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Ein Tag im Leben von Prof. Mathias Schmid

Prof. Schmid ist Chefarzt für Medizinische Onkologie und Hämatologie, kurz Tumormedizin, am Stadtspital Waid und Triemli. Im Beitrag erzählt er, warum aus seiner Schreiner-Lehre nichts geworden ist, was einen guten Chefarzt ausmacht und warum man ihn vor 9 Uhr nicht ansprechen sollte.

Besuch eines American Football-Spiels im Wembley Stadium mit meiner Tochter.

Es ist Zeit, ein Statement abzulegen: Ja, ich bin ein Morgenmuffel der Extraklasse. Vor 9 Uhr kann man mit mir nicht viel anfangen. Deshalb bin ich wahrscheinlich auch Onkologe und nicht Chirurg geworden, denn diese starten in der Regel etwas früher als wir. Meine Frau und ich stehen meistens gleichzeitig auf. Ich bin froh, dass auch sie ein Morgenmuffel ist, denn so kommen wir gesprächslos aneinander vorbei. Von meinem Wohnort in Weiningen ZH fahre ich mit dem Auto ins Büro, wo ich als erstes zwei bis drei Tassen Kaffee geniesse. Jetzt bin ich fit und bereit für den Tag.

Mein Morgen ist in der Regel sehr stringent durchgeplant und besteht mehrheitlich aus Sprechstunden und Visiten. In der heutigen Sprechstunde stellt sich ein 19-jähriger Patient in Begleitung seiner Eltern vor, die völlig aufgelöst sind. Ihr Sohn hat stark abgenommen und berichtet über Schwellungen und Knoten am Hals. Bei der Untersuchung finden sich zudem Lymphknoten in beiden Achselhöhlen. Klinisch ergibt sich der dringende Verdacht auf einen bösartigen Lymphknotentumor. Die Diagnose muss aber noch durch eine Gewebeentnahme bestätigt werden. Das Gespräch mit der Familie dauert fast zwei Stunden. Dabei versuche ich vor allem Hoffnung zu vermitteln, da diese Erkrankungen oft sehr gut heilbar sind. Mit der definitiven Diagnose und dem Beginn der Therapie muss es schnell gehen, da vor allem die Ungewissheit und die Wartezeit für den Patienten und die Angehörigen schlimm sind.

In meinem Büro, wo ich Sprechstunden durchführe und administrative Tätigkeiten erledige.
In meinem Büro, wo ich Sprechstunden durchführe und administrative Tätigkeiten erledige.

Die Medizin und der Umgang mit Menschen hat mich schon sehr früh fasziniert. Beim Medizinertest 1986 an der Universität Ulm rechnete ich mir allerdings keine grossen Erfolgschancen aus. Der Test war knallhart und der Zugang zu den Studienplätzen streng geregelt. Zu meinem Erstaunen erhielt ich nach ein paar schlaflosen Nächten die freudige Nachricht, dass ich es geschafft habe. Ich entschied mich, meinen Plan B, eine Lehre als Schreiner zu starten, an den Nagel zu hängen und mich in das grosse, unbekannte Feld der Medizin zu wagen.

Während den vielen Jahren zwischen dem Studium und der Chefarzt-Position im Waid und Triemli, habe ich einiges gelernt. Vor allem aber, dass es nicht auf Titel oder Facharztansammlungen ankommt, sondern viel mehr auf den Menschen, der dahintersteht. Ein Chefarzt ist nur so gut wie sein Team. Ob ich gut bin, möchte ich nicht selber beurteilen. Aber ich weiss, dass ich ein Super-Team hinter mir habe, von den Stationshilfen über das Sekretariat bis hin zur Pflege sowie den Ärztinnen und Ärzten. Dafür bin ich sehr dankbar.

Ferien in meiner zweiten Heimat San Diego, wo ich mehrere Jahre gelebt habe.
Ferien in meiner zweiten Heimat San Diego, wo ich mehrere Jahre gelebt habe.

Jetzt bin ich aber ganz schön vom eigentlichen Thema, Sie während 24 Stunden mitzunehmen, abgeschweift. Nach meinem Mittagessen, das ich in unserem leckeren Spitalrestaurant genossen habe, bin ich gestärkt für den Nachmittag. Dieser ist geprägt von Sprechstunden, Fortbildungen, Tumorboards, Büroarbeiten sowie Gesprächen mit Mitarbeitenden und Patientenangehörigen. Im heutigen interdisziplinären Tumorboard besprechen wir einen Patienten mit einem Lungentumor und eine Patientin mit einem Brusttumor. Nach intensiver Beurteilung und zielführenden Diskussionen sind wir uns einig. Wir sprechen zwei massgeschneiderte Therapien sowie Empfehlungen zur weiteren Diagnostik und Nachsorge aus.

Es folgt ein Gespräch mit einem Patienten mit einem urogenitalen Tumor. Dieses Gespräch war sehr emotional, da er mir berichtete, wie sehr er unter der aktuellen Situation leidet. Er wurde erst vor sechs Monaten pensioniert und hatte sich auf das Reisen mit seiner Frau gefreut. Nun ist die Zukunft ungewiss und er muss sich neben der schon durchgeführten Operation, einer Chemotherapie über mehrere Monate unterziehen. Deutlich spüre ich seine Zukunftsangst. Je länger ich arbeite und je mehr Therapiemöglichkeiten aufkommen, desto mehr fühle ich mich verantwortlich für die Schicksale der Patienten. Hier ist das offene Reden mit Kollegen und Familie, unter Einhaltung der Schweigepflicht, unabdingbar. Nur so kann ich einen Punkt setzen und das Erlebte verarbeiten. Umso mehr erfreue ich mich an Patienten, die ich nach langjährigen Therapien und kritischen Situationen als geheilt verabschieden kann.

Besuch eines Fussball-Spiels in Liverpool.
Besuch eines Fussball-Spiels in Liverpool.

Zuhause angekommen, bereitet meine Familie das Abendessen vor. Kaum in der Küche hinzugestellt, drückt mir mein Sohn das Messer in die Hand und lässt mich damit wissen, dass ich die Kartoffeln schälen soll. Als grosser Familienmensch ist mir der Austausch mit meiner Frau und meinen zwei Kindern sehr wichtig. Kommendes Wochenende fahren wir gemeinsam ins Allgäu, wo wir entspannen, lesen und wandern. Oft besuchen wir auch Fussballspiele unserer Lieblingsvereine VfB Stuttgart und FC Liverpool. Ich schätze es sehr, dass wir alle dieselben Interessen teilen und dadurch viel Zeit gemeinsam miteinander verbringen können. Nach einem gemütlichen Familienabend gehe ich um 24 Uhr ins Bett. Ich freue mich auf den morgigen Tag, an dem unter anderem eine Weiterbildung mit meinen Arbeitskollegen und eine längere Studiensitzung ansteht.  

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