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«Persönliche Begegnungen halten jedes Mal Überraschendes und Bereicherndes bereit.»

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Bruno Zweifel, seit September 2019 einer der beiden Praktikanten bei der Fachstelle Freiwilligenarbeit, berichtet aus seinem Arbeitsalltag.

24. August 2020

Die Fachstelle Freiwilligenarbeit der AOZ koordiniert das vielfältige Engagement von hier ansässigen Menschen für Personen mit Fluchthintergrund: Freiwillige unterstützen geflüchtete Menschen in einer Einzelbegleitung (Tandem) oder mit einem Einsatz in einem Gruppenangebot wie z.B. Deutschkurse, diverse Aktivitäten mit Kindern oder Erwachsenen, Aufgabenhilfe für Jugendliche etc. Welche Besonderheiten bringt die Arbeit bei der Fachstelle Freiwilligenarbeit mit sich? Bruno Zweifel, seit September 2019 einer der beiden Praktikanten bei der Fachstelle Freiwilligenarbeit, berichtet aus seinem Arbeitsalltag.

Vermitteln, koordinieren

Mein Arbeitsalltag besteht zu einem grossen Teil aus dem Koordinieren und Vermitteln von Einsätzen zwischen Freiwilligen und geflüchteten Menschen. Fachleute aus der AOZ oder anderen Organisationen machen die Geflüchteten auf das Angebot der Fachstelle Freiwilligenarbeit aufmerksam. Sie eruieren den Wunsch ihrer Klient/innen nach persönlicher Unterstützung, sei es in sprachlichen, familiären, beruflichen oder anderen Bereichen, und melden diese online an. Jetzt gilt es für uns, mit den Geflüchteten Kontakt aufzunehmen und eine passende freiwillige Begleitung zu vermitteln.

Einen ersten Eindruck der interessierten freiwilligen Personen erhalten wir beim Lesen ihrer Anmeldung via Onlineplattform. Es melden sich Menschen mit den unterschiedlichsten Hintergründen, was Alter, Ausbildung und Herkunft betrifft: Maturand/innen, die ihre Prüfung abgelegt haben und ein Zwischenjahr einlegen, Studierende mit sehr flexiblen Zeitplänen, die neben ihrem Studium noch einer sozialen Tätigkeit nachgehen möchten, Vollzeitbeschäftigte aus den unterschiedlichsten Branchen, die sich in ihrer Freizeit persönlich engagieren möchten, und immer wieder Pensionierte, die nun viel Zeit zur freien Verfügung haben. Überhaupt ist einer der meistgenannten Gründe für die Aufnahme eines freiwilligen Engagements der Wunsch, «einer sinnvollen Tätigkeit nachzugehen».

In Bezug darauf faszinieren mich Anfragen von Mitarbeitenden grosser in Zürich ansässiger Finanzunternehmen. Nicht selten beschäftigen sich Kundenberater/innen und Vermögensverwalter/innen in solchen Unternehmen mit enormen Geldsummen, vermissen dabei aber offensichtlich das Zwischenmenschliche und den Realitätsbezug während ihrer Arbeit. Der Kontrast zur Lebensrealität Geflüchteter könnte hier nicht grösser sein. Und doch können sich Menschen in solch unterschiedlichen Lebenssituationen finden und voneinander lernen – wie das folgende Beispiel einer 1:1-Begleitung zeigt.

Das Potential Freiwilliger erkennen

Eindrücklich in Erinnerung geblieben ist mir die Begegnung mit einem jungen Bankangestellten. Schon in seiner Anmeldung erwähnte er, dass er früher bereits im familiären Umfeld mit aus Afrika geflüchteten Personen zu tun hatte. Im persönlichen Gespräch dann erzählte er ausführlicher: Nach der Arbeit habe er den Geflüchteten beim Deutschlernen, bei den Hausaufgaben oder bei der Wohnungssuche unterstützt und dabei viel über deren Lebensumstände und Herausforderungen erfahren. Dies sei noch vor seinem geisteswissenschaftlichen Studium gewesen, welches ihm nun ebenfalls helfe, die komplexen Zusammenhänge von Flucht und Asyl zu verstehen. Er brachte also einiges an Vorwissen, Fähigkeiten und Interesse für die Begleitung mit. Sein Erscheinungsbild und sein sozialer Umgang wirkten auf mich sehr formal – mit Anzug und Krawatte war er direkt aus einem Meeting zum Gespräch erschienen und artikulierte sich ausgesprochen eloquent. Wer würde zu ihm passen?

Am ehesten wohl ein junger Mann, der etwa eine Lehre absolviert, zielstrebig und zu Randzeiten verfügbar ist. Ich entschied mich für einen 21-jährigen Eritreer, der gerade eine EFZ-Lehre als Fachmann Betriebsunterhalt begonnen hatte. Er war vor einigen Jahren alleine in die Schweiz gekommen und hatte daher niemanden, der ihn bei den Herausforderungen der Berufsschule hätte unterstützen können.

Im ersten Moment sah ich einen grossen Gegensatz zwischen der Lebensrealität des Freiwilligen und der des Geflüchteten. Nicht, dass dieser keinen vergleichbar umfassenden Wortschatz in seiner eigenen Sprache gehabt hätte. Doch hatte ich Bedenken, ob die zukünftigen Tandempartner auch auf persönlicher Ebene zusammenfinden würden: Hier der angehende Hauswart, dort der eloquente Banker im Anzug. Eine Sorge, die sich im Nachhinein als vollkommen unbegründet herausstellte. Selten habe ich eine freiwillige Person so natürlich und direkt auf eine ihr noch unbekannte Person mit Fluchthintergrund zugehen sehen. Die beiden verstanden sich auf Anhieb hervorragend. Die Begleitung lief problemlos an und zu dem zunächst auf Aufgabenhilfe festgelegten Begleitinhalt kamen sehr bald gemeinsame Ausflüge und Behördengänge hinzu. Selbst nachdem der Freiwillige berufsbedingt die Schweiz verlassen hatte, hielten die beiden den Kontakt aufrecht.

Herausforderungen

Der erste Eindruck mag also trügerisch sein. Unsere Aufgabe ist es, in den Gesprächen herauszufinden, ob und für welche Begleitung unser Gegenüber geeignet und bereit ist. Wie gross ist die zeitliche Kapazität der interessierten freiwilligen Person? Welche Fähigkeiten bringt sie mit und in welchen Bereichen würde sie gerne einen Freiwilligeneinsatz leisten? Ganz zentral dabei ist auch die Motivation der Freiwilligen. Weshalb möchte sich die Person engagieren? Da die Beweggründe für einen Einsatz unweigerlich mit bestimmten Erwartungen verbunden sind, beeinflussen die individuellen Motive die nachfolgende Begleitung massgeblich.

Gleiche Abläufe, doch immer wieder Überraschendes

Viele der Freiwilligen arbeiten oder studieren und auch die allermeisten der Geflüchteten besuchen tagsüber Deutschkurse oder bestreiten eine Lehre oder Erwerbstätigkeit. Gemeinsame Zeitfenster für gemeinsame Treffen zu finden ist oft eine Herausforderung für die Tandempartner/innen. Das bedeutet auch für uns bei der Fachstelle Freiwilligenarbeit, dass die meisten der Erst- und Vermittlungsgespräche zu Randzeiten, vor allem am späten Nachmittag, stattfinden.

Dies lässt mir genügend Zeit, um mich vormittags auf die Gespräche vorzubereiten, wenn nötig Rücksprache mit den Sozialberatenden zu nehmen und die Termine mit den Geflüchteten und Freiwilligen zu koordinieren. Auch unsere wöchentlichen Teamsitzungen sind in den Morgenstunden angesetzt. Fortlaufend bzw. je nach Bedarf kommt die Unterstützung der aktiven Freiwilligen via Mail oder Telefon und die Beantwortung von internen und externen Anfragen hinzu. So auch die Vorbereitung für die regelmässigen Einführungs- und Weiterbildungsveranstaltungen, die einmal monatlich abends im grossen Kursraum bei uns stattfinden.

Während des Shutdowns, in den Monaten März und April, stellten wir unsere Vermittlungsarbeit vorrübergehend ein. Im Homeoffice überarbeiteten wir unsere Merkblätter und Tippsammlungen, gestalteten Prozesse neu, planten das nächste Jahr und hielten den persönlichen Kontakt zu den Freiwilligen  aufrecht. Unterdessen gestalten sich meine Arbeitstage bei der Fachstelle Freiwilligenarbeit wieder im gewohnten Rhythmus. Die persönlichen Begegnungen aber halten erneut jedes Mal Überraschendes und Bereicherndes bereit.