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Sexualerziehung im Kleinkindalter von 0-5 Jahren

Ein Mensch, der seinen Körper von Anfang an als wertvoll erlebt, der Vertrauen in diesen aufgebaut hat, der von seinen Eltern angenommen wurde, der Sinnlichkeit und Zärtlichkeit erfahren durfte, wird Sexualität später anders erleben als einer, der kaum positive Körpererfahrungen gemacht hat, beschämt oder abgelehnt wurde.

Das erste Lebensjahr

Babys machen über ihren Körper von Anfang an lustvoll-sinnliche Erfahrungen, beispielsweise über den Hautkontakt mit Bezugspersonen, beim Baden, Schmusen, Gehaltenwerden und dem Stillen.

Aus wissenschaftlichen Untersuchungen ist bekannt, dass Kinder auf Mangel an Reizen, körperlicher Zuwendung und Zärtlichkeit seitens Bezugspersonen mit Entwicklungsverzögerungen reagieren können.

Lassen Sie Ihr Kind seinen Körper und seine Sinne erleben. Streicheln, kitzeln, massieren, liebkosen und knuddeln Sie Ihren Sohn oder Ihre Tochter, baden Sie Ihr Kind, massieren Sie es und benennen Sie die Körperteile, auch die Genitalien.

Lassen Sie Ihr Kind bei der täglichen Pflege nackt sein und es dadurch seinen Körper spüren. Mit zunehmendem Alter wird es in solchen Phasen selbst seinen ganzen Körper erkunden und sich auch an den Geschlechtsorganen berühren. Solche Berührungen der Genitalien sind notwendig und gehören genauso dazu wie das Betasten der Nase oder der Zehen.

Bei Jungen im Neugeborenen- und Säuglingsalter lassen sich bereits Erektionen beobachten und auch bei Mädchen kann es schon in diesem Alter zu einem Anschwellen der Klitoris kommen. Dies sind natürliche und spontane Körperreaktionen.

Behandeln Sie bei der täglichen Pflege die Geschlechtsorgane Ihres Kindes respektvoll und gleich wie andere Körperteile auch. Wenn Sie es dabei behutsam am Penis oder an der Vulva berühren, können Sie seine Geschlechtsteile gleichzeitig auch benennen. 

Das zweite Lebensjahr

In diesem Alter registrieren Kleinkinder, dass es zwischen den Geschlechtern anatomische Unterschiede gibt. Sie können neugierig und darauf erpicht sein, die Eltern oder Geschwister auf die Toilette zu begleiten und Ihnen beim Verrichten ihres Geschäftes zuzuschauen.

Bereits im ersten Lebensjahr beginnen manche Buben vergnügt mit ihrem Penis zu spielen und können sich ab dem zweiten Lebensjahr sogar absichtlich selbst befriedigen. Damit verschaffen sie sich lustvolle und angenehme Gefühle. Bei Mädchen steht die direkte manuelle Stimulation der Klitoris nicht im Zentrum. Sie erleben Lustgefühle indirekt, zum Beispiel beim Schaukeln, durch rhythmisches Zusammenziehen der Oberschenkel oder durch intensives Berühren des gesamten Genitalbereichs.

Diese Handlungen sind zwar sexuell, haben aber nur bedingt etwas gemeinsam mit dem, was Erwachsene unter Selbstbefriedigung verstehen. Die Kleinen folgen zwar auch ihrer Lust und tun, was sich gut anfühlt, jedoch ohne die Gedanken oder Fantasien, die viele Erwachsene dazu haben. Hindern Sie Ihr Kind nicht daran, diese Erfahrung zu machen. Lassen Sie sie zu, auch wenn Sie sein Verhalten anfänglich vielleicht verunsichert oder gar ängstigt oder Ihre eigne Haltung gegenüber Selbstbefriedigung ambivalent ist. Versuchen Sie, das Verhalten Ihres Kindes primär als notwendig für seine Entwicklung und nicht als sexuelle Handlung zu sehen. Wenn Sie mögen, dürfen Sie sein Tun sogar liebevoll benennen, genauso wie Sie dies auch bei anderen Handlungen tun.

Entgegen einer weit verbreiteten Meinung ist nicht das Vorhandensein, sondern das Fehlen von sexuellen Spielereien im Kindesalter ein schlechtes Zeichen.

Wenn Sie im ersten Lebensjahr Ihres Kindes nur Namen haben für Penis und Scheide, ist das ausreichend. Danach dürfen Sie aber ruhig auch beginnen, einzelne Teile genauer zu bezeichnen. Also Beispielsweise die Schamlippen und die Klitoris bei Mädchen, die Eichel und den Hodensack bei Buben oder den After bei beiden. Da diese Körperteile bei der täglichen Hygiene sowieso mehrmals in den Fokus kommen, empfehlen wir Ihnen, sie dabei gleich zu benennen. Welche Bezeichnungen und Begriffe Sie verwenden wollen, bleibt Ihnen überlassen. Sie dürfen sich bei der Wahl ruhig an Ihrem Gefühl orientieren. 

Das dritte Lebensjahr

Zwei Kinder beim Doktorspiel

Kinder zwischen zwei und drei Jahren zeigen oft ein ausgeprägtes Experimentierverhalten und grosse Neugier. «Warum?» ist eine zentrale Frage, auch im Zusammenhang mit dem Thema Sexualität. Achten Sei darauf, dass Sie nicht nur technische Aspekte der Sexualität erläutern und einzig das «wie» im Blick haben. Erzählen Sie Ihrem Kind auch etwas über Gefühle, die Menschen verbinden und die sie beim Sex haben, bei der Zeugung, aber auch sonst füreinander empfinden. Und erklären Sie ihm, dass Menschen nicht nur Geschlechtsverkehr haben und zusammen schlafen, wenn sie ein Kind zeugen wollen, sondern auch einfach, weil sie Lust auf körperliche Nähe und Zusammensein haben. Da Ihr Kind aus eigener Erfahrung wahrscheinlich bereits weiss, wie angenehm Berührungen und Streicheln sein können, wird es Ihre Aussagen für sich einordnen können.

Grundsätzlich dürfen Sie davon ausgehen, dass ein Kind mit einer Antwort umgehen kann, die seiner Frage angemessen und altersentsprechend formuliert ist.

In dieser Zeit und auch später ist es möglich, dass Ihr Kind immer wieder in Rollen des anderen Geschlechts schlüpft und mit diesen experimentiert. Vielleicht verkleidet sich Ihr Sohn gern als Frau und lackiert sich dabei Finger- und Zehennägel. Oder Ihre Tochter spielt einen wilden Cowboy. Mädchen erhalten hierbei oft Unterstützung, weil jungenhaftes Verhalten von vielen Erziehenden als Bereicherung der weiblichen Geschlechterrolle angesehen wird. Buben jedoch werden oft zurechtgewiesen. Dies weist einerseits darauf hin, dass die weibliche Rolle in unserer Gesellschaft immer noch nicht gleichwertig neben der männlichen steht, andererseits kann dies auch als Hinweis auf eine tief verwurzelte Homophobie gewertet werden. Denn obwohl solche Phasen meist wieder vorbeigehen, machen sich manche Eltern Sorgen, weil sie befürchten, dass die Verhaltensweise ihres Sohnes ein erstes Anzeichen von Homosexualität sein könnte.

Sicher ist: Die Richtung der sexuellen Gefühle lässt sich weder durch Erziehung noch durch Sozialisation beeinflussen.

Besser als die Experimentierfreude eines Kindes aufgrund von eigenen diffusen Ängsten unnötig einzuschränken, ist es, wenn besorgte Eltern sich mit den eigenen Vorurteilen auseinandersetzen.

Ein Nein Ihres Kindes im Zusammenhang mit unerwünschtem Körperkontakten sollten Sie immer akzeptieren. Zwingen Sie ihr Kind also nicht dazu, jemanden zu umarmen, zu küssen, sich halten oder tragen zu lassen, wenn es dies nicht will. Dabei ist es egal, ob es sich bei der Person um die Grossmutter, den Götti, die Schwester oder jemand anderen handelt. Und natürlich gilt dies auch für Mütter, Väter und andere Bezugspersonen. Durch Ihren Respekt wird es lernen, dass es ernstgenommen wird, dass es die Möglichkeit hat, eine eigene Meinung zu haben, diese zu äussern und sich von den Bedürfnissen anderer Menschen abzugrenzen. Dies ist eine wichtige Voraussetzung, um sich vor Grenzverletzungen, sexuellen Übergriffen und sexueller Gewalt zu schützen. 

Das vierte und fünfte Lebensjahr

Nun beginnt definitiv die Zeit, in der sich Ihr Kind immer weiter vom häuslichen Umfeld entfernt. Das Bedürfnis, sich mit anderen Kindern zu treffen und Freundschaften zu pflegen, nimmt zu. Für Mütter und Väter wird deshalb zunehmend das bewusste Loslassen des Kindes ein Thema. Durch das Spiel und den Kontakt mit anderen lernt Ihr Kind nämlich, sich in eine Gruppe einzuordnen, Rücksicht zu nehmen oder sich an bestimmte Regeln zu halten. Dabei lernt das Kind aber auch, sich durchzusetzen und im Vergleich mit anderen Kindern seine eigenen körperlichen und sozialen Fähigkeiten realistisch einzuschätzen. Durch all diese Erfahrungen und Erlebnisse wird der Boden bereitet, auf dem nachfolgende Beziehungen aufbauen.

Selbstbefriedigung immer noch und immer wieder

Vielleicht beginnt Ihr Kind jetzt zu entdecken, dass es sich selbst durch das Berühren der Geschlechtsorgane angenehme Gefühle verschaffen kann. Diese Entdeckung kann dazu führen, dass es sich in einer Art Euphorie über einige Zeit sehr häufig berührt, streichelt oder reibt, auch in Gegenwart von Erwachsenen und anderen Kindern. Ein Kind kann so mit sich selbst und seiner Lust beschäftigt sein, dass es die Welt um sich herum vergisst. Vielleicht fragen Sie sich als Eltern oder Bezugspersonen, wie Sie mit diesem Verhalten umgehen sollen? Machen Sie Ihrem Kind verständlich, dass es manchen Menschen unangenehm ist, zu sehen, wie es sich selber berührt. Bitten Sie Ihren Sohn oder Ihre Tochter darum, die Stimulation an den Geschlechtsorganen zu unterlassen, wenn Sie Besuch haben oder sich in der Öffentlichkeit aufhalten. Erklären Sie ihm bzw. ihr, dass es dafür Orte gibt, an denen dies möglich ist, ohne andere Menschen zu behelligen, zum Beispiel im eigenen Zimmer. Wahrscheinlich wird es etwas Zeit brauchen, bis ihm dies ganz gelingt. Haben Sie also Geduld. Und vermitteln Sie Ihrem Kind, dass es Ihnen nicht darum geht, sein Verhalten zu unterbinden, sondern diesem einen geeigneten Rahmen zu geben und gleichzeitig die moralischen Grenzen anderer Menschen zu respektieren.

Doktorspiele

Das Vergleichen und Erforschen der Geschlechtsorgane und die Lust, damit zu experimentieren, nimmt eine neue Form an, indem Kinder beginnen, Doktorspiele zu spielen.

Die Motivation der Kinder, ihre Körper gegenseitig zu untersuchen, entsteht meist aus kindlicher Neugier. Aber auch der individuelle Lustgewinn und sexuelle Erregung können dabei bereits eine Rolle spielen. Beim «Dökterle» ziehen sich Kinder gerne zurück und suchen einen Ort auf, wo sie vor den Blicken der Erwachsenen geschützt sind. Es kann, muss aber nicht so sein, dass das Untersuchen und Erkunden der Geschlechtsorgane die Hauptgründe für Doktorspiele sind. Diese können auch mit dem spielerischen Untersuchen der Zunge sowie Ohren beginnen. Und über das Abklopfen der Brust oder mit dem Anlegen eines Verbandes eher zufällig bei den Genitalien enden. Neben solchen Untersuchungen imitieren Kinder manchmal auch Geschlechtsverkehr. Dabei handelt es sich in der Regel um das Nachahmen von Verhalten, das die Kinder irgendwo gesehen haben, vom Hörensagen kennen oder um gespielte Phantasievorstellungen.

Rahmenbedingungen für Sie als Bezugspersonen und die Sie mit den Kindern besprechen sollten:

  • Erwachsene haben bei Doktorspielen nichts zu suchen, weder als Zuschauer noch als Mitspieler.
  • Gemeinsam den Körper entdecken darf man nur mit einem Kind, das ungefähr gleich alt ist. (Offensichtliche Ungleichgewichte bezüglich körperlicher und geistiger Kraftverhältnisse, die zu eindeutigen Machtgefällen unter den Kindern und in der Gruppe führen, sollen vermieden werden).
  • Beide Kinder müssen die ganze Zeit mit allem einverstanden sein. Es ist wichtig, immer zuerst zu fragen, bevor man etwas macht.
  • Kein Kind darf einem anderen Kind Schmerzen zufügen.
  • Wenn jemand aufhören möchte, wird sofort gestoppt.
  • Es werden keine Gegenstände, Spielzeuge oder Körperteile in Körperöffnungen gesteckt.
  • Es ist nicht okay, wenn das eine Kind vom anderen verlangt, dass es niemandem über die Spiele erzählt. Jedes Kind soll für sich selber entscheiden, ob es darüber erzählen möchte oder nicht.

Oft ist es die Phantasie der Erwachsenen, die aus den Doktorspielen etwas macht, was es für Kinder nicht ist.

Quelle: Kinderschutz Schweiz/Mütter- und Väterberatung Schweiz aus der Broschüre Sexualerziehung bei Kleinkindern und Prävention von sexueller Gewalt 2009 / Buch: Ist das Okay? Agota Lavoyer / Anna-Lina Balke

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