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Seit Januar 2022 markant weniger Geburten

Im Jahr 2022 wurden 4538 Babys mit Wohnsitz in der Stadt Zürich geboren. Das sind 14 Prozent weniger als im Vorjahr. Seit Januar 2022 liegt die Fertilitätsrate – die Anzahl Neugeborener pro Frau im Alter von 15 bis 49 Jahren – deutlich tiefer als zuvor. Die Fertilitätsrate war über verschiedene Altersklassen hinweg im Jahr 2022 klar geringer als zuvor. (14. Februar 2023 – Klemens Rosin)

Im Jahr 2000 wurden etwa 3600 Babys mit Wohnsitz in der Stadt Zürich geboren (Grafik 1). Bis 2015 nahm die Geburtenzahl stark zu. Dieser Stadtzürcher Babyboom hatte zwei Ursachen: Zum einen wohnten mehr 15- bis 49-jährige Frauen in der Stadt, und zum anderen wurden pro Frau dieser Altersklasse mehr Kinder geboren – die sogenannte Fertilitätsrate nahm deutlich zu. Von 2015 bis 2020 stagnierte die Geburtenzahl. 2021 wurden zwar wieder etwas mehr Kinder geboren als im Vorjahr, doch angesichts der geringen Zunahme (+2 %) kann von keinem Corona-Babyboom gesprochen werden. Fand dieser nun 2022 statt? Im Gegenteil: 2022 wurden 4538 Kinder geboren. Das entspricht einem Rückgang um 723 Geburten im Vergleich zu 2021 (-14 %). Worauf ist diese Abnahme zurückzuführen? Im Jahr 2022 nahm die Zahl der 15- bis 49-jährigen Frauen um 2 Prozent zu. Die Fertilitätsrate, die Geburten pro Frau dieser Altersklasse, ging um 16 Prozent zurück. Fazit: Der Geburtenrückgang ist auf die verminderte Fertilitätsrate zurückzuführen.

Grafik 1: Geburten, 15- bis 49-jährige Frauen, Fertilitätsrate

Seit Januar 2022 deutlich weniger Geburten

Im Mittel wurden pro Monat 434 Babys mit Wohnsitz in der Stadt Zürich geboren (Mittelwert über die Jahre 2015 bis 2019; Grafik 2, rote Linie). Die Geburtenzahlen sind in den Sommermonaten etwas höher. In den Jahren 2020 und 2021 ist eine gewisse Variabilität zu beobachten: In gewissen Monaten liegen die Monatswerte über, in anderen unter dem Mittel. Ab Januar 2022 sieht es dagegen anders aus: Die monatlichen Geburtenzahlen sind in jedem einzelnen Monat deutlich geringer als der Mittelwert. Während die Zahl der 15- bis 49-jährigen Frauen im Jahr 2022 stets zugenommen hat, gab es per Januar 2022 einen markanten Rückgang der Fertilitätsrate.

Grafik 2: Geburten, 15- bis 49-jährige Frauen, Fertilitätsrate (Monatsdaten). Die rote Linie beschreibt den Mittelwert über die Jahre 2015 bis 2019.

Geringere Fertilität 2022: sowohl bei Schweizerinnen wie Ausländerinnen

Die Fertilitätsrate der Schweizerinnen ist geringer als diejenige der Ausländerinnen (Grafik 3). Bei beiden Gruppen hat die Fertilitätsrate von 2021 auf 2022 markant abgenommen (Schweizerinnen: -17 %, Ausländerinnen: -15 %). In verschiedenen Altersklassen ist der gleiche Effekt zu beobachten: Der Rückgang der Fertilitätsrate findet bei Schweizerinnen und Ausländerinnen in ähnlichem Masse statt.

Grafik 3: Fertilitätsrate nach Herkunft und Altersklasse

Fertilitätsrate nach Nationalität

Unterscheiden sich die Trends der Fertilitätsrate nach Nationalität? Um diese Frage zu beantworten, wurden diejenigen Nationalitäten untersucht, die bei den 15- bis 49-jährigen Frauen in Zürich am stärksten vertreten sind (Mittel der Jahre seit 2015; Grafik 4). Bei Frauen der meisten Nationalitäten ging die Fertilitätsrate per 2022 zurück; einzig bei den Italienerinnen und Portugiesinnen stieg der Wert leicht an. Dabei muss jedoch berücksichtigt werden, dass die Fertilitätsraten aller Nationalitäten ausser derjenigen der Schweiz und Deutschlands von Jahr zu Jahr beträchtlich variieren. Die Veränderung der Fertilitätsrate der Italienerinnen und Portugiesinnen zwischen 2021 und 2022 ist klar geringer als die Variabilität der letzten Jahre bei diesen beiden Nationalitäten. Zudem machen die Babys der Italienerinnen (3 %) und der Portugiesinnen (1 %) nur einen geringen Anteil an den Neugeborenen der Stadt Zürich aus: Die Geburtenzahl in Zürich hängt folglich nur in geringem Mass von der Fertilitätsrate der genannten beiden Nationalitäten ab. Deutlich wichtiger sind diesbezüglich die Schweizerinnen (52 %) und die deutschen Frauen (11 %) mit höheren Anteilen an den Stadtzürcher Geburten. Zwischenfazit: Bei Frauen der meisten Nationalitäten ist die Fertilitätsrate 2022 klar geringer als 2021.

Grafik 4: Geburten, 15- bis 49-jährige Frauen, Fertilitätsrate nach Nationalität

Welche Fragen können beantwortet werden? Welche nicht?

Seit Januar 2022 sind die Geburtenzahlen deutlich geringer als zuvor. Warum ist das so? Warum seit Januar 2022? Welche Aspekte können beurteilt werden? Welche nicht?

Ob man ein Kind bekommt, hängt nicht bloss von einem Faktor ab (keine Monokausalität). Es gibt verschiedene Einflussfaktoren (zum Beispiel Lebenssituation oder medizinische Faktoren). Für den vorliegenden Text wurden Zahlen des Bevölkerungsregisters der Stadt Zürich ausgewertet. Mit diesen Daten sind gewisse Aussagen möglich; andere Aspekte können damit nicht beurteilt werden.

Welche Aspekte können mit den vorliegenden Daten beurteilt werden?

  • Hypothese 1 (unsichere Zeiten; die Corona-Pandemie erreicht Zürich): «Seit der Corona-Pandemie herrschen auch in der Stadt Zürich unsichere Zeiten. Das ist kein idealer Zeitpunkt, um schwanger zu werden. Ist das ein möglicher Grund für die tiefen Geburtenzahlen?» Die Corona-Pandemie erreichte die Stadt Zürich im Frühling 2020. Im gesamten Jahr 2021 waren die Geburtenzahlen jedoch hoch (siehe Grafik 2). Die Hypothese, wonach unsichere Zeiten durch die Corona-Pandemie zum Geburtenrückgang führten, ist demzufolge unwahrscheinlich.
  • Hypothese 2 (Arbeitslosigkeit, Kurzarbeit): «Wenn man arbeitslos oder in Kurzarbeit ist, möchte man nicht noch Kinder bekommen. Haben die tiefen Geburtenzahlen mit der Arbeitsmarktsituation zu tun?» Die Arbeitslosenquote war von April 2020 bis Februar 2021 besonders hoch (Grafik 5; Arbeitslosigkeit). Bei der Kurzarbeit war die Spitze im April 2020 (Grafik 5, Kurzarbeit). Diese Zeitverläufe passen nicht zu den zahlreichen Neugeborenen im Jahr 2021 und dem abrupten Rückgang per Januar 2022. Die Hypothese «Arbeitslosigkeit und Kurzarbeit» ist ebenfalls unwahrscheinlich.
  • Hypothese 3 (Vorholeffekt): «Wenn man zu Beginn der Corona-Pandemie in den Jahren 2020 oder 2021 ein Kind gezeugt hat, folgt im Jahr 2022 nicht gleich das nächste Baby.» Diese Hypothese lässt sich klar widerlegen: In den Jahren 2020 und 2021 gab es nicht besonders viele Neugeborene (siehe «Kein Corona-Babyboom, aber…»). 2020 wurden im Vergleich zum Vorjahr praktisch gleich viele Babys geboren. 2021 stieg die Geburtenzahl um 2 Prozent an, 2022 ging sie um 14 Prozent zurück. Die Zunahme war viel geringer als der Rückgang. Die plötzliche Abnahme der Geburtenzahl ist nicht mit dem Vorholeffekt zu erklären.
  • Hypothese 4 (Stadtflucht): «Zogen während der Corona-Pandemie nicht viele junge Frauen aus der Stadt weg? Wurden darum weniger Babys geboren?» In den Jahren 2020 und 2021 gab es in Zürich keine Stadtflucht (siehe «Stadt Zürich 2021: weder Babyboom noch Stadtflucht»). Im Gegenteil: Aktuell liegt die Zahl der 15- bis 49-jährigen Frauen um rund 3000 Personen höher als noch Ende 2019. Der Geburteneinbruch hat mit der Fertilitätsrate und nicht mit der Anzahl junger Frauen zu tun.
  • Hypothese 5 (Variabilität): «Es gibt immer eine gewisse Variabilität der monatlichen Geburtenzahlen. Haben die Monatswerte 2022 bloss damit zu tun?» Die Geburtenzahlen ab Januar 2022 sind deutlich geringer als zuvor. Die Variabilität ist geringer als der Einbruch der Geburten.
  • Hypothese 6 (Zuzug aus der Ukraine): «Im Jahr 2022 zogen viele Menschen aus der Ukraine in die Stadt Zürich. Kann die tiefe Fertilitätsrate in der Stadt Zürich auch damit zu tun haben?» Die Fertilitätsrate der 15-bis 49-jährigen Ukrainerinnen betrug im Jahr 2022 etwa 18 Promille pro Jahr. Das ist zwar klar unter dem Durchschnitt in der Stadt Zürich im Jahr 2022 (38 Promille pro Jahr). Von den 120 607 Frauen im Alter von 15 bis 49 Jahren in der Stadt Zürich sind jedoch bloss 1285 Ukrainerinnen (1 Prozent). Die Abnahme der Fertilitätsrate hängt nur marginal mit dem Zuzug der Menschen aus der Ukraine zusammen.

Einige Hypothesen können mit den Daten des Bevölkerungsregisters nicht beurteilt werden:

  • Hypothese 7 (medizinische Effekte): «Ist es möglich, dass eine Corona-Infektion oder eine Corona-Impfung die Fruchtbarkeit der Frauen und/oder Männer negativ beeinflusst haben?» Im Bevölkerungsregister der Stadt Zürich ist selbstverständlich nicht enthalten, wer sich mit Corona infizierte, wer sich dagegen impfen liess und wer ein Kind zu zeugen versuchte. Daher kann diese Hypothese mit den vorliegenden Daten nicht beurteilt werden.
  • Hypothese 8 (psychologische oder strategische Effekte): «Wollten viele Paare aus psychologischen oder strategischen Gründen ab März 2021 keine Kinder zeugen?» Im Bevölkerungsregister steht natürlich nicht, wer aus welchen Gründen Kinder zeugen oder nicht zeugen wollte. Daher lässt sich diese Hypothese nicht prüfen.

Grafik 5: Arbeitslosenquote und Beschäftigte in Kurzarbeit

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