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Regen ist ein Luxusgut

Kunst und Bau: Roland Roos, «The More, The Merrier», 2023, Schulhaus Allmend

Roland Roos hat für den Vorplatz der Schulanlage Allmend in der Manegg mit «The More, The Merrier» ein Kunst-und-Bau-Werk geschaffen, das es nur bei Regen zu sehen gibt: einen Gravitations-Springbrunnen, der ausschliesslich mit Regenwasser betrieben wird, gänzlich ohne externe Energie- und Wasserquelle auskommt und sich damit gewissermassen selbst ermöglicht.

Einst eine barocke Attraktion und Sinnbild für Luxus und Verschwendung, sprudelt dieser Springbrunnen nur dann, wenn es auch regnet. Damit hinterfragt der Künstler die ständige Verfügbarkeit der Ressource Wasser. Je nach Intensität des Regens schiesst die Wasserfontäne bis zu 9 Metern in die Höhe; lässt der Regen nach, versiegt auch der Brunnen.

Auf humorvolle und hintersinnige Weise macht Roos die Abhängigkeit von natürlichen Ressourcen erfahrbar und stellt unser selbstverständliches Verlangen in Frage, alles immer und überall verfügbar zu haben. In dem bloss im ersten Moment absurden, doch sehr präzisen Bild eines Springbrunnens, der nur bei Regen funktioniert, ist die Annäherung an ökologische und soziologische Themen gleichermassen über eine differenzierte Reflexion wie über die Erfahrung des Ereignisses angelegt.

(1) Unscheinbares Werk, auch dann, wenn es spritzt: Roland Roos, «The More, The Merrier», 2023.

Als Quelle für den Brunnen dient das auf dem Dach gesammelte Regenwasser. Statt dieses direkt ins Abwassersystem zu führen, wird es zunächst in eine über 1000 Liter fassende Drucksäule geleitet, die sich im oberen Teil der Spindeltreppe an der nördlichen Aussenfassade befindet. Damit wird Druck aufgebaut, der wiederum die Sprühkraft und die Höhe der Fontäne bestimmt. Von der Drucksäule gelangt das Wasser in einem Bodenrohr zur Brunnenkonstruktion, eine im Boden eingelassene Düse, die von einem begehbaren Gitter abgedeckt ist. Dadurch ist vom Brunnen beinahe nichts wahrnehmbar, wenn die Fontäne nicht aktiv ist.

Dass es bei Regen wie von Zauberhand zu sprudeln beginnt, bedurfte einer aufwändigen Entwicklung mit vielen Tests zur Art der Aufhängung, Höhe und Grösse der Drucksäule, zum Modell und zur Einstellung der Düse. Zudem mussten die Niederschlagsmengen ausgewertet werden. Die Geste und das Bild mögen einfach erscheinen – dass das Regenwasser aus dem kleinen Loch im Boden kurzfristig zurück gegen den Himmel schiesst, beruht jedoch auf hochkomplexen Vorgängen.

Roland Roos thematisiert mit seiner Kunst immer wieder Arbeitsprozesse im Kontext wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Systeme. Ihn interessiert der gezielte Eingriff in die dazugehörigen Mechanismen. Der Titel «The More, The Merrier» (englisch: Je mehr, desto besser/schöner) entspricht einer gängigen Maxime der Marktwirtschaft, die im Widerspruch zur Endlichkeit natürlicher Ressourcen steht: Wenn frei verfügbare, aber begrenzte Ressourcen nicht effizient genutzt werden, droht Übernutzung und auch die Nutzenden selbst werden bedroht.

Das Werk referenziert auch den Namen des Schulhauses «Allmend» und reaktiviert ein altes gesellschaftliches Modell, nämlich das der Commons, der kollaborativen Allmenden, die man gemeinsam nutzt und pflegt – und das gerade heute im Kontext der Klimadebatte wieder ein vielzitiertes Modell ist.

Interview mit dem Künstler Roland Roos

(2) Die Fontäne umspielt die Fassade des Schulhauses.

Johannes M. Hedinger: Dein Springbrunnen passt sich dem Regenereignis an und thematisiert dabei neben den limitierten Ressourcen insbesondere auch den Aspekt der Unverfügbarkeit. Wie hat sich diese frappierende Vorstellung für ein Kunstwerk bei dir entwickelt?

Roland Roos: Ich wurde auf den Begriff der Unverfügbarkeit über das gleichnamige Buch von Hartmut Rosa aufmerksam. Kurz gesagt geht es dabei um die Idee, dass wir in einer Zeit leben, in der wir Menschen die Welt beherrschbar machen. Das führt zu einem Paradox: Je mehr wir über unsere Umgebung verfügen, desto weniger spürbar wird diese für uns. Bei diesem Gedanken entstand die Idee, ein Werk zu schaffen, über das wir Menschen nicht oder nur bedingt verfügen. Der Springbrunnen ist eine klar definierte Anlage, die Art und Weise dieser Anlage zeigt sich nun aber erst durch die äusseren Umstände und diese bestimmen mit, wann und was wir genau sehen.

JMH: Wenn man also an einem schönen Tag ohne Regen ins Schulhaus Allmend kommt, findet man absolut nichts von diesem Kunstwerk, keine Beschriftung, keine Dokumentation, rein gar nichts?

RR: Genau. Äusserlich nimmt die Arbeit die Gestaltungselemente der Umgebung auf und verschwindet so als eigenständiges Kunstobjekt. Bei sonnigem Wetter ist die gesamte Installation begeh- und befahrbar wie die gesamte Schulhausumgebung. Bei einem Regenereignis entsteht dann durch eine kleine Öffnung die Fontäne – und so, wie sie langsam entsteht, so verschwindet sie nach dem Regen dann auch wieder. Und das Kunstwerk nimmt sich zurück. Es war mir immer wichtig, dass es nicht als ein Objekt daherkommt.

JMH: Sondern mehr als Denkmodell und Potenzial. Weshalb ist dir diese zurückhaltende Geste so wichtig? Was war dein Denkansatz bei der Entwicklung dieser Kunst-und-Bau-Arbeit?

RR: Bei der Aufgabe, ein Werk für einen Kunst-und-Bau-Wettbewerb vorzuschlagen, gibt es ja fast endlose Möglichkeiten. Um diese Möglichkeiten etwas einzuschränken, interessieren mich oft die kleinen und naheliegenden Dinge. Die Schulanlage heisst Allmend. Allmend ist so ein reicher Begriff, dass ich mich entschloss, mich mehr damit zu beschäftigen. Es geht dabei um das gemeinschaftliche Nutzen von Ressourcen und welche Probleme dabei entstehen. So führte ein Denkansatz zum anderen, immer gekoppelt mit meiner Vorliebe, vertraute Wertvorstellungen zu hinterfragen. Das sich zurücknehmende Werk führt in einer verfügbaren Welt relativ schnell zu einer – meiner Ansicht nach – charmanten Irritation.

(3) Klarsicht und Transparenz: Wasser- und Farbenspiel.

JMH: Deine Intervention ist auch eine temporäre Sichtbarmachung: Abwasser, das sonst sofort gleich entwässert würde, wird wahrnehmbar. Wie wichtig ist dir der Aspekt, die Ressource Wasser, hier im speziellen das Regenwasser, sichtbar zu machen?

RR: Das sind natürlich wichtige Aspekte. Die klimatischen Veränderungen nehmen direkt Einfluss auf diese Arbeit. Du hast das schon selbst erklärt, der Springbrunnen als Luxusgut und Sinnbild für ständige Verfügbarkeit erhält hier eine andere Bedeutung. Regen allein ist schon ein Luxusgut.

JMH: Was auch wir im nächsten Hitzesommer spüren werden. Steckt darin auch deine Botschaft an die Schüler*innen der Schulanlage Allmend? Ein Brunnen, den es nur bei Regen gibt; Regenwasser das temporär aufwärts fliesst.

RR: In meiner eigenen Kindheit gab es auch kleine «Unklarheiten», Dinge, die nicht so ganz zum grossen Ganzen passten. Die prägten und beschäftigten mich nachhaltig. Der Springbrunnen passt vielleicht auch nicht ganz so in jedes Denkmuster, was dann aus meiner Sicht ein grossartiger Erfolg ist.

 

JMH: Du schaffst eine Versuchsanlage, gibst quasi den Ball ins Spiel. Den Rest machen dann einerseits die Natur und andererseits die Reaktion und Interpretation der, sagen wir mal, Teilnehmenden: Kinder, Quartierbewohner*innen, eventuell ja auch Tiere und andere Lebewesen. Was für Fragen und Interaktionen erwartest und erhoffst du dir?

RR: Ich lass mich überraschen.

JMH: Es gibt einige berühmte Kunst-Brunnen. In der Schweiz denke ich da zum Beispiel an den Brunnen von Jean Tinguely. Bei seinem Werk sieht man nahezu das ganze Innenleben, die Mechanik wird offengelegt – ganz im Gegenteil zu deiner Anlage, da bleibt alles bewusst unter dem Boden verborgen und bei Regen tritt einzig die Wasserfontäne auf. Geht es auch um die Überraschung, das Unerwartete, das Wunder?

RR: Die Arbeit ist still, unscheinbar, klein und vielleicht auch überraschend. In unserer flüssigen Zeit sind dies wunderbare Attribute.

(4) Kleiner Einblick ins Innenleben des Brunnens.

JMH: Nochmals zu den natürlichen Ressourcen: Das Schulhaus sammelt auf dem Dach mit einer 1500m² grossen Photovoltaik-Anlage auch Sonnenenergie, die den Grossteil des Strombedarfs des Schulhauses deckt. Diese Einrichtung produziert auch nur Strom, wenn die Sonne scheint. Ähnlich verhält es sich bei dir: Nur wenn es regnet, gibt es einen Springbrunnen. Besteht ein direkter Bezug zwischen den unterschiedlichen Energiequellen und Ressourcen?

RR: Der kluge Landschaftsarchitekt hat das schon bei der Präsentation meiner Arbeit sehr schön auf den Punkt gebracht: Bei Sonne gibt es Strom, bei Regen einen Springbrunnen – aber wenn die Photovoltaik-Anlage einmal mit Schnee bedeckt ist, dann gibt es bei Sonnenschein für einen kurzen Moment einen Springbrunnen.

JMH: Selbst in seiner temporären Verfügbarkeit ist das Zeitobjekt sehr ortsspezifisch, für diesen Ort geschaffen. Und man kann es nur dort erleben.

RR: Ja, man muss es einmal erlebt haben, dann nimmt man den Ort anders wahr. Dann hat der Ort eine neue Bedeutung.

JMH: Dann freuen wir uns schon auf den nächsten Regen – oder Schnee mit Sonnenschein – und kommen uns das kleine, stille Wunder in der Manegg beim Schulhaus Allmend anschauen.

Text/Interview: Johannes M. Hedinger
Foto: Matthias Vollmer (1–3), Susanne Kuhbrodt (4) / Kunst und Bau Stadt Zürich

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