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Ursula Tachsenhauserin – ein Hexenprozess 1574

In einer gemeinsamen Veranstaltung des Stadtarchivs Zürich und des Grossmünsters Zürich erhält eine der zahlreichen Frauen, die Opfer der Hexenverfolgung geworden waren, durch die Erzählung ihren Namen, ihre Geschichte und ihre Würde wieder zurück - exemplarisch.

Eine Veranstaltung des Stadtarchivs Zürich mit der Pfarrei Grossmünster Zürich - erzählt von Kurt Spiess

Veranstaltungsdaten

Abbildung Hexenverbrennung
Alle Bilder: Wickiana, Zentralbibliothek Zürich. Mit freundlicher Genehmigung der ZB Zürich

Donnerstag, 9. November 2017, 19 Uhr

Einführung: Anna Pia Maissen, Direktorin Stadtarchiv Zürich 

Freitag, 17. November 2017, 19 Uhr 

Einführung: Christoph Sigrist, Pfarrer des Grossmünsters Zürich

Kulturhaus Helferei, Breitinger-Saal, Kirchgasse 13, 8001 Zürich 

Freier Eintritt, Kollekte

Kurt Spiess, Historiker mit einem 2015/16 erworbenen Zertifikat in Storytelling der Universität der Künste in Berlin, erzählt die Geschichte der Ursula Tachsenhauserin. Sie basiert auf den im Staatsarchiv des Kantons Zürich aufbewahrten Gerichtsakten. Die Geschehnisse um den Hexenprozess gegen Ursula Tachsenhauserin ist sein erstes Erzählprogramm; aktuell ist er dieses Jahr auch mit seinem neuen Programm mit arabischen Erzählungen unterwegs. Kurt Spiess lebt und arbeitet in Winterthur und in Berlin. (www.grossvater-erzählt.ch).

Die Hexenverfolgungen im Zürcher Stadtstaat

«Dieweil nun sie von jetzt erzählten, ihres verruchten, gottlosen, unchristlichen und schändlichen Lebens wegen, als sie nicht allein mit Hilfe des Bösen Leute und Vieh erlahmt und umgebracht, sondern sich auch Gott des Allmächtigen versagt und [sich] an den Bösen ergeben hat, einen harten und schweren Tod wohl verdient hätte, so ist doch aus Gnaden auf ihr Reuen und Bekehren zu ihr also gerichtet, dass sie dem Nachrichter befohlen werden soll. Der solle ihr ihre Hände binden und sie hinaus zu der Sihl auf das Grien [Kies] führen, [sie] daselbst auf eine Hurd setzen und an eine Stud heften und [sie] also auf der Hurd an der Stud verbrennen, inmassen, ihr Fleisch und Bein zu Asche werden und sie damit dem Rechten gebüsst haben soll.»

So heisst es in den Zürcher Gerichtsakten vom 4. August 1574 im Prozess gegen Ursula Tachsenhuser oder Tachsenhauserin, die im Herbst desselben Jahres am Ufer der Sihl in Zürich als Hexe verbrannt wurde. Sie war nicht die Einzige. In ganz Europa fanden zwischen dem 15. und dem 18. Jahrhundert nach einer groben Schätzung bis zu 110‘000 Hexenprozesse statt; davon endeten zwischen 30 000 und 60‘000 mit einem Todesurteil – davon allein ca. 25‘000 in Deutschland. Die Schweiz befand sich damals im Zentrum einer Zone zwischen Oberdeutschland und Südostfrankreich, wo die intensivsten Hexenverfolgungen stattfanden.

Auf dem Gebiet der heutigen Schweiz wurden in dieser Zeitspanne rund 10‘000 Hexenprozesse abgehalten; zwischen 4000 und 6‘000 davon mündeten in ein Todesurteil, zuerst durch Verbrennen, im Laufe des 17. Jahrhunderts vermehrt durch Enthauptung, aber auch hier mit nachherigem Verbrennen des Körpers und dem Zerstreuen der Asche als einem wichtigen Element der Strafe.

Im damaligen Stadtstaat Zürich wurden 79 Personen wegen Hexerei hingerichtet, 74 Frauen und 5 Männer. Das ist im Vergleich mit den übrigen Kernzonen Europas und auch mit dem Rest der Schweiz relativ wenig. Keine dieser Personen stammte aus den Städten Zürich  oder Winterthur; rund ein Fünftel kam aus dem aargauischen Kelleramt, das unter Zürcher Oberhoheit stand, weshalb sie auch häufig in der Stadt Zürich abgeurteilt und hingerichtet wurden. Warum? In seiner Dokumentation Hexenprozesse mit Todesurteil: Justizmorde der Zunftstadt Zürich erklärt der ehemalige Zürcher Staatsarchivar, Otto Sigg, dieses Phänomen folgendermassen:

«Unter den Opfern finden sich keine Angehörigen von Bürgerfamilien der Stadt Zürich. Solche Verfolgungen innerhalb der Mauern der durch und durch unter sich verschwägerten, wenig tausend Einwohner zählenden Stadt hätten das Gemeinwesen über kurz oder lang korrumpiert und ausgezehrt. Das dürfte auch der Grund gewesen sein, warum das ebenfalls in sich geschlossene Winterthur, das nur über ein einziges kleines Untertanendorf verfügte, keine solchen Verfolgungen kannte.» [Sigg, S. 9] 

Die vorgeworfenen Straftaten betrafen die Schädigung von Mensch und Tier durch Zauberei (Krankheit, Tod, Impotenz, Unfruchtbarkeit, abnormales Verhalten), negative Wetterbeeinflussung (Hagel, Lawinen usw.), Häresie und konkret die Mitgliedschaft in einer teuflischen Sekte (Hexensabbat, Hexenritte, sexuelle Beziehungen mit dem Teufel usw.).

Abbildung: Foltermethode der Streckung
Foltermethode der Streckung

Für eine Hinrichtung brauchte es allerdings ein Geständnis. Da Schuld oder Unschuld  jeweils über die Folter – eine damals übliche gerichtliche Massnahme zur Wahrheitsfindung -  determiniert wurde, wurden die Zürcher Angeklagten der Tortur des so genannten Streckens am Folterseil unterzogen; dazu wurden dem Seil bis zu vier Gewichte angehängt, um die Streckung effektiver zu machen.

Wurden die Angeklagten schuldig gesprochen, war die Verbrennung zwingend. Dann schritt der in Zürich der «Nachrichter» genannte Scharfrichter zur Ausführung seiner Aufgabe: auf den Schotterbänken der Sihl, in der Nähe der heutigen Sihlbrücke, wurden sie an einen Holzpfahl auf einer «Hurd» gebunden, und zur Verbrennung einer Person reichten in der Regel «zwei Klafter» Holz. Ihre Asche wurde zum Schluss in der Sihl zerstreut.

Die Gründe, die zu diesen Hexenprozessen in Europa führten, waren vielfältig und zumindest zum Teil mit der Situation und Mentalität der frühen Neuzeit zu erklären. Sigg nennt für den Kanton Zürich dazu Argwohn, Misstrauen, Missgunst, Neid, Angst, Beengung, Not und Mangel in der Dorfgemeinschaft. Im Dorf und unter Nachbarinnen und Nachbarn herrschte eine heute unvorstellbare Enge, Freiräume oder eine Privatsphäre gab es keine, das Leben war streng geregelt. Alles stand unter gegenseitiger sozialer Kontrolle, und das Überleben hing von jedem Strohhalm ab. Im Gegensatz zu dieser bedrängenden Enge gab es ausserhalb der Dorfgemeinschaft die bedrohliche Weite: die Heiden, Öden und Wälder, welche die Vorstellungskraft der Dorfbewohner/innen als unheimliche Orte beflügelte und um die sich unheimliche Geschichte rankten, wie zum Beispiel dort stattfindende Hexensabbate.

Für Aussenseiter, Randständige, Personen, die durch ihr Aussehen, ihr Verhalten oder auch durch ihr besonderes Wissen (zum Beispiel Heilkunde) ausserhalb der Norm auffielen, war kein Platz in der kleinräumigen Dorfgesellschaft. Unterstützt und gefördert wurden dabei sowohl die Gemeindemitglieder wie auch die Behörden ganz massiv von der Kirche. Weltliche und kirchliche Macht arbeiteten Hand in Hand. Weder Obrigkeit noch Kirche konnten solche Vorkommnisse dulden, weil sie Unruhe stifteten und ihre Autorität in Frage stellten.

Die Obrigkeit begann dann zu handeln, wenn der öffentliche Unmut über eine solchermassen verdächtigte Person ein Ausmass erreichte, dass ihr die Anschuldigungen von den zuständigen Land- und Obervögten zugetragen wurden. Damit war das Regime eingeschaltet, und das Verfahren nahm seinen Lauf. Mehr als die Hälfte der Personen, die der Hexerei angeklagt waren, wurden zum Tod verurteilt. Eingekerkert wurden die Beschuldigten in Zürich im Wellenberg-Turm mitten in der Limmat, wo auch die Folterung stattfand.

Zuständig für die Untersuchung und das Urteil war der Kleine Rat, 48 Zürcher Ratsherren aus den Zünften und der Gesellschaft zur Constaffel (der früheren Zürcher Oberschicht), deren Ideologie nicht nur von den damaligen Vorstellungen zur Staatsgewalt, sondern auch von der Kirche massgeblich mitgeformt worden waren.

Ursula Tachsenhauserin aus Ossingen war Bäuerin, Mutter von drei Kindern und Witwe von Hans Dünki. Im Herbst 1574 wurde sie in Zürich an der Sihl als Hexe verbrannt. Zum Verhängnis wurden ihr das Gerede und die Ausgrenzungen im Dorf, der Teufelsglaube der zwinglianischen Kirche und schliesslich das Gerichtsverfahren der zünftischen Zürcher Obrigkeit.

Die Akten im Staatsarchiv - Untersuchungsberichte, Verhörprotokolle, Gerichtsurteil - zeigen, was damals geschah. Und die Erzählung von Kurt Spiess macht die damaligen Ereignisse und das Schicksal der Ursula Tachsenhauserin wieder lebendig. Über 450 Jahre liegt das alles zurück - weit in der Vergangenheit zwar, aber dennoch berührt es uns heute und manches kommt uns auch eigenartig aktuell vor.

Eine der Frauen, die Opfer der Hexenverfolgung geworden war, bekommt durch die Erzählung ihren Namen, ihre Geschichte und ihre Würde wieder zurück - exemplarisch. Dass dieser Anlass in der Helferei des Grossmünsters stattfindet und dass die Pfarrei Grossmünster und das Stadtarchiv Zürich die Veranstaltung gemeinsam durchführen, kann als ein Stück Rehabilitation und Wiedergutmachung verstanden werden.

Denn wie der deutsche Schriftsteller und Gerichtsreporter Herrmann Mostar schrieb: «... und wenn denn ‚ein unschuldig Verurteilter die Angelegenheit aller anständigen Menschen ist‘ (La Bruyère), so ist er es umso mehr, wenn er von anständigen Menschen verurteilt wurde.» [Sigg, S. 11]

Literatur:

Otto Sigg: Hexenprozesse mit Todesurteil : Justizmorde der Zunftstadt Zürich: vom bösen Geist in Stadt und Land Zürich und im aargauischen Kelleramt - Dokumentation zu den 79 mit Todesurteil endenden sogenannten Hexenprozessen im Hoheitsgebiet der Stadt Zürich 1487-1701. o.O. Eigenverlag 2012

Erich Wettstein: Die Geschichte der Todesstrafe im Kanton Zürich. Zürich 1958

David Meili: Die Hexen von Wasterkingen. Magie und Lebensform in einem Dorf des frühen 18. Jahrhunderts. Zürich 1979

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