichen Anstrengung – einem Symbol mit starker physischer Präsenz. Ein weiteres Projekt, das auf das Gemeinschaftliche fokussiert, stammt von Veronika Spierenburg. Ihr Sound-Pavillon ist eine Analogie zu Kurkonzert-Pavillons. Die Künstlerin lässt eine Bühne in Form einer Schlaufe hinter dem Schwamendingerplatz erstellen. Nicht nur junge Leute sollen sich da zusammenfinden und ihre Show abziehen; der Sound-Pavillon ist eine Plattform fürs ganze Quartier. Auch da geht es um das Zusammenkommen und das Gemeinschaftsgefühl.

Nic Hess, LADENSCHLUSS, 2018, Wiesenstück zwischen Bahnhof Stettbach und Sagentobelbach. © Pierluigi Macor / Stadt Zürich KiöR («Neuer Norden Zürich»). Unterstützt von: IG pro zürich 12.
Nic Hess, LADENSCHLUSS, 2018, Wiesenstück zwischen Bahnhof Stettbach und Sagentobelbach. © Pierluigi Macor / Stadt Zürich KiöR («Neuer Norden Zürich»). Unterstützt von: IG pro zürich 12.

Gibt es auch Projekte, die die spezifische Geschichte des Quartiers aufgreifen?

Nic Hess hat zwei Jahre lang Fensterläden von Abbruchhäusern gesammelt. Diese haben die mehr oder weniger gleich aussehenden Bauten individualisiert. Alle Läden waren aus Holz – aber sie haben sich durch ihre Farben unterschieden. Aus mehreren Hundert gestaltet Nic Hess jetzt eine Skulptur beim Bahnhof Stettbach. Eine architektonische Struktur, die einen Innenraum umschliesst. Auch dies wird ein Ort, wo man zusammenkommen kann. Und ein Symbol für das Vergangene, das jetzt nach und nach durch Ersatzneubauten zerstört und transformiert wird. Dadurch geht auch ein Teil Geschichte verloren.

Übernimmt Kunst heute soziale Aufgaben?

Kunst hat sich verändert. Kunst bedeutet nicht mehr einfach, eine Skulptur hinzustellen, die das Publikum anschauen kommt. Sondern die Leute wirken beim Prozess mit, an dessen Ende ein physisches Kunstwerk entsteht. Sie werden Teil des Kunstwerks. Und das ist eine wichtige Erfahrung für Menschen, die manchmal aus sehr unterschiedlichen Kulturkreisen stammen, dass man über die Kunst zusammenkommen und sich darüber austauschen kann. 

In Los Angeles haben sich BewohnerInnen dagegen gewehrt, dass eine Galerie in ihr Quartier ziehen wollte, mit dem Wissen und der Begründung: Dann werden bei uns bald die Mieten steigen. KünstlerInnen werden als Stosstrupp und Anzeichen der Gentrifizierung wahrgenommen. Ist Ihnen solche Abwehr auch begegnet?

Nein. Es gab immer schon Kunstschaffende, die im Norden Zürichs gearbeitet haben. HR Giger war ein Künstler von Weltrang, der 40 Jahre lang in Seebach wohnte und arbeitete. Fischli/Weiss haben den speziellen Charakter von Agglomerationen schon in den 80er- und 90er-Jahren thematisiert und fotografische Langzeitstudien angefertigt. Walter Keller und Niklaus Wyss gründeten hier die Zeitschrift «Der Alltag». Der «DU»-Gründer, Schriftsteller und Zeichner Arnold Kübler gestaltete bereits in den 50er-Jahren ein wunderbares Büchlein mit Strassenszenen, in denen bereits zu sehen ist, dass es damals zwar nicht eine Gentrifizierung, aber ein grosses städtebauliches Projekt gab, mit dem die stark wachsende Stadt Zürich eine Gartenstadt schaffen und neue Lebensräume zur Verfügung stellen wollte. Es gab in Zürich-Nord schon immer Kunst und Kultur.

Alfredo Jaar, KULTUR = KAPITAL, 2016, Marktplatz Oerlikon, Zürich. © Pierluigi Macor / Stadt Zürich KiöR. Courtesy Alfredo Jaar und Grieder Contemporary, Küsnacht / Zürich.
Alfredo Jaar, KULTUR = KAPITAL, 2016, Marktplatz Oerlikon, Zürich. © Pierluigi Macor / Stadt Zürich KiöR. Courtesy Alfredo Jaar und Grieder Contemporary, Küsnacht / Zürich.

Ist es bei der Ausstellung «Neuer Norden Zürich» eigentlich wichtiger, dass Leute Kunst anders erfahren, oder dass BesucherInnen das Quartier anders erleben?

Es geht um beides. Und es entsteht eine Wechselwirkung zwischen diesen Aspekten. Momentan steht bei Kunst ja die Kontextbezogenheit im Zentrum und wir haben die Chance, die Kunst aus dem White Cube zu holen. Darum können wir auch bedeutende Künstler und Künstlerinnen zum Mitmachen bewegen. Zum Beispiel Alfredo Jaar, der mit der riesigen Leuchtschrift «Kultur=Kapital» auf dem Marktplatz Oerlikon einen Blickfang beisteuert. Um die durch solche Werke aufgeworfenen Fragestellung geht es bei der KiöR: Was können Kunst und Kultur zur Gesellschafts-Entwicklung beitragen? Kunst ist nicht Dekoration. An ihr werden wir in Zukunft rückblickend den spezifischen Diskurs dieser Gesellschaft zu Beginn des 21. Jahrhunderts ablesen können. Und wenn wir uns jetzt in einer extrem dynamischen städtebaulichen Entwicklung befinden, vergleichbar mit der Gründerzeit im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert, dann sind wir natürlich angehalten, bei der künstlerischen und kulturellen Entwicklung des öffentlichen Raumes und bei der Baukultur im engeren Sinn wichtige Akzente zu setzen, die auch längerfristig bedeutungsvoll bleiben. Werke wie «Kultur=Kapital» sind in diesem Zusammenhang ganz wichtige Merk- und Denkzeichen.

Miquel Barceló, GRAN ELEFANDRET, 2008, Paradeplatz Zürich. © Pierluigi Macor / Stadt Zürich KiöR («Neuer Norden Zürich»). Courtesy der Künstler und Tobias Mueller Modern Art, Zurich (in partnership with Bruno Bischofberger) Unterstützt von: Leonhard Fischer, Thomas Bock und Niklaus Kuenzler.
Miquel Barceló, GRAN ELEFANDRET, 2008, Paradeplatz Zürich. © Pierluigi Macor / Stadt Zürich KiöR («Neuer Norden Zürich»). Courtesy der Künstler und Tobias Mueller Modern Art, Zurich (in partnership with Bruno Bischofberger) Unterstützt von: Leonhard Fischer, Thomas Bock und Niklaus Kuenzler.

Wie bringen Sie die Leute nach Zürich-Nord und wie vermitteln Sie dem Publikum die Inhalte?

Zwei spektakuläre Werke in der Innenstadt lenken als Botschafter das Augenmerk auf die Ausstellung im Norden. Zum einen steht da der auf dem Rüssel balancierende bronzene Elefant von Miquel Barceló am Paradeplatz, und zum andern zieht beim Prime Tower ein dreieinhalb Meter langes Krokodil von Jean-Marie Appriou die Blicke auf sich. Und dann gibt es viele kostenlose Führungen vor Ort, Stadtpläne, Plakate und grosse Zeitungsbeilagen, mit denen wir auf die Ausstellung aufmerksam machen. Werke von fast vierzig Künstlerinnen und Künstlern warten darauf, entdeckt zu werden. Darunter rund zehn bereits bestehende Projekte der städtischen Fachstelle Kunst und Bau, zum Beispiel die faszinierenden Lichtspiele von Olafur Eliasson im Werkhof Zürich-Nord. Es gibt auch unbekanntes Terrain zu entdecken, etwa den Gustav-Amman-Park, ein Kleinod mit Kunst hinter der ehemaligen Oerlikon-Bührle-Fabrik. Und Menschen. Bei den Vorbereitungen sind wir auf Menschen mit Leidenschaft gestossen, auf Zürcherinnen und Zürcher, Oerlikerinnen und Oerliker, Seebacherinnen und Seebacher, Schwamendingerinnen und Schwamendinger, die sich vehement engagieren für ihre Umgebung und die Inhalte, wofür sie leben. Wir erlebten kaum Ablehnung, aber extrem viel Hilfsbereitschaft sowie Neugier.

Gespräch: Peter Schneider

Eröffnung: Freitag, 8. Juni 2018, 18 – 20 Uhr, Offene Rennbahn Oerlikon

Teilnehmende Künstlerinnen und Künstler

Jean-Marie Appriou, Frank and Patrik Riklin (Atelier für Sonderaufgaben), Baltensperger+Siepert, Miquel Barceló, Benedikte Bjerre, Katinka Bock, Tina Braegger, Stefan Burger, Los Carpinteros, Isabelle Cornaro, Paul Czerlitzki, Olafur Eliasson, Ruth Erdt, Fischli/Weiss, Annemie Fontana, HR Giger, John Giorno, Manaf Halbouni, Stella Hamberg, Raphael Hefti, Nic Hess, Gregor Hildebrandt, Irene & Christine Hohenbüchler, Alfredo Jaar, Daniel Knorr, Renée Levi, Rémy Markowitsch, Achim Mohné, Olivier Mosset, Yves Netzhammer, Peles Empire, Annaïk Lou Pitteloud, Alex Sadkowsky, Lin-May Saeed, Veronika Spierenburg, Jules Spinatsch, Bernhard Vogelsanger, Lawrence Weiner.

Kurator: Christoph Doswald

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