«Mit aufrichtiger Hochachtung» – Briefe aus dem Stadtarchiv Zürich
Medienmitteilung
Schweizer Archivtag am Samstag, 3. November 2012
Das Stadtarchiv Zürich präsentiert am vierten Schweizer Archivtag vom 3. November witzige, spannende und interessante Briefe aus seinen Beständen. Menschliches und allzu Menschliches aus privater und amtlicher Korrespondenz wird in Lesungen mit Graziella Rossi und Helmut Vogel, in einer Ausstellung und mit einer Werkstatt für Briefe vorgestellt. Fotografien aus dem Baugeschichtlichen Archiv der Stadt Zürich illustrieren die zu den Briefen gehörenden historischen Orte in der Stadt Zürich.
30. Oktober 2012
Warum beschwerte sich Richard Wagner in scharfem Ton beim Transportunternehmer Welti-Furrer? Wer ist «mein Struppi» und wer verbirgt sich hinter «meine liebe, hässliche Kröte»? Oder warum konnte Herr Meyer samstags im Hallenbad City seine Längen nicht ungehindert schwimmen? Verschiedenste Kategorien von Briefen, die das Stadtarchiv Zürich aufbewahrt, geben einen ganz persönlichen Einblick in amtliche und private Gepflogenheiten der jeweiligen Zeit. Viele Inhalte der Briefe beziehen sich zudem auf Orte in der Stadt Zürich, die im Baugeschichtlichen Archiv fotografisch dokumentiert sind. Anlässlich des Schweizer Archivtags präsentieren das Stadtarchiv Zürich und das Baugeschichtliche Archiv der Stadt Zürich Texte und Bilder zum Thema Briefe.
«Was die Lippen kaum zu stammeln wagen, das gestehn Briefe ohne Schüchternheit»
Immer wieder wird das Aussterben des Briefes prognostiziert. In einer zunehmend elektronischen Gesellschaft schreibt man eher eine E-Mail oder SMS. Unterdessen werden sogar sehr persönliche, brisante Themen in elektronischer Form abgehandelt, man denke da beispielsweise an Aufkündigung der Liebesbeziehung bis hin zur Beileidsbekundung. In diesem Sinne trifft das Zitat des deutschen Dichters Gottfried August Bürger oben im Zwischentitel wohl auch – oder immer mehr – auf elektronische Medien zu. Täglich werden Milliarden von Nachrichten übermittelt, und dazu zählen immer noch Millionen von Briefen, die geschrieben und gelesen werden.
Briefe als Medium – Briefe im Archiv
Sich mit Briefen zu befassen, heisst auch, sich mit dem Brief als Medium zu befassen: Ein Brief ist eine auf Papier festgehaltene Nachricht, die von einem Boten oder einer Botin übermittelt wird und eine für den Empfänger oder die Empfängerin gedachte persönliche Botschaft enthält. Aus Sicht der Geschichtswissenschaft ist nur der Privatbrief ein «Brief». Ist der Verfasser bzw. die Empfängerin eine Amtsperson oder eine Institution, dann gehört das Schriftstück zu den Urkunden oder Akten. Auch im Archiv wird diese Trennung gemacht, die nun aber für einmal ohne Belang sein soll. Im Stadtarchiv Zürich befinden sich die unterschiedlichsten Briefe, von amtlichen Schreiben, Gratulationen bis hin zu Liebes- oder Kinderbriefen. Sie bieten einerseits Einblicke in ganz persönliche Angelegenheiten verschiedener Zeitepochen, andererseits rücken sie die Alltagsgeschichte, die täglichen Freuden und Sorgen der Menschen ins Licht. Insofern bilden Briefe sowohl Menschliches als auch allzu Menschliches ab, indem sie uns an allen möglichen Gefühlsregungen teilhaben lassen.
Lesungen mit Graziella Rossi und Helmut Vogel
Briefe werden geschrieben und gelesen. Sie können jedoch auch vorgelesen werden, was einen ganz anderen Zugang zu diesem Medium erlaubt. Die Schauspielerin Graziella Rossi und der Schauspieler Helmut Vogel werden exklusiv für den Archivtag eine Auswahl der gezeigten Briefe in einer szenischen Lesung präsentieren. Dabei werden die Briefe und die Briefschreibenden räumlich verortet und die dazugehörigen historischen Fotos gezeigt, so dass sich Text, Ton und Bild gegenseitig ergänzen.
Ausstellung im Stadtarchiv
Die Ausstellung im Lesesaal des Stadtarchivs besteht aus drei Themenbereichen. Mitarbeitende des Stadtarchivs führen durch eine jeweils reiche Auswahl von Briefen zu den folgenden Schwerpunkten.
- «Tadeln, klagen, motzen» Zu beklagen gibt es offenbar Einiges in der Stadt Zürich, und dies tun beherzte Bürgerinnen und Bürger gleich bei den zuständigen Amtsstellen oder Mitgliedern des Stadtrats selbst. So findet man hier Beschwerden über «Hündeler», erotische Gesten in öffentlichen Anlagen und nackte Statuen. Doch nicht nur Beanstandungen an die öffentliche Adresse werden versandt, gestritten und gemotzt wird auch im Privaten: So zanken sich Nachbarn über die Abfallentsorgung und SchwimmerInnen darüber, wer im Hallenbad den Vortritt hat.
- «Wünschen, fordern, mahnen» So vielfältig die Menschen, so vielfältig die Wünsche: Während sich jemand nichts sehnlicher wünscht, als Stadtzürcher Bürger zu werden, wären andere froh um eine nächtliche Beleuchtung in den Zürcher Gassen. Die Stadt Zürich fordert während des Zweiten Weltkriegs eine ausreichende Schokoladenversorgung, ein Heimleiter hingegen ermahnt die Verwandten seiner Zöglinge, ihnen auf keinen Fall Süssigkeiten zukommen zu lassen.
- «Lieben, loben, erziehen» Ein Lob für die tolle Blumenbepflanzung am Schwamendingerplatz und eine löbliche Auszeichnung für die geleistete Arbeit in einem Handwerkerbrief stehen hier Liebesbezeugungen und gar einem Heiratsantrag gegenüber. Und ein Knabe berichtet beispielsweise, wie es geschehen konnte, dass er in der EPA sein ganzes Taschengeld ausgab.
Schreibwerkstatt – «Mein Brief in alle Ewigkeit»
Zusätzlich gibt das Stadtarchiv Zürich am Archivtag allen Besucherinnen und Besuchern die Möglichkeit, ihren eigenen Brief zu verfassen und ihn gleich vor Ort zu archivieren. Was wollten Sie schon immer mal loswerden? Wem wollten Sie insgeheim schon lange einmal schreiben? Die Briefe werden als Archivbestand im Stadtarchiv Zürich aufbewahrt. Die Werkstattteilnehmerinnen und -teilnehmer können somit schon zu Lebzeiten einen kleinen Nachlass für die Nachwelt erstellen.