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Die «Langstreckenläufer» der AOZ

Unterschiedliche Kulturen. Unterschiedliche Sprachen. Ungewisse Zukunft. Das Konfliktpotenzial in Bundesasylzentren (BAZ) ist allein deswegen gegeben. Dem wirken seit gut zwei Jahren die sogenannten KPB entgegen: Konfliktpräventions-Betreuer*innen. Für ihr Engagement erhalten sie viel Wertschätzung und Dankbarkeit – aber manchmal auch ernsthafte Drohungen gegen Leib und Leben.

Roger Altherr, Teamleiter Konfliktprävention im Bundesasylzentrum Kreuzlingen.

Sie laufen und laufen und laufen: die Konfliktpräventions-Betreuer*innen (KPBs) in den Bundesasylzentren (BAZ). Ihr Job ist kein Kurzstreckenlauf, sondern ein Marathon. Denn Konflikte können sich jederzeit und überall anbahnen. Die sicht- und spürbare Präsenz der KPBs ist deshalb entscheidend für den Erfolg ihrer Arbeit. Sie sind überall da zu finden, wo sich Klient*innen aufhalten: Bei der Essensausgabe, am Kiosk, bei der Ausgabe von Medikamenten oder der Auszahlung des Taschengelds – oder auch beim gemeinsamen Fussballspiel mit den Klient*innen. Bei dem Job geht es aber längst nicht nur um’s Aufpassen und Beschwichtigen. «Wir sind für die Bewohner*innen auch eine Anlaufstelle, zu der sie kommen können, wenn es ihnen nicht gut geht», sagt Roger Altherr, Teamleiter Konfliktprävention im Bundesasylzentrum Kreuzlingen. Und das ist vielleicht der wichtigste Pfeiler der Prävention. 

«Probleme von vornherein vermeiden»

Die Konfliktprävention beginnt schon am Tag des Eintritts. «Wir erklären den neuen Bewohner*innen die Hausordnung und vermitteln ihnen die Regeln des Zusammenlebens», sagt Roger Altherr. Ausserdem teilt das KPB-Team die Zimmer zu. Geflüchtete mit gleicher Herkunft werden wenn möglich zusammen untergebracht. Zwischen Menschen, die in der Heimat unterschiedlichen Konfliktparteien angehören, soll möglichst viel Abstand geschaffen werden. «Viele Probleme können wir so schon von vornherein vermeiden.» 

Weniger Gewalt durch Konfliktprävention

Vor gut zwei Jahren hat das Staatssekretariat für Migration (SEM) die Konfliktprävention in allen Bundesasylzentren eingeführt. Ein echter Kulturwandel. Bis anhin wurden Konfliktsituationen reaktiv gehandhabt. Verantwortlich war das Sicherheitspersonal: Sobald es zum Zwischenfall kam, intervenierten die Mitarbeitenden der Sicherheit. Heute setzt man schon früher an. Die KPB sind darauf trainiert, die Situation zu entschärfen, bevor sie eskaliert – zumindest so lange keine Gewalt im Spiel ist. Sie sind permanent mit den Bewohner*innen in Kontakt, sie kennen ihre Pappenheimer. Sie werden als Vertrauenspersonen wahrgenommen, von den meisten Klient*innen auch sehr geschätzt. Nah dran am Geschehen, erkennen die KPB Konfliktpotenzial frühzeitig und können in vielen Fällen deeskalieren. Fängt ein Klient an zu schreien, bitten ihn die KPB in einen Raum, um das Problem zu besprechen. Früher mussten Personen, die laut wurden und aggressiv auftraten, nicht selten von den Mitarbeitenden der Sicherheit im Polizeigriff fixiert zur Loge gebracht werden, um eine weitere Eskalation zu verhindern. Heute ist das in vielen Fällen nicht mehr nötig. Häufig können die KPB die Situation beruhigen. Noch immer muss das Sicherheitspersonal in gewissen Situationen einschreiten, weil es gefährlich wird oder tatsächlich eskaliert. Mal häufiger, mal seltener – unter dem Strich aber nicht mehr annähernd so oft wie früher. «Es ist viel ruhiger geworden», bestätigt auch Rainer Timme, Stabsmitarbeiter Betreuung Bundeasylzentren (BEB). Die KPB könnten allerdings kein Ersatz für die Mitarbeitenden der Sicherheit sein. Sie sind eine Ergänzung. Das Zusammenspiel funktionierte in der Regel gut. Und auch Roger Altherr sagt: «Wir sind froh, dass die Kolleg*innen von der Sicherheit da sind.»   

Nichtsdestotrotz ist der Job als KPB nichts für schwache Nerven. Viele Menschen auf beschränktem Raum, eine neue Kultur mit neuen Regeln und Erwartungen – und natürlich die eigenen, oft hohen Erwartungen. Das potentielle Konfliktpotenzial bleibt hoch. Doch Roger Altherr stellt klar: «Es sind aber immer nur einige wenige, die uns beschäftigen. Der grösste Teil der Bewohner*innen ist ruhig und bemüht sich sehr, sich anzupassen.» 

«Meist leere Drohungen»

Die «einigen wenigen» reichen jedoch schon aus, um das Team vor gewaltige Herausforderungen zu stellen. Roger Altherr erinnert sich an ein einschneidendes Erlebnis kurz nach seinem Start als KPB bei der AOZ: Einige Männer hatten trotz mehrerer Gespräche immer wieder im Zimmer geraucht und gekifft. «Als ich ihnen mitteilen wollte, dass sie das BAZ für einige Zeit verlassen müssen, wurde ich mit Drohungen gegen Leib und Leben konfrontiert. Das hat mich anfangs erschüttert.» Inzwischen sieht er es erstaunlich gelassen. So etwas komme halt immer mal wieder vor. Damit müsse man umgehen können. In den Konfliktpräventions-Schulungen der AOZ werden die KPB auf solche Situationen vorbereitet. Aber auch die Gespräche im Team helfen, damit umzugehen. Und die Erfahrung. «Man lernt, Situationen richtig einzuschätzen. In den meisten Fällen sind es leere Drohungen», erzählt Roger Altherr. Im Zweifelsfall könne man sich nach der Arbeit ein Stück weit vom Sicherheitsdienst begleiten lassen. Das sei aber nur in absoluten Ausnahmefällen notwendig. Einmal habe Roger Altherr dieses Angebot bisher in Anspruch genommen. Sicher ist sicher. Zu einem «ernsthaften Vorfall» sei es seither in Kreuzlingen noch nie gekommen.

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