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Kunst-Newsletter Vivian Suter

Nafikare necesse est

Adam Szymczyk im Gespräch mit Vivian Suter

In der von Hemmi Fayet Architekten instand gesetzten Eingangshalle des Stadtspitals Triemli ist seit diesem Sommer eine der ersten permanenten Installationen von Vivian Suter in einem öffentlichen Gebäude in der Schweiz zu sehen. Die Künstlerin hat eine Gruppe von sechs grossformatigen Bildern zusammengestellt und sie in der für sie typischen Weise an der Decke der Eingangshalle aufgehängt. Im Zusammenspiel mit dem Tageslicht, das durch das Glasdach fällt, schaffen die Gemälde die Atmosphäre eines dichten, bunten, tropischen Gartens über den Köpfen der Spitalbesucher*innen.

Vivian Suter studierte in Basel Malerei und stellte als junge Künstlerin regelmässig aus. Als sie jedoch 1983 die Schweiz verliess, geriet sie mehr oder weniger in Vergessenheit.

Adam Szymczyk wurde auf das Werk aufmerksam und zeigte es 2014 in der Kunsthalle Basel und 2017 auf der documenta 14. Seitdem ist Vivian Suter eine international gefragte Künstlerin.

Adam Szymczyk unterhielt sich mit Vivian Suter über die Installation im Triemli, aber auch über ihr Leben und Arbeiten auf einer ehemaligen Kaffeeplantage in Panajachel, Guatemala.

Freundliches Willkommen durch die Gemälde von Vivian Suter.

Adam Szymczyk (AS): Vivian, wie ist es, deine Gemälde im Foyer eines Krankenhauses auszustellen? Hat dieser Ort die Auswahl deiner Arbeiten beeinflusst, und wenn ja, auf welche Weise?

Vivian Suter (VS): Es ist eine sehr schöne Vorstellung, dass ich den Menschen vielleicht dabei helfen kann, sich ein wenig besser zu fühlen, wenn sie dort eintreten – dass ich sie von ihren Sorgen ablenken kann. Wir haben Arbeiten ausgesucht, die sich in den Raum einfügen, dabei aber auch an die Stimmungen gedacht, die sie vielleicht hervorrufen.

AS: Ist dies dein erster öffentlicher Auftrag in der Schweiz? Ich erinnere mich, dass du bereits einmal einige Gemälde in einer Institution in Basel aufgehängt hast…

VS: Ja, dies ist mein erster öffentlicher Auftrag in Zürich. Vor einiger Zeit hatte ich die Gelegenheit, meine Gemälde in der Cafeteria und in den Gängen eines neuen Gebäudes des Untersuchungsgefängnisses in Basel zu installieren.

Spielerische Leichtigkeit: Oberlicht und Bilder.

AS: 1981 hast du an der von Jean Christophe Ammann kuratierten Ausstellung «Künstler aus Basel» teilgenommen und du warst damals Teil einer sehr angesagten Schweizer Kunstszene. Nur wenige Jahre später bist du nach Guatemala ausgewandert. Warum hast du die Schweiz verlassen? Zuvor hattest du bereits den afrikanischen Kontinent bereist. Kannst du über deine Reiselust sprechen – ging es dabei um die Suche nach einem Ort namens Heimat?

VS: Wahrscheinlich liegen die Reisegene in meiner Familie, sowohl mütterlicherseits als auch väterlicherseits. Meine Mutter musste 1939 aus politischen Gründen den Atlantik überqueren und mein Vater hat vor dem Zweiten Weltkrieg in verschiedenen Ländern gearbeitet; meine Eltern lernten sich in Buenos Aires kennen. Was mich angeht, so habe ich nicht bewusst nach einem neuen Ort zum Leben gesucht, ich war aber durchaus offen dafür. Die Schweiz ist ein kleines Land und das führt dazu, dass man andere Realitäten und andere Kulturen entdecken will.

Die Natur prägt die Bilder von Vivian Suter.

AS: Wie war es, in einem völlig anderen Kontext, in Panajachel, wieder mit der Arbeit zu beginnen?

VS: Anfangs waren die Bedingungen etwas schwierig, es war nicht einfach zu malen oder überhaupt auch nur an die entsprechenden Utensilien zu gelangen, während ich mich selbst neu entdeckte und meine Arbeit und mein Leben hinterfragte.

AS: Wie kam es dazu, dass du das Haus gebaut hast, in dem du in Panajachel lebst?

VS: Als Erstes wurde das Wächterhaus gebaut. Das Haus, in dem ich lebe, steht neben einem Würgefeigenbaum, in den ich mich verliebt habe. Ich hatte nie die Absicht, etwas zu bauen, am wenigsten ein Haus. Doch die Umstände haben einfach dazu geführt. Zur gleichen Zeit wurde meine Atelierhütte am Hang hinter dem Haus gebaut, ein Stück bergauf. Dort fühle ich mich weit weg von allem und dennoch nah genug, falls ich einmal gebraucht werde. Damals konnte ich noch den Vulkan sehen und einen Streifen des Sees; heute ist alles mit Bambus und anderen Bäumen und Büschen überwuchert, die ich gepflanzt habe, damit der Berg nicht abrutscht.

Das Haupthaus wurde aus einfachsten lokalen Materialien gebaut: Lehm und Holz mit einem Blechdach, wodurch es in der Regenzeit sehr laut wird. Das Haus wurde in neun Monaten errichtet, alles ging sehr schnell. Ich besuchte die Baustelle jeden Tag.

Heute steht hier auch ein neues Tonstudio für meinen Sohn, das neben dem älteren liegt und nach dem Entwurf eines ukrainischen Architekten gebaut wurde. Es gibt ein Depot für meine Bilder, das aus Teilen von eingestürzten Lehmwänden auf meinem Grundstück gebaut wurde.

Das Haus meiner Mutter ist nicht weit von meinem eigenen entfernt; sie hat es vor etwa zwanzig Jahren gebaut, bevor sie sich dauerhaft bei uns niedergelassen hat.

Es gibt ausserdem noch drei bodegas, die Materialien und Dinge aller Art beherbergen, die sich eben so ansammeln, und wo auch Platz ist für die Waschmaschine und die Wasserpumpe.

Das ist es also, mein Universum unter den Bäumen.

Die Bilder gliedern die Weite des Raums.

AS: Wie war es, neben deiner Mutter, Elisabeth Wild, die ebenfalls Künstlerin war, zu malen? Ich stelle mir vor, dass euer Verhältnis bisweilen kritisch, wenn nicht sogar antagonistisch war. Sie war ein wunderbarer Mensch – und auch sehr meinungsstark…

VS: Ja, meine Mutter war ein wunderbarer Mensch und sie hat sich selbst als stur bezeichnet.

Es war grossartig, wir haben beide jeweils an unseren eigenen Sachen gearbeitet. Ich konnte immer sehen, was sie machte, aber sie hat mich nie bei der Arbeit gesehen. Ich habe aufgehört, ihr meine Sachen zu zeigen, weil sie zu kritisch war und ich mir meine Freiheit bewahren und mich nicht beeinflussen lassen wollte. Ich konnte ihr aber Bilder meiner Ausstellungen zeigen und die mochte sie sehr. Wir haben gegenseitig unsere Arbeit respektiert. Manchmal kam ich abends von der Arbeit an meinen Bildern und sah in ihren Collagen ähnliche Farben und Formen – die müssen an diesem Tag in der Luft gelegen haben.

AS: Könntest du beschreiben, wie du in Panajachel arbeitest? Deine täglichen Abläufe, dein Atelier, die Art und Weise, wie du deine Arbeit organisierst und wie du malst?

VS: Am Morgen schaue ich mir an, was ich am Vortag gemalt habe, da ich oft erst bei Dunkelheit aufhöre und es daher überraschend ist, wie es bei Tageslicht aussehen wird.

Ich koche meinen Fischleim, betrachte meine Bilder, mache Fotos von den fertigen Arbeiten. Ich habe zwei Assistenten, die mir im Atelier bei allem Möglichen helfen, etwa indem sie die Leinwand aufziehen und die trockenen Gemälde von den Keilrahmen abnehmen, wenn sie fertig sind, um sie dann an bestimmte Orte zu bringen: zwei bis drei Arbeiten unter den Mangobaum und zwei Bilder an die Aussenwand des Ateliers, manchmal auch auf die Veranda.

Ich male mit Fischleim, den ich selbst herstelle. Ich mische den Leim mit Acrylfarbe, Ölfarbe und Pulverpigmenten, die ich aus dem Ausland mitbringe. Ich male gerne auf aufgespannter Manta-Leinwand, die ich hier in Guatemala bekomme. Ich mag es, auf aufgespannten Untergründen zu malen, weil ich so den Pinselstrich besser kontrollieren kann. Manchmal lege ich auch unaufgespannte dicke Leinwand direkt auf den Boden. Die Natur um mich herum, alle meine früheren Arbeiten sowie die Stimmung des Tages prägen meine Arbeit.

Bilder wie Segel.

AS: Du gibst deinen Ausstellungen Titel, die manchmal sehr persönlich sind, sich auf deine Lebensumstände sowie auf deine Umgebung beziehen und auch Namen von Familienmitgliedern, sogar die deiner Hunde, enthalten können. Gibst du auch deinen Arbeiten Titel, zum Beispiel denen im Triemli?

VS: Ich gebe meinen einzelnen Arbeiten keine eigenen Titel. Meine Ausstellungen versehe ich mit einem Titel, weil ich darum gebeten werde. Diese Benennungen ergeben sich einfach und sind offensichtlich, sobald ich sie gefunden habe. Auch Freunde haben gute Ideen, und wenn sie mir gefallen, leihe ich mir die Titel von ihnen.

AS: Der Garten, der rund um dein Haus wächst, geht ganz offensichtlich in deine Arbeit ein, und zwar nicht nur als Sujet deiner Bilder. Aber sicherlich gibt es auch andere Quellen – aus der Literatur, der Musik und der Arbeit anderer Künstlerinnen und Künstler. Vielleicht könntest du darüber sprechen, was dich in letzter Zeit beeindruckt hat.

VS: Vögel, Wasser, Wind, die Glocken der Kirche – und alle möglichen Klänge, Knaller, die bei Dorffesten explodieren. Alle Arten von Musik, denn ich liebe es zu tanzen.

Auf meiner letzten Reise nach Europa habe ich viele faszinierende Werke von alten Meistern und zeitgenössischen Künstlerinnen und Künstlern gesehen. Am meisten hat mich jedoch die Begegnung mit Daniel Spoerri in Wien beeindruckt, der uns ein Gedicht von Joachim Ringelnatz aus dem Jahr 1924 vorgelesen hat:

Seemannstreue

Nafikare necesse est.
Meine längste Braut war Alwine.
Ihrer blauen Augen Gelatine

Und so weiter…

Zürich – Panajachel – Hydra, Juli 2023.           

Foto: Stefan Altenburger Photography Zurich

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