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Eröffnung des ersten MCS-Mietwohnhauses in Zürich-Leimbach

Medienmitteilung

Zusammenarbeit von Stadt und Baugenossenschaften ermöglicht Pionierbau

In diesen Tagen wird das europaweit erste Mietwohnhaus für eine breitere Gruppe von Menschen mit Multipler Chemikalien-Unverträglichkeit (MCS) in Zürich-Leimbach fertig gestellt. Fast alles an diesem Haus ist aussergewöhnlich: die Bauweise, der Einbezug MCS-Betroffener in die Wahl der Baustoffe, die Art der Vermietung, die wissenschaftliche Begleitung, die breite Finanzierung und die Solidarität. Die fünfzehn Wohnungen erfüllen höchste bauökologische und elektrobiologische Anforderungen. Sie sind auf 1. Dezember 2013 bezugsbereit.

21. Oktober 2013

MCS-betroffene Menschen reagieren höchst sensitiv schon auf geringe Mengen von Chemikalien und leiden an einer mit Dauergrippe vergleichbaren Form von Krankheit. Folge dieses Leidens sind unregelmässiges Arbeitsvermögen, soziale Isolation, geringe Chancen, auf dem Wohnungsmarkt eine verträgliche und bezahlbare Wohnung zu finden. Auf rund 5000 wird die Zahl MCS-Erkrankter in der Schweiz geschätzt. Das Krankheitsbild ist international zwar gut belegt, die Krankheit selber aber schulmedizinisch in der Schweiz nicht anerkannt. Betroffene, Ärzte und Bauexperten gründeten 2008 die Wohnbaugenossenschaft Gesundes Wohnen MCS und verwandelten passives Erleiden in kreatives Handeln. Die Stadt gab der jungen Baugenossenschaft ein gründlich auf Immissionsarmut geprüftes Grundstück am Rebenweg (1214 m2) im Baurecht ab und setzte damit den Rahmen für einen Studienauftrag. 2010 erkor die breit abgestützte Jury das Projekt von Andreas Zimmermann Architekten / Büro für Umweltchemie WT Partner AG als Sieger. Der Neubau, welcher sich in Grundriss und Schnitt optimal in das Grundstück einpasst, ist nun fertig gestellt. Er zeichnet sich durch eine sehr gute Wirtschaftlichkeit mit maximaler Ausnützung, konzentrierten Installationskernen mit der Haustechnik und niedrigem Energieverbrauch aus. Die Nettowohnflächen der fünfzehn Wohnungen erfüllen exakt die Minimalanforderungen der Wohnbauförderung, damit als Soforthilfe eine möglichst grosse Anzahl von Wohnungen für Betroffene bereitgestellt werden kann.

Oberstes Gebot: Möglichst emissionsfrei

Möglichst emissionsfrei – dies ist von der Architektur und Konstruktion über die Materialisierung und den Bauprozess bis zum Bewohnen des Hauses oberstes Gebot. Jede Wohnung verfügt über einen spezifisch für die Bedürfnisse Umweltkranker zonierten Grundriss. Die Wohnungen werden immer reiner und weniger reizstoffbelastet, je weiter man in die Wohnung gelangt. Der Zutritt erfolgt über einen inneren Erschliessungskern, zu welchem Schleusen mit Garderobe und Waschmaschine gehören. Dort können sich MCS-Betroffene von belastenden Substanzen wie Staub, Duftstoffen und Umweltgiften reinigen. Die Schlaf- und Wohnzimmer als äusserste Schale an der Fassade werden so zu Räumen, in denen sich die Bewohnenden von Belastungen durch Umweltchemikalien erholen können.

Von Beginn an unterzog das Büro für Umweltchemie alle infrage kommenden Baumaterialien ausführlichen Materialtests, in die nach einer Vorauswahl auch MCS-Betroffene zur Unbedenklichkeitsprüfung einbezogen waren. Überraschendes Resultat: Da MCS-Betroffene auf organische Materialien empfindlich reagieren, erhielten die bei Baubiologen verpönten Kunststofffenster gegenüber Holzrahmen ein sehr gutes Rating. Weiter kamen im Innenraum keramische Plattenbeläge und für die Wände ein Kalkzementputz zum Einsatz. Grosse Aufmerksamkeit galt der Minimierung elektromagnetischer Felder. So wurden die sensiblen Wohn- und Schlafräume in Glasfaser-Stabarmierung ausgeführt, ein Novum im mehrgeschossigen Wohnungsbau. Ein gewinnbringendes Zusammenspiel hoch technisierter Produkte und traditioneller Materialien zeigt sich im perlitgefüllten Backstein, der Statik, Wärmedämmung und Schutz vor elektromagnetischen Wellen vereinigt. Die Qualitätssicherung auf der Baustelle erforderte eine Schulung aller Handwerker zugunsten eines konsequenten Verzichts auf Schäume, Lösemittel und Zusatzstoffe, auf Trennscheiben, Winkelscheiben und auf Schweissen.

Hausordnung

Im Alltag der Bewohnerschaft gilt nach Bezug eine detaillierte Hausordnung. Oberster Grundsatz ist gegenseitige Rücksichtnahme und Toleranz. Zu den Regeln des Zusammenlebens gehört, dass u. a. Rauchen, Verwenden von Duftstoffen und Chemikalien, Handys, WLAN und schnurlose (DECT-)Telefone verboten sind.

Finanzierung

Die planerischen und baulichen Anforderungen dieses Pilotprojekts verteuerten den Bauprozess. Die kantonale Fachstelle Wohnbauförderung bewilligte deshalb eine Kostenüberschreitung gemäss Wohnbauförderung um 20 Prozent. Das ermöglichte es, einen grossen Anteil der Wohnungen zu subventionieren. Dank zinsgünstiger oder zinsfreier Finanzierung und dank solidarischer Zeichnung von Anteilscheinen durch Zürcher Wohnbaugenossenschaften, dem Fonds de Roulement des Bundes, einer Anleihe bei der Emissionszentrale EGW und dem Solidaritätsfonds des Verbandes sowie von Spenden ist das Ziel erschwinglicher Mieten für MCS-Betroffene trotz hoher Planungs- und Baukosten erreicht worden.

Vermietung

Vermietet wird das Haus an Menschen, die ihre MCS-Betroffenheit mit einem Arztzeugnis bestätigen und sich dazu verpflichten, an einer wissenschaftlichen Begleitstudie teilzunehmen. Das bedeutet insbesondere, dass sie bereit sind, einen umfangreichen Fragebogen zum Krankheitsbild und Gesundheitszustand auszufüllen und sich an Nachevaluationen zu beteiligen. Die Studie wird vom Institut für Sozial- und Präventivmedizin der Universität Bern geleitet und vom Bundesamt für Wohnungswesen finanziert. Alle Angaben der Studienteilnehmenden werden vertraulich behandelt. Bei der Mieterauswahl haben MCS-Betroffene in bescheidenen finanziellen Verhältnissen Vorrang.