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Kunst-Newsletter: «Radio Guggach»

Kateřina Šedá: «Radio Guggach»

«Es ist nicht mein Ziel, einen Radiosender aufzuziehen, aus dem ununterbrochen auf einen eingeredet wird und abgedroschene Lieder gespielt werden», sagt die tschechische Künstlerin Kateřina Šedá. Sie schafft nachbarschaftliche Nähe durch eine Radiostation, bei der die Menschen nicht nur passiv empfangen, sondern sich auch aktiv den andern mitteilen.

Im Quartier Unterstrass, an der Kreuzung Hofwiesenstrasse / Wehntalerstrasse, entsteht das Areal Guggach III, das die Stadt Zürich gemeinsam mit der Stiftung für bezahlbare und ökologische Wohnungen – Einfach Wohnen (SEW) und den Vertrer*innen der Schulanlage entwickelt hat. Auf dem Areal werden 111 gemeinnützige Wohnungen gebaut, zudem entstehen Gewerbeflächen und ein Kindergarten sowie eine Schule mit Doppelturnhalle und ein Quartierpark.

Im Rahmen des Kunst-und-Bau-Projekts, das die Fachstelle Kunst und Bau gemeinsam mit der SEW realisiert, wird die tschechische Künstlerin Kateřina Šedá von 2023–2025 vor Ort das Nachbarschafts-Radio Radio Guggach umsetzen: ein partizipatives Projekt, bei dem Bewohner*innen, Nachbar*innen, Schüler*innen, Alteingesessene und Neuankömmlinge das Programm gemeinsam mit der Künstlerin gestalten werden. Seit Anfang November kündigen grosse rote G’s und Slogans wie «Be happy – Be Guggach» das besondere Radio auf der Bauwand der Guggach-Baustelle an. Ab Mai 2023 wird Kateřina Šedá regelmässig mit dem mobilen Radio Studio in Guggach vor Ort sein und Radio Guggach auf Sendung bringen.

 

Verbindet Menschen über den Äther: Die Künstlerin Kateřina Šedá. (Foto: Roman Franc)

Kateřina Šedá, Sie haben sich als Künstlerin schon mit vielen spezifischen Orten in sehr unterschiedlichen geografischen Kontexten befasst. Was ist Ihr Rezept, um schnell und nachhaltig in einen lokalen Kontext wie das Guggach-Areal einzusteigen?

Ich glaube, das einzige Rezept für den Zugang zu verschiedenen Orten ist es, «kein Rezept zu haben». Das ist im gesamten Arbeitsprozess oft das Schwierigste – mit dem Wissen aus viel Erfahrung neu an einen Ort heranzutreten und ihn mit ganz anderen Augen zu sehen. Ich sehe an vielen Orten der Welt sehr ähnliche Probleme (Einsamkeit, Identitätsverlust, Leistungsdruck usw.), aber Menschen und Gemeinschaften reagieren unterschiedlich darauf – oder gar nicht. Das ist letztlich wie bei der Behandlung von Krankheiten bei unterschiedlichen Patient*innen. Ärzt*innen mögen ein Schema haben, wie sie an jede Krankheit herangehen, aber jede*r Patient*in verfügt über eine andere psychische Verfassung, hat ein anderes Schmerzempfinden, reagiert verschieden auf Medikamente und braucht unterschiedlich lange bis zur ersten Besserung.

Radio Guggach überwindet Bauzäune und Schranken aller Art. Bild: Kateřina Šedá (Rendering).

Und woran krankt der Patient Guggach?

Guggach ist insofern spezifisch, als durch den Bau neuer Gebäude die alte Welt (Familiengärten) auf die neue (Wohnungsneubau, Schule) trifft. Das mag natürlich wirken, ist aber an vielen Orten der Auslöser für noch mehr Abschottung und Isolierung der verschiedenen Gruppen.

In Guggach gibt es zum Glück die Familiengärten – die normalerweise ein Ort sind, an dem man sich kennt, ähnliche Interessen hat, es keine Zäune gibt und Mikrogeschichten der Nachbarschaft gelebt werden. Das brachte mich auf die Idee, das gesamte Gebiet auf dieselbe Frequenz einzustimmen und dazu ein typisches Familiengarten-Element zu nutzen – Geräusche und das gesprochene Wort aus dem Radio.

Radio Guggach: Eine Einladung, seine Interessen zum Ausdruck zu bringen. (Foto: Christiane Rekade Previdi)

Aber ist das Medium Radio in Zeiten von Social Media oder Podcasts nicht obsolet geworden?

Für das Projekt nutze ich nicht das klassische, veraltete Prinzip des Radios, sondern versuche, einen modernen kommunalen Radiosender zu gestalten, der auf Podcasts aufgebaut ist und Social Media zur Kommunikation nutzt. Es ist nicht mein Ziel, einen Radiosender aufzuziehen, aus dem ununterbrochen auf einen eingeredet wird und abgedroschene Lieder gespielt werden. Im Gegenteil: Ich wehre mich gegen dieses Konzept. Ich versuche nicht, mit etablierten Radiosendern zu konkurrieren, sondern ein etwas anderes Genre zu schaffen – nämlich durch die Teilnahme an einer gemeinsamen Sache, mit dem Ziel, die Nachbar*innen kennenzulernen.

 

Viele Ihrer Projekte handeln von Verbindung – und auch mit Radio Guggach möchten Sie Menschen zusammenbringen. Ist das Ihre Antwort auf die aktuell viel diskutierte Spaltung der Gesellschaft?

Mit dem Thema der gesellschaftlichen Spaltung beschäftige ich mich schon seit meiner Kindheit in der kommunistischen Tschechoslowakei, als ich auf der Strasse erste Aktionen organisiert habe. Das ist also von meiner Seite aus keine Reaktion auf die aktuelle Situation oder bestimmte Ereignisse. Diese bestätigen nur meine Überzeugung.

Interview: Daniel Morgenthaler

Homepage Radio Guggach: www.radiogugga.ch

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