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Vorlage im Detail

Vorlage 1: Volksinitiative zum Schutz der Besonnung des öffentlichen Grünraums am Seeufer

Initiative

Volksinitiative zum Schutz der Besonnung des öffentlichen Grünraums am Seeufer («Besonnungs-Initiative»)

Ein parteiunabhängiges Komitee reichte am 1. Oktober 2019 die Volksinitiative zum Schutz der Besonnung des öffentlichen Grünraums am Seeufer («Besonnungs-Initiative») mit folgendem Wortlaut ein:

«Die Gemeindeordnung der Stadt Zürich sei wie folgt zu ergänzen:
Art. 2octies Abs. 4 Gemeindeordnung (neu):
Sie (die Gemeinde) schützt die Besonnung des öffentlichen Grünraums am Seeufer.
Innerhalb ihrer Zuständigkeit verhindert sie bauliche Veränderungen, die einen Schattenwurf darauf bewirken oder vergrössern.
Die Höhe des Baubestandes vom 1. April 2019 ist dabei massgebend.»

Begründung

«Die Besonnung des öffentlichen Grünraums am Seeufer ist durch Bauprojekte massiv bedroht. Mit der Initiative soll mindestens der Ist-Zustand gewahrt werden. Das öffentliche Interesse an einer unbeeinträchtigten Besonnung überwiegt das private Interesse an baulichen Veränderungen.»

Rechts- und Planungsgrundlagen Entwicklung Seebecken

Standpunkt des Stadtrats und des Gemeinderats

Stadtrat und Gemeinderat lehnten die Initiative ab. Beide verzichteten auch darauf, einen Gegenvorschlag auszuarbeiten. Der Stadtrat erachtet die Initiative als unzweckmässige Ergänzung zu den bereits bestehenden Rechts- und Planungsgrundlagen. Diese ermöglichen eine sorgfältige bauliche Entwicklung entlang des Seebeckens unter Berücksichtigung aller Vorgaben, Interessen und Zielsetzungen.

Rechtliche Mängel führen zu Umsetzungsschwierigkeiten

Das Anliegen der Initiative, nämlich die Verhinderung zusätzlicher Beschattung durch höhere Bauten im Bereich des Seebeckens, soll in die Gemeindeordnung – die Verfassung der Stadt – aufgenommen werden. Die Gemeindeordnung enthält grundsätzlich jedoch nur generell-abstrakte Regeln. Daneben kann sie auch sogenannte Ziel- und Programmnormen beinhalten, die politische Ziele definieren oder Grundzüge festhalten. Beim Anliegen der vorliegenden Initiative handelt es sich jedoch um eine konkrete planerische Massnahme, die nicht direkt anwendbar ist. Sie müsste zwingend auf einer tieferen Erlassstufe konkretisiert werden, wofür auf Stufe Gemeinde nur wenig Spielraum besteht.

Auch fehlt eine rechtliche Grundlage auf kantonaler Stufe, die es der Stadt überhaupt erlauben würde, die von der Initiative geforderten baulichen Einschränkungen einzuführen. Die Berechnungsweise des Schattenwurfs ist kantonal abschliessend geregelt. Das Verbot einer weiteren Beschattung würde zudem die Eigentümerinnen und Eigentümer von Gebäuden im betroffenen Gebiet einschränken. Es ist fraglich, ob eine solche Einschränkung der verfassungsrechtlich geschützten Eigentumsgarantie standhalten würde, also rechtlich überhaupt zulässig wäre und ob Entschädigungszahlungen infolge materieller Enteignung in erheblichem Umfang anfallen würden.

Aufgrund dieser rechtlichen Mängel würde erst die konkrete Umsetzung der Initiative in einem Erlass zeigen, inwieweit überhaupt eine Vorlage möglich ist, die nicht höherrangigem Recht und den Vorgaben der Richtplanung widerspricht und insbesondere auch eine Einschränkung der Eigentumsgarantie ermöglicht.

Baumöglichkeiten und Schattenwurf bereits stark eingeschränkt

Die Initiative würde das Seeufer in eine Zone umwandeln, in der öffentliche Grünräume durch neue oder höhere Gebäude nicht zusätzlich beschattet werden dürfen. Gemäss BZO sind diese Flächen jedoch nicht als Bauzonen, sondern als sogenannte Freihaltezonen klassifiziert. In diesen Zonen sind bauliche Veränderungen – und somit auch zusätzlicher Schattenwurf – nur sehr begrenzt möglich. Ein generelles Verbot von zusätzlichem Schattenwurf durch bauliche Veränderungen würde aber verhindern, dass das Seebecken als Erholungsgebiet für die Öffentlichkeit weiterentwickelt werden könnte. Von einer Annahme der Initiative wären vorwiegend Bauten in Park- und Freizeitanlagen wie Badeanstalten, Werften oder Gemeinschaftszentren betroffen. Sollte eine Umsetzung rechtlich möglich sein, wäre eine Erneuerung oder ein Ausbau einer bestehenden Nutzung kaum mehr möglich. Dies hätte zum Beispiel den Ersatzneubau des Selbstbedienungsrestaurants und der Garderoben im Strandbad Mythenquai betroffen.

Neben der eigentlichen «Schutzzone» hätte die Initiative nach einer Umsetzung aber auch Auswirkungen auf die angrenzenden Zonen, deren bauliche Veränderungen einen Schatten auf die Gebiete am Seeufer werfen könnten. Bei diesen angrenzenden Gebieten handelt es sich teils um Bauzonen, in denen die Baumöglichkeiten jedoch bereits heute stark eingeschränkt sind durch die BZO. Zahlreiche Gebäude in anderen Gebieten befinden sich im Inventar der kunst- und kulturhistorischen Schutzobjekte oder die Gebiete gehören zu sogenannten Kernzonen. Diese enthalten schützenswerte Ortsbilder, die erhalten oder weiterentwickelt werden müssen. Voluminöse Arealüberbauungen sind in diesen Zonen nicht zulässig. Wo der Grünraum um das Seebecken an Kernzonen grenzt, ist eine Veränderung der Beschattung durch Ersatzneubauten oder Aufstockungen darum praktisch ausgeschlossen. Lediglich in vier Gebieten sind bauliche Entwicklungen angestrebt oder aufgrund vorhandener Reserven überhaupt möglich. So zum Beispiel am rechten Seeufer im Anschluss an den Bahnhof Tiefenbrunnen.

Schutz des städtischen Grünraums

Berücksichtigung aller Interessen erschwert

Die bestehenden Rechts- und Planungsgrundlagen ermöglichen eine umfassende Entwicklung des öffentlichen Grünraums rund um das Seebecken und stellen sicher, dass dabei alle Interessen und Zielsetzungen gleichermassen berücksichtigt werden. Dabei spielt auch die Beschattung eine Rolle, neben vielen weiteren öffentlichen Interessen wie zum Beispiel sozialräumlichen Faktoren oder der Gestaltung der öffentlichen Räume. Würde die Initiative angenommen und könnte sie umgesetzt werden, würde der Aspekt der Besonnung jedoch allen anderen vorangestellt. Dies würde verhindern, dass unter Berücksichtigung aller öffentlicher und auch privater Interessen optimale Lösungen gefunden werden könnten.

Keine Auswirkungen auf bereits bewilligte Bauprojekte

Für die Bewilligung von Bauprojekten ist das zum Zeitpunkt des Bauentscheids gültige Recht massgebend. Somit hat die Initiative auf bereits bewilligte, noch nicht realisierte Bauprojekte – wie beispielsweise die Überbauung auf dem Areal der Franz-Garage – rückwirkend keinen Einfluss. Die Initiative ist darum kein taugliches Instrument, um dieses Bauprojekt zu verhindern. Auf das Projekt der ZKB­Seilbahn, das die Initiative verhindern möchte, hat die Initiative keine unmittelbare Auswirkung, weil die Bewilligung in der ausschliesslichen Zuständigkeit des Kantons liegt.

Änderung der Gemeindeordnung

Falls die Stimmberechtigten die Initiative annehmen, wird Artikel 2octies der Gemeindeordnung (Grünraum-Bestimmung) um einen vierten Absatz (nachstehend fett gedruckt) ergänzt.

Art. 2octies

¹ Die Gemeinde setzt sich aktiv für die Sicherung von öffentlichem Grünraum auf dem gesamten Gemeindegebiet und in allen Quartieren ein.

² Sie ergreift Massnahmen, um unversiegeltes Land zu schützen und zu vernetzen, um dessen Qualität als Naherholungsgebiet sowie dessen ökologische Funktion langfristig zu gewährleisten.

³ Sie sorgt dafür, dass in allen Quartieren ökologisch wertvoller, multifunktionaler und der

Nutzungsdichte entsprechender Grünraum besteht.

4 Sie (die Gemeinde) schützt die Besonnung des öffentlichen Grünraums am Seeufer.
Innerhalb ihrer Zuständigkeit verhindert sie bauliche Veränderungen, die einen Schattenwurf darauf bewirken oder vergrössern.
Die Höhe des Baubestandes vom 1. April 2019 ist dabei massgebend.

Am 13. Juni 2021 haben die Stimmberechtigten die neue Gemeindeordnung angenommen. Diese soll – die Genehmigung durch den Regierungsrat vorausgesetzt – per 1. Januar 2022 gelten. Der neue Absatz würde als vierter Absatz bei Artikel 14 der neuen Gemeindeordnung ergänzt.

Standpunkt des Initiativkomitees

Grünraum am See schützen – keine erhöhten Neubauten in Ufernähe!

Die Grünflächen am Seeufer gehören zu unserem kostbarsten Erholungsraum. Dieser öffentliche Freiraum wird aber durch bauliche Grossprojekte bedroht. Solche Neubauten im Uferstreifen würden die Skyline rund um das Seebecken markant erhöhen. Durch ihren Schattenwurf würden sie den Erholungsraum massiv abwerten. Dies wollen wir verhindern!

Eine Schutzzone für den Grünraum am Seeufer

Der öffentliche Grünraum mit Seeanstoss bildet gerade einmal einen Tausendstel der Gesamtfläche der Stadt. Geht es nach dem Willen des Stadtrats, sollen in Ufernähe eine siebenstöckige Überbauung mit Luxuswohnungen auf dem Areal der Franz-Garage in Wollishofen und die ZKB-Seilbahn über das Seebecken entstehen. Der Erholungsraum würde durch Verbauung und Verschattung massiv beeinträchtigt. Wir wollen deshalb für diesen Raum eine Schutzzone gegenüber derartigen Bauprojekten einrichten.

Die Besonnung in der Gemeindeordnung festschreiben

Den Begriff «Besonnung» gibt es bereits im kantonalen Baurecht. Aber es wird bisher nur geregelt, wie wenig Besonnung bei Neubauten für den Menschen zumutbar ist. Im Fall des Grünraums am See fordern wir einen neuen Ansatz. Es soll in der Gemeindeordnung festgeschrieben werden, dass die bestehende Sonneneinstrahlung in dieser Schutzzone dauerhaft geschützt ist. Bauliche Veränderungen dürfen hier keinen zusätzlichen Schattenwurf bewirken.

Die Initiative ist gültig und durchführbar

Stadtrat und Gemeinderat begründen ihre ablehnende Haltung weitgehend mit formellen Einwänden. Sie sorgen sich um die Erledigung ihrer Hausaufgaben bei der Umsetzung. Damit werden sie dem demokratischen Rang einer Volksinitiative nicht gerecht. Das Stimmvolk hat den ureigenen Anspruch darauf, eine solche Schutzklausel in der Gemeindeverfassung zu verankern. Im Fall einer Annahme müssten die Stadtbehörden ihre Zuständigkeit ausschöpfen, um das Initiativziel vorbehaltlos umzusetzen. Nach unserer Auffassung wäre der gesetzliche und politische Auftrag unmittelbar wirksam. In der Schutzzone müsste die Stadt bei künftigen wie auch bei hängigen Bauprojekten möglichst aktiv auf eine Verhinderung hinwirken.

Ein Beitrag zum Schutz von Landschaft und Ortsbild

Vor rund 20 000 Jahren begann der Rückzug des Linth-Gletschers und es bildete sich das Seebecken. Der Uferstreifen wurde bisher von markanten Hochbauten verschont. Am Seeufer ist der natürliche Sonnenlauf vom Horizont des Pfannenstiels zum Horizont der Albiskette immer noch wahrnehmbar. Wir finden: Die Harmonie von Landschaft und Ortsbild darf an dieser verletzlichen Stelle nicht angetastet werden. Wir müssen sie künftigen Generationen unversehrt weitergeben.

Ein Beitrag zum Schutz von Umwelt und Klima

Der Stadtrat schreibt in seiner Weisung zum Stichwort Hitzeminderung, dass «Gebäudeschatten zumindest in den Sommermonaten durchaus erwünscht sein kann». Wenn der Stadtrat damit einen siebenstöckigen Betonkoloss in Ufernähe rechtfertigen will, macht er sich unglaubwürdig. Der Bau- und Gebäudesektor bewirkt 38 Prozent der globalen CO2-Emissionen. Mitverantwortlich ist der Baustoff Beton, dessen Produktion jährlich Milliarden Tonnen Treibhausgase ausstösst. Das Initiativkomitee bekennt sich zum Grundsatz der städtebaulichen Verdichtung. Aber wir müssen gewissenhaft prüfen, wo diese überhaupt Sinn macht. Im Uferstreifen greifen Neubauten dermassen in den Erholungsraum ein, dass sie zur Zersiedelung beitragen. Die Initiative will eine nachhaltige und menschengerechte Stadtentwicklung.

Minderheitsstandpunkt der Grüne-Fraktion und der AL-Fraktion

Das Seebecken ist ein einmaliger Grünraum innerhalb des Stadtgebiets, der besonderen Schutz verdient und ungeschmälert erhalten bleiben soll. Das Seebecken ist ein wichtiger und in seiner Art einmaliger Ort für Erholung und Freizeit. Auch Bauvorhaben müssen dem Rechnung tragen. Der Schattenwurf, den Gebäude und Anlagen verursachen, darf diesen Erholungsraum am See nicht beeinträchtigen. Die vorliegende Initiative erscheint uns geeignet, um die Anliegen der Erholungssuchenden zu unterstützen. Niemand möchte gerne im Schatten mächtiger und privilegiert gelegener Gebäude liegen oder spazieren. Die besondere Lage in Seenähe, die ein Höchstmass an Sensibilität beim Bauen verlangt, legitimiert auch die Einschränkungen, welche durch die Initiative ermöglicht werden sollen. Denn das Seeufer ist für alle da und nicht für wenige.

Die Grüne-Fraktion und die AL-Fraktion empfehlen deshalb ein Ja zur Vorlage.

Antrag

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